Antwort auf: Everything's fucked up – Sexploitation- und #metoo-Debatten in der Musikszene

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pfingstluemmel
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herr-rossi Amen … Bei der Beschäftigung mit gesellschaftlichen Phänomenen kommen wir nicht darum herum, zu typisieren. Ohne dem kann es keine Erkenntnisse über unsere Gesellschaft, ihre Probleme und mögliche Lösungen geben, dann ist alles nur noch individuell und wer ein Problem hat, soll es gefälligst selbst lösen. Wir empfinden uns natürlich alle als wahnsinnig individualistisch und einzigartig, aber wir sind es nicht. Wir sind allerdings auch keine Abziehbilder und nicht nur x oder y und sonst nichts. Gefährlich wird es aus meiner Sicht dann, wenn aus Typisierung Stereotypisierung wird, wenn einem nicht mehr bewusst ist, dass Typisierung kein vollständiges Bild eines Individuums ergibt, sondern nur bestimmte überindividuelle Verhaltensweisen, Mechanismen usw. verständlich machen soll. Dass im „Indie“-Rock/-Pop ein anderes (Selbst-)Verständnis von Musikern und Männlichkeit gepflegt wurde als im klassischen Rock, ist ja nun keine Erfindung des Autors. Den Begriff „beta male“ habe ich auch zum ersten Mal gelesen, aber ich finde ihn durchaus anschaulich. Die „ich lass mir meine Platten nicht wegnehmen“-Reaktion auf solche Artikel ist jetzt auch nicht soooo individuell, eher typisch.;) Ich finde die Aufforderung nach Plattenverbrennung in dem Artikel nicht. Ich habe selbst auch etliche Platten, an denen Leute wie Spector beteiligt waren und höre sie weiterhin …

Diesem Trugschluss saß der Autor des Artikels auch auf. Um Kozelek zu erklären, grabscht er nach einem Etikett des letzten Jahrtausends (Indie-Irgendwas), das er mit Inhalten füllt, die er vom Hörensagen kennt. Es spricht Bände, wenn zwei so völlig unterschiedliche Bands wie R.E.M. und The Smiths herhalten müssen, um einen Punkt zu machen. Vielleicht kommt die Gesellschaft in ihren Erklärungen nicht ohne Typisierungen aus, ich würde mich aber schwer wundern, wenn Kozelek oder Morrissey besonders viel von den Krücken der Gewöhnlichen hielten. Die Flucht vor dem Status Quo, die kleinen Verbesserungen und vor allem Veränderungen, heben den künstlerischen Ausdruck über die alltäglichen Erklärungsversuche.
Es sei jedem gegönnt, den Pfad des Gewöhnlichen erneut abzuschreiten und sich dabei pudelwohl zu fühlen, ich verstehe nur nicht, warum diese Leute meinen, sie könnten die Probleme auf ihrem ausgetrampelten Pfad lösen, indem sie Scheiße gen Himmel schmeißen? „Hilfe, der Wald brennt! Was sollen wir tun? Lasst uns unbedingt einen offenen Brief an The Prodigy schreiben. Firestarter! Unerhört!“ Bis einer von ihnen auf die Idee kommt, eimerweise Wasser und säckeweise Sand anzuschleppen, glimmen nur noch die letzten Zweige und vielleicht ein braunes Eckchen des geharnischten Briefs.
Das Männlichkeitsbild im „klassischen“ Rock ist so divers wie in allen anderen Spielarten der Musik auch, der typisierten Gesellschaft fällt das nur nicht auf, weil sie an ihrem Mainstream-Quark erstickt und nicht gewillt ist, auch nur fünf Minuten ihrer Zeit zu investieren, sich mit etwas zu beschäftigen. Jeder Musik“journalist“, der heute noch von Disco als schwarzer, schwuler Musik schreibt und gleichzeitig „klassischen“ Rock diskreditiert, sitzt jahrzehntealten Stereotypen auf, die sich die weniger kundigen seiner Kollegen aus den Fingern gesogen haben – ähnlich wie Punk immer und immer wieder seinem selbst geschaffenen Mythos auf den Leim geht. Noch lieber wäre mir natürlich, man würde über die einzelnen Acts reden, anstatt ganze Szenen oder Genres mit hanebüchenen politischen und soziologischen Schlagworten vollzukleistern, das stelle ich mir aber schwierig vor, in einer Gesellschaft, der du attestierst, sie brauche diese Krücken, um überhaupt halbwegs gehen zu können. All diese beta males, die Blinden, die die Lahmen führen. Was für ein scheußlicher Begriff aus den schwärzesten Tiefen des biologistischen Unfugs.
Sie können alle Platten nehmen, die sie wollen (vor allem die von Kozelek, die begehre ich nicht), sollten sich aber auch nicht wundern, dass es kein einziges ihrer Probleme lösen wird. Die Scheiße erreicht nicht mal die Wolkendecke, sondern prasselt herab auf die Schmeißenden.

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Come with uncle and hear all proper! Hear angel trumpets and devil trombones. You are invited.