Antwort auf: 29.03.2020

Startseite Foren Das Radio-Forum Roots. Mit Wolfgang Doebeling 29.03.2020 Antwort auf: 29.03.2020

#11124223  | PERMALINK

wolfgang-doebeling
Moderator
KICKS ON 45 & 33

Registriert seit: 08.07.2002

Beiträge: 7,351

Keine Wasserstandsmeldung, nur ein paar Richtigstellungen an die Adresse der PN-Schreiber (ich kann nicht alles individuell beantworten, sorry) sowie der Roots-Pinnwand-Nutzer auf der radioeins-Homepage (ich kann mich dort zwar einloggen, doch rätselhafterweise keine Beiträge mehr schreiben).

Zunächst: Roots ist keine Errungenschaft von radioeins, vielmehr wurde die Sendung nach jahrelanger Odyssee auf diversen öffentlich-rechtlichen Wellen bei radioeins-Gründung übernommen. Genauer: Roots startete vor 33 Jahren auf SFB2, war dann in den Wendewirren Teil von Radio 4U, überlebte danach als einziges Musikspecial unbeschadet das B2-Fiasko, wurde vorübergehend von Radio Kultur gesendet und schließlich von SFB4 (Multikulti). Letztere Station war übrigens die weitaus lukrativste, weil SFB4 meine Sendung an einige ARD-Programme verkaufte (WDR, NDR, SR) sowie über die EBU (European Broadcasting Union) an diverse Sender im Ausland (das aber nur am Rande).

Während Roots also auf SFB4 lief, wurde das Konzept von radioeins entwickelt. Helmut Lehnert war damit betraut worden und der beauftragte mich mit dem Erstellen eines ambitionierten Musikkonzepts für die zu gründende Welle. Wohl wissend, dass davon Abstriche gemacht und im Alltag des künftigen Sendebetriebs Kompromisse unvermeidlich sein würden, mussten diese Ansprüche ans Musikprogramm utopisch sein, bewusst überambitioniert. Tatsächlich ist in manchen Musiksendungen auch nach vielen Jahren – trotz fortlaufender Verwässerung des Konzepts – dessen Kern durchaus noch in Spuren erkennbar.

Radioeins wurde also ins Leben gerufen, Roots wurde von Anfang an übernommen, nun doppelt ausgestrahlt, denn SFB4 blieb ja federführende Welle. Erst als später Multikulti abgewickelt wurde, übernahm radioeins die Verantwortung für die Sendung, die fortan auch nur noch auf radioeins zu hören war. Produziert wurde die Sendung weiterhin im Haus des Rundfunks in der Masurenallee, im selben Studio, das von Beginn an Roots beherbergte. Das war die Vereinbarung, an der nie gerüttelt wurde, schon weil sie alternativlos war. Die volldigitale Technik im Potsdamer Neubau war nicht auf die analogen Freuden einer Vinyl-only-Show zugeschnitten, die Fortschrittsgläubigkeit kannte in den Neunzigern bekanntlich keine Grenzen. Es gab zwar Plattenspieler, aber in klappriger Leichtbauweise, nicht links und rechts vom DJ-Pult/Drehstuhl, sondern hinten an der Wand, fußläufig erreichbar, ohne 78er-Funktion, mithin völlig ungeeignet für Roots.

War ja auch kein Thema, denn im HdR ließ sich weiterhin bestens produzieren. Bis vor 5 Jahren, als ich eines Abends die Tür zu „meinem“ Studio aufschloss, dahinter aber eine Ruine vorfand. Das Inventar war herausgerissen worden, samt Plattenspielern, Pult, Mikros, Boxen. Die gesamte Studiotechnik lag im Hof auf einer Schutthalde. Mir wurde so schwummrig, dass der alarmierte Pförtner meinte, mir einen Schnaps anbieten zu müssen: „Bist ja janz weiß um de Nase, Kolleje“. Anderntags gab es einiges Entsetzen und wohlfeiles Bedauern. Kommunikationsprobleme, hieß es. Die Zerstörung des letzten funktionierenden Analogstudios mit Plattenspielern im HdR schien jedenfalls das Ende von Roots zu bedeuten, denn, wie gesagt, die Produktionsbedingungen in Potsdam waren dafür denkbar ungeeignet.

Rettung kam vom Deutschlandradio. Ich hatte dort verschiedentlich zu tun gehabt und dabei nicht die mir vertrauten Plattenspieler übersehen, die wohl nicht mehr genutzt wurden, aber in gutem Zustand zu sein schienen. Redaktion und Technik von radioeins schalteten schnell (dafür mein ewiger Dank), der Kontakt zum DLR wurde hergestellt und schon bald konnte ich dort Roots aufnehmen, „im Rahmen des Produktionshilfeabkommens der ARD“. Ich wurde freundlichst empfangen, die Verantwortlichen gaben sich gar als Fans der Sendung zu erkennen und gingen weitgehend auf meine Bedürfnisse ein. „Herr Wolfgang Doebeling wird die Sendung wie live fahren“ steht auf dem Studioplan. Aber gern!

Dann kam Corona. Ich begab mich in die selbstgewählte Isolation, konform mit den Richtlinien der rbb-Taskforce (!), wollte nach 6 Wochen den Roots-Faden weiterspinnen, doch wurde der Sendeplatz inzwischen anderweitig vergeben. Bis Juli, angeblich. Immerhin sei es mir auch während des Lockdowns zuzumuten gewesen, erfuhr ich telefonisch, statt mich zu isolieren – Risikogruppe hin oder her – mit Nahverkehrsmitteln bzw. mit dem Taxi (!) nach Potsdam zu reisen, um dort irgendwie (?) die Sendung zu produzieren.

Eine winzige Fußnote nur in den Annalen dieser Pandemie, aber eine, die Bände spricht.

--