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Spotlight on Dave Brubeck
Es gibt bereits einen Brubeck-Thread, aber ich stelle das auch hier rein, weil’s im Zusammenhang mit den Texten direkt drüber entstand (die Brubeck-Sendung lief davor, was ein paar verkehrte Bezüge in den Texter erklären mag).
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Schon lange ist es unter Jazzfans, noch mehr unter Kritikern und auch Musikern, hip, Brubeck in die Pfanne zu hauen. Die Argumente überbieten sich gegenseitig an Absurdität. Ted Gioia bündelt sie in seinem Buch „West Coast Jazz“ (S. 66f.):
Frequently cited criticism of Brubeck in the 1950s emphasized the facts – all of them difficult to dispute – that (1) his group earned more money than the Modern Jazz Quartet; (2) his picture was put on the cover of Time magazine; (3) Duke Ellington’s picture was not put on the cover of Time magazine; (4) the Brubeck quartet did not sound like Gerry Mulligan’s.
Dazu kam der Vorwurf, die Musik würde nicht swingen, nicht so sehr wie jene von früheren Jazz-Gruppen. Was bei solchen absurden Vorwürfen untergeht sind natürlich die Verdienste der Band und ihres Leaders. Brubeck kopierte eben gerade nicht, was Mulligan tat, was Basie oder das Modern Jazz Quartet machten. Seine Musik ist in rhythmischer und struktureller Hinsicht neu und völlig eigenständig. Man mag Gioia folgen, wenn er meint, in der Hinsicht sei Brubeck einem seiner Zeitgenossen nicht unähnlich: Thelonious Monk. Auch bei diesem war die Jazzkritik eher daran interessiert, zu beschreiben, was seine Musik nicht ist. Wie Monk beschritt Brubeck einen Weg abseits des Hauptstromes des Jazzpianos, der von Bud Powell und seinen Nachfolgern ausgeformt wurde. Monk wie Brubeck spielten sperrige Rhythmen und „schräge“ Akkorde, beide brachten sie die orchestralen Fähigkeiten ihres Instruments zum Vorschein. Beide waren sie an komplexeren rhythmischen Strukturen interessiert als die meisten ihrer Zeitgenossen. Und beide hoben die perkussive Seite des Klaviers hervor, arbeiteten mit Synkopen, rhythmischen Verschiebungen und Akzentuierugen, Brubeck überdies mit Stücken in ungraden Metren – doch beiden warf man vor, nicht zu swingen. Beide spielten oft Soli, die durchdacht, ausgeklügelt, ja beinahe komponiert wirken. Während Monks Ruhm kontinuierlich wuchs und heute unbestritten ist, widerfuhr Brubeck nichts Vergleichbares. Doch beim Publikum feierte er grosse Erfolge, obgleich er sich nie verbog – weitherum bekannt und ebenso weitherum missverstanden.
In Nordkalifornien gaben bis dahin Dixielandgruppen wie jene von Turk Murphy oder Lu Watters den Ton an. Brubeck suchte sich Lehrer wie Darius Milhaud und war schon bald daran, die wenigen „modernen“ Jazzmusiker links zu überholen. Geboren in Concord, Kalifornien, wuchs Brubeck als Sohn einer ausgebildeten Konzertpianistin und eines Ranchers (vermutlich indianischen Ursprunges) im abgelegenen Kaff Ione auf. Seine Mutter brachte ihm das Klavierspiel bei. Mit dem Notenlesen wollte es lange Zeit nicht recht klappen, doch er brachte schon bald eigene Klänge hervor. In der Abgeschiedenheit kriegte Brubeck musikalisch nichts mit, er wollte sein Leben auf der Ranch verbringen, besuchte dann aber doch das College of the Pacific, mit der Absicht, Veterinärnedizin zu studieren. Bald zog es das Landei wieder zur Musik und er wechselte das Studiengebiet, obwohl sein Problem mit dem Notenlesen ihn beinah scheitern liess.
Brubeck führte auf dem Campus bald das Leben eines Bohémiens, lief im Zoot Suit herum, spielte mit seiner Ethnizität, seinen indianischen und polnischen Wurzeln, überhaupt schuf er sich ein Image, das die Andersartigkeit hervorhob. Dave Van Kriedt, ein Mitstudent und späterer Mitmusiker meinte, er hätte den Eindruck gemacht, „like he still lived with the tribe“ (Gioia, West Coast Jazz, S. 72). Mit der Jazz-Piano-Tradition war Brubeck vermutlich nicht sehr vertraut, die Familie besass in Ione lange Zeit nicht einmal ein Radio, die Gegend war viel zu abgelegen als dass Bands auf Durchreise Halt gemacht hätten. Alle Einflüsse – sowohl Milhaud, bei dem er nach dem Wechsel ans Mills College lernte, wie auch Ellington, Tatum, Kenton, Nat Cole, Erroll Garner, George Shearing oder Lennie Tristano, die Brubeck später als Vorbilder nannte – hinterliessen nur oberflächliche Spuren im Spiel des jungen Pianisten. Dieser traut auf, wo immer er konnte: bei Lions Club-Treffen, Cowboy-Parties oder Hillbilly-Tanzanlässen – und er kannte unzählige Songs aus diesem Umfeld. Als Sonny Rollins später in Kalifornien sein Album „Way Out West“ mit einigen Cowboy-Songs einspielte, meinte Brubeck: „I felt he was invading my territory“ (Gioia, West Coast Jazz, S. 73).
Als Soldat nahm Brubeck in Pattons dritter Armee an der Ardennenoffensive teil (sein Name taucht in Studs Terkels „The Good War“ auf), kehrte 1946 zurück nach Kalifornien zurück, um seine Studien mit Milhaud fortzusetzen. Es bildete sich eine kleine Gruppe von Jazzmusikern, die das von Milhaud gelernte in ihrer Musik anwenden wollte. Neben Brubeck und Van Kriedt gehörten auch der Trompeter Dick Collins, der Klarinettist Bill Smith, der Gitarrist Jack Weeks und ein gewisser Paul Breitenfeld dazu, der Altsaxophon spielte. So bildete sich das Dave Brubeck Octet, das Ende der Vierzigerjahre für Fantasy erste Aufnahmen machen konnte.
Breitenfeld, später unter dem Namen Paul Desmond bekannt, wurde zu Brubecks wichtigstem Mitmusiker der nächsten zwei Jahrzehnte. In vielerlei Hinsicht war er das Gegenteil von diesem: In San Francisco geboren, in Kalifornien und New York aufgewachsen, ein „city sophisticate“ mit wenig Interesse an den akademischen Studien bei Milhaud, vielmehr darauf aus, seinen Retro-Stil am Altsaxophon zu perfektionieren, für den ein Benny Carter viel wichtiger war als Charlie Parker. Brubeck wurde bald zum Familienmenschen, Desmond pflegte sein Jungesellendasein, Brubeck war in der Öffentlichkeit ernsthaft, Desmond stets für einen Scherz, eine sarkastische Einlassungen zu haben. Desmond verbrachte allerdings eine sehr schwierige, traurige Kindheit, war über Jahre von seiner vermutlich schwer kranken Mutter getrennt. Er war, so scheint es, zeitlebens von einer grossen Einsamkeit umgeben.
Das Oktett nahm einige Stücke auf, die in ihrer Verbindung von Jazz und Klassik sehr viel frischer klingen als das meiste, was der spätere „Third Stream“ hervorgebracht hat. Van Kriedt, Smith oder Brubeck arrangierten eigene Stücke und Standards. Manche Aufnahme eröffnet verblüffende Parallelen zur etwa zeitgleichen „Birth of the Cool“-Band von Miles Davis – doch Brubecks Experimente blieben ohne Nachhall. Als es sich als schwierig erwies, mit dem Oktett Auftrittsmöglichkeiten zu finden, enstand das Dave Brubeck Trio mit Ron Crotty am Bass und Cal Tjader am Schlagzeug (über ihn mehr in der nächsten Sendung). Doch Brubecks Start blieb holprig und sein künftiger Sideman Paul Desmond erschwerte ihn unnötig, als er ihm zuerst die Band ausspannte (mit anderem Pianisten natürlich) und dann auch noch verhinderte, dass Brubeck einen Gig „erben“ konnte, auf den er dringend angewiesen war. Später stellte Desmond dann seinen ehemaligen Bandleader als Sideman an, natürlich mit tieferem Lohn, wählte dann wieder einen anderen Pianisten … Brubeck hockte derweil mit Frau und zwei Kindern in einem fensterlosen Eisenschuppen und versuchte, über die Runden zu kommen.
Um 1950 begann sich Brubecks Ausblick aufzuhellen. Langsam machte die Kunde über den jungen, talentieren Pianisten die Runde, der in Oakland auftrat, der Stadt, über die Gertrude Stein kalauerte: „there is no there there“. Für das kleine Dixieland-Label Coronet führte das Trio noch Ende 1949 eine erste Plattensitzung durch, ab 1950 nahm Brubeck regelmässig für das Label Fantasy Records auf. Es ging nun rasch bergauf, das Trio spielte im Radio und trat bald im renommiertesten Club der Stadt auf, dem Blackhawk.
Bei einem Gig in Hawaii kam es jedoch 1951 zu einem beinah tödlichen Schwimmunfall. Brubeck lag monatelang im Spital, die Prognose lautete, dass er möglicherweise nie mehr würde gehen können, vom Klavierspiel gar nicht zu reden. Doch er erholte sich wider Erwarten rasch. Allerdings musste er das Klavierspiel neu erlernen – und es wurde ihm klar, dass er eine zweite Stimme neben sich auf der Bühne brauchte, um ihm etwas von der Last abzunehmen, die ihn sonst während der Rehabilitation erdrücken würde. Paul Desmond, inzwischen in New York, hatte schon längst vom Erfolg des Trios gehört und unterliess monatelang keinen Versuch, wieder in die Gunst Brubecks zu gelangen. Nach dem Unfall willigte dieser schliesslich ein. Damit war das famose Dave Brubeck Quartet geboren, das bis 1967 mit Desmond und zunächst wechselnden Rhythmusgruppen Bestand haben sollte.
Die Sendung stellt vor allem diese ersten Jahre Brubecks vor – das Oktett, das Trio, die ersten Aufnahmen des Quartetts mit Desmond -, kommt aber nicht ganz darum herum, dem späteren Quartett, das ab Mitte der Fünfzigerjahre beim renommierten Label Columbia Records unter Vertrag stand, etwas Zeit zu widmen. Neben ein paar Hits sind es aber vor allem die frühen Aufnahmen für Fantasy, in den Jahren 1951-1954 entstanden, die so manchen vergessenen Diamanten enthalten. Die Zusammenarbeit mit Desmond erklomm manchmal unvorstellbare Höhen, mutete nahezu telepathisch an. Solche Momente sind in der insgesamt gewiss feiner abgestimmteren späten Besetzung – mit Eugene Wright (der die Band zur „integrierten“ machte und zugleich der erste Nicht-Kalifornier an Bord war) und Joe Morello – nicht mehr so oft zu finden wie in den ersten Jahren der Existenz des Quartetts.
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1. Dave Brubeck Octet – Fugue on Bop Themes (ca. 1950)
2. Dave Brubeck Octet – What Is This Thing Called Love (ca. 1950)
3. Dave Brubeck Octet – How High the Moon (ca. 1948)
4. Dave Brubeck Octet – Playland-at-the-Beach (ca. 1948)
5. Dave Brubeck Trio – Blue Moon (1950)
6. Dave Brubeck Trio – Laura (1950)
7. Dave Brubeck Trio – You Stepped Out of a Dream (1950)
8. Brubeck & Desmond – Over the Rainbow (1952)
9. Brubeck & Desmond – You Go to My Head (1952)
10. Dave Brubeck Quartet – How High the Moon (1953)
11. Dave Brubeck Quartet Featuring Paul Desmond – My Heart Stood Still (ca. 1953)
12. Brubeck & Desmond – Stardust (1954)
13. Dave Brubeck Quartet – Blue Rondo à la Turk (1955)
14. Dave Brubeck Quartet – Take Five (1967)
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DAVE BRUBECK OCTET
1. Fugue on Bop Themes (Dave Van Kriedt)
2. What Is This Thing Called Love (Cole Porter) (arr. Bill Smith)
3. How High the Moon (Hamilton–Lewis)
4. Playland-at-the-Beach (Dave Brubeck)
Dick Collins (t), William O. Smith (cl), Paul Desmond (as), David Van Kriedt (ts), Bob Collins (bari), Dave Brubeck (p), Jack Weeks (b), Cal Tjader (d)
NBC audition, San Francisco, CA, vermutlich 1948 (How High the Moon, Playland) bzw. 1950 (What Is This Thing, Fugue)
von: Dave Brubeck Octet (Fantasy)
Zum Auftakt hören wir das Oktett, das Dave Brubeck mit Studienkollegen gründete – die Hälfte von ihnen studierte bei Darius Milhaud (1892–1974), dem französischen Komponisten, Mitglied von Les Six, dessen jüdische Familie beim Einmarsch der Deutschen in Frankreich fliehen musste.
Im Oktett fanden kompositorische Ideen aus den Studien bei Milhaud mit Jazz zusammen. In den Fünfzigerjahren sollten solche Experimente unter dem Etikett „Third Stream“ grössere Verbreitung erfahren (auch Musiker wie Miles Davis, Charles Mingus, J. J. Johnson oder George Russell sollten bei Third Stream-Aufnahmen mitwirken). Doch Brubecks frühe Aufnahmen – die Kompositionen und Arrangements stammten neben Brubeck vor allem von Bill Smith (der auch später immer mal wieder mit Brubeck arbeiten sollte) und Dave Van Kriedt (der mit Brubeck und Desmond auf dem späteren Album „Reunion“ zu hören ist).
1946, als die Gruppe entstand, gab es praktisch kein Vorbilder für ihre Musik – vielleicht Raymond Scott oder Alec Wilder. Die Musik der Studenten formte sich aus dem Drang, eine Stimme zu finden, dazu wurden klassische Techniken wie der Kontrapunkt verwendet. Eines der besten „klassischen“ Stücke ist Dave Van Kriedts Fugue on Bop Themes, mit dem die Sendung öffnet.
Das Brubeck-Oktett bei einer Probe 1947: Jack Weeks (b), Cal Tjader (d), Dick Collins (t), Bob Collins (tb), Brubeck, Paul Desmond (as), David Van Kriedt (ts) (Quelle)
Es folgt Bill Smiths Arrangement des Standards What Is This Thing Called Love. Hier finden Elemente von Klassik, Jazz und Pop zusammen – und schaffen eine sehr eigenwillige Atmosphäre. Die melodische Qualität des Songs (Pop) trifft auf eine attraktive harmonische Palette (Klassik), rhythmisch läuft darunter aber Jazz. Das ganze ergibt eine Art Hybrid von ziemlich grossem Charme.
How High the Moon entstand als Gemeinschaftswerk. Es bietet in knapp sieben Minuten einen lehrreichen und äusserst lustvollen Gang durch die Jazzgeschichte bis in die damalige Gegenwart. Eine „novelty“, gewiss, aber wie unverdorben und direkt in ihrer Imitation von Dixieland, von Benny Goodman, Boogie Woogie etc. Leonard Bernstein versuchte sich später mit Miles Davis und dem Song „Sweet Sue“ an einem ähnlichen Unterfangen, doch Brubecks Truppe ist da weit überlegen in ihrer unbedarften Spontanität.
Dave Brubeck mit Darius Milhaud
Den Abschluss dieses eröffnenden Segments mach eine Miniatur aus Brubecks Feder, Playland-at-the-Beach, seine wohl beste „klassische“ Komposition aus dieser Zeit, die gemäss seinen Worten eine „short musical description of a San Francisco scene“ biete. Trotz der Kürze bietet das Stück einen flüssigen Gang durch verschiedene Stimmungen.
DAVE BRUBECK TRIO
5. Blue Moon (Rodgers–Hart)
6. Laura (Raksin–Mercer)
7. You Stepped Out of a Dream (Brown–Kahn)
Dave Brubeck (p), Ron Crotty (b), Cal Tjader (d, bgo)
San Francisco, California, März 1949 (Blue Moon, Laura), Januar 1950 (You Stepped Out of a Dream)
von: The Dave Brubeck Trio/Distinctive Rhythm Instrumentals (Fantasy 10″-LP; CD: Fantasy)
Es erwies sich schwierig, mit dem Oktett Auftrittsmöglichkeiten zu finden. Dennoch hatte die Band vier Jahre bestand. Obwohl die Gruppe in künstlerischer Hinsicht einiges zu bieten hatte, bleibt sie eine Fussnote in Brubecks Frühwerk, ein Vorläufer zu späteren musikalischen Schriten.
Der nächste war die Formation des Dave Brubeck Trios mit der Rhythmusgruppe des Oktettes, in der Ron Crotty am Bass auf Jack Weeks gefolgt war. Die angestrebte Ästhetik unterschied sich nicht grundlegend von jener des Oktetts: ambitionierte Arragements, „;Miniatur-Konzerte“ mit verschiedenen Teilen, mit dramaturgischem Aufbau, mit Klimax und Entspannung.
Blue Moon war damals ein beliebter Popsong – Brubeck macht aus ihm einen seltsamen Hybrid zwischen Tin Pan Alley und progressiver klassischer Musik – und damit wird aus dieser Aufnahme ein Vorbote von kommenden Entwicklungen. Das Stück stammt wie die beissende Interpretation von Laura – die Block-Akkorde und Dissonanzen, die „harte“ Rhythmik lässt an Bartók denken – von der allerersten Plattensitzung des Trios für das Dixieland-Label Coronet, das wenig später von der Bildfläche verschwand, worauf Fantasy die Aufnahmen erwarb.
Das Dave Brubeck Trio mit Ron Crotty (b) und Cal Tjader (d) im Jahr 1950 (Quelle)
Das Label Fantasy wurde von den Weiss-Brüdern gegründet – mit der Absicht, Profit zu machen, was für ein Jazzlabel schon damals ein reichlich seltsamer Einfall war. Benannt wurde das Label nach einem damals populären Science-Fiction-Magazin. Die Weiss-Brüder verkauften später an eine Investorengruppe unter Saul Zaentz, allerdings hatten sie bereits die Gruppe von der Berkeley High unter Vertrag genommen, die bei Fantasy für den grossen Reibach sorgen sollte. Damals hiess die Band noch The Blue Velvets, die Weissens nannte sie in The Golliwogs um, berühmt wurde sie dann als Creedence Clearwater Revival.
Brubecks Musik war für den frühen Erfolg von Fantasy zentral, doch die Geschäftbeziehung war von einem – vorsätzlichen? – Missverständnis überschattet: Brubeck wurde im Glauben gelassen, dass er Teilhaber des Labels sei, doch als das Label prosperierte und Gewinn abwarf, machten die Weissens (die übrigens, ein leidiges Kapitel, keine schwarzen Musiker aufnahmen) ihm klar, dass das nicht der Fall sei, ihm gehörte nicht die Hälfte des Labels sondern bloss die Hälfte seiner Aufnahmen. Dass es zum Bruch kam – Brubeck wechselte 1954 zum Majorlabel Columbia Records – ist daher wenig überraschend. Doch zum Glück entstanden für Fantasy noch eine Reihe weiterer toller Aufnahmen.
You Stepped Out of a Dream stammt von der zweiten Trio-Session und ist in mehrerer Hinsicht interessant: Brubeck stellt das Thema mit seiner eigenen Re-Harmonisierung vor, Cal Tjader spielt Bongos, im Solo wechselt Brubeck zwischen 4/4- und 6/8-Takt hin und her – eine später weit verbreitete Angewohnheit, die z.B. McCoy Tyner mit John Coltranes Quartett oft anwendete.
BRUBECK AND DESMOND
8. Over the Rainbow (Arlen–Harburg)
9. You Go to My Head (Gillespie–Coots)
Paul Desmond (as), Dave Brubeck (p), Ron Crotty (b) Lloyd Davis (d)
live, Storyville, Boston, Massachusetts, Oktober 1952
von: Brubeck and Desmond (Fantasy; CD: „Dave Brubeck/Paul Desmond“, Fantasy)
Fantasy nahm Brubeck immer wieder auf – manchmal ohne dass er sich dessen bewusst war, oft live und dies in erstaunlich guter Qualität. Nach einem nahezu tödlichen Schwimmunfall Anfang 1951 war es klar, dass Brubeck – noch in der Rehabilitationsphase – die Last nicht mehr allein stemmen konnte, das Trio also nicht mehr das geeignete Format war. Sein ehemaliger Kollege Paul Desmond, inzwischen in New York, hatte ihm in der Zwischenzeit übel mitgespielt, bemühte sich aber, seitdem er vom Erfolg des Brubeck Trios Wind bekommen hatte, hartnäckig darum, Mitglied der Gruppe zu werden. Der Unfall Brubecks gab den Ausschlag und Desmond kehrte zurück. Im Sommer 1951 begannen die Auftritte des neuen Dave Brubeck Quartet, das mit ein paar Wechseln in der Rhythmusgruppe bis 1967 Bestand haben sollte.
Rhythmisch pflegte die Gruppe in dieser frühen Phase eher einen leicht swingenden Kansas City-Stil als dass sie vom Bebop geprägt war – ganz im Gegensatz zu Brubecks progressiven Anwandlungen, seinem Flirt mit der Avantgarde. Basie und Jay McShann waren nun wichtiger als Bartók oder Milhaud, wichtiger auch als Charlie Parker und Dizzy Gillespie. Auch Paul Desmonds Stil am Altsaxophon schien wie aus der Zeit gefallen, ein alter Meister wie Benny Carter war viel bedeutender als Charlie Parker. Aber auch die klassische Schulung merkte man seinem Spiel zeitlebens an.
Over the Rainbow ist eine Perle in Brubecks frühem Werk. Brubeck öffnet fast ohne Verweis auf Harold Arlens Song, präsentiert neue Harmonien, eine neue Melodie, wechselt allmählich in eine Block-Akkord-Spielweise über, spielt immer relaxter, während er rhythmisch komplexere Figuren aufbaut. Plötzlich taucht im Bassregister eine Gegenmelodie auf, unter wellenförmigen Akkorden im hohen Register. Und dann, völlig unerwartet, steigt Desmond ein und präsentiert nun doch noch die Melodie von Arlen – doch auch er verändert sie freimütig, nur ganz wenig aber äusserst prägnant. Und so endet das Stück dann auch, ohne in die angestammte Dur-Tonart zurückzuweckseln.
Brubeck und Desmond im Storyville, 1954
Fast noch besser ist You Go to My Head vom selben Auftritt im berühmten Storyville in Boston. Brubeck und Desmond sollten diese Höhen später noch ab und zu erreichen, aber übertroffen haben sie sie wohl nie. Ihre Interaktion ist von einer nahezu telepathischen Sicherheit. Desmond lässt sich von der Melodie leiten, sein Solo erreicht eine Stringenz, die ihn all seine Coolness vergessen lässt, er spielt mit dem Herz auf der Zunge – und kommt dennoch um eine ganze Reihe von Zitaten nicht herum, doch diese werden völlig organisch in sein Solo eingebaut. Im Anschluss an so ein Solo selbst solieren zu müssen ist eine riesige Herausforderung, doch Brubeck zeigt sich der Aufgabe gewachsen, beginnt introspektiv, kehrt zur Melodie des Songs zurück und lässt sein Solo langsam an Intensität gewinnen. Als er eine tolle akkordische Idee wiederholt, hört man im Hintergrund Desmond: „Yeah!“ – No further questions, your honour.
DAVE BRUBECK QUARTET
10. How High the Moon (Hamilton–Lewis)
Paul Desmond (as), Dave Brubeck (p), Ron Crotty (b), Lloyd Davis (d)
live, Finney Chapel, Oberlin College, Oberlin, Ohio, 2. März 1953
von: Jazz at Oberlin (Fantasy; CD: Fantasy/OJCCD))
Desmond mochte schnelle Tempi nie besonders. Doch an diesem Konzert vom März 1953 klingt er wie ausgewechselt: er speit maschinengewehrsalvenschnelle Phrasen wie ein in der Wolle gefärbter Bebopper! Auch das Publikum scheint überrascht, der Applaus ist riesig. Die Band wechselt gleich zu Beginn von Desmonds Solo in double time und dieser lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Er greift in die vollen, präsentiert eine ganze Reihe von schlau angebrachten Zitaten, spielt mit sich selbst Call-and-Response, dabei verschiedene Register des Saxophons nutzend, stellenweise gelingt es ihm beinah, im Alleingang kontrapunktische Effekte zu erzeugen.
DAVE BRUBEK
11. My Heart Stood Still (Rodgers–Hart)
Dave Brubeck (p)
Bill Bates‘ home studio, Los Angeles, ohne Datum (Oktober 1953?)
von: Dave Brubeck Quartet Featuring Paul Desmond (Fantasy; CD: „Dave Brubeck/Paul Desmond“, Fantasy/OJCCD)
Von einer Heimaufnahme stammt diese bezaubernde Version von „My Heart Stood Still“, Rodgers und Harts Song aus dem Jahr 1927. Wer Bill Bates ist, weiss ich nicht, mit den Bassisten-Brüdern Bob und Norm (die beide mit Brubeck spielten) scheint er nichts zu tun zu haben. In den Liner Notes zu Paul Desmonds Album „Desmond“ (Fantasy 3-21 – wir hören daraus in der nächsten Sendung eine Kostprobe), bei dem die „Bill Bates Singers“ mitwirken, schreibt Desmond in seinen Liner Notes: „bill bates lives in l.a. with 2 ampexes (ampice?), a wife, several cats and a stuffed owl […]“.
DAVE BRUBECK QUARTET
12. Stardust (Hoagy Carmichael)
Paul Desmond (as), Dave Brubeck (p), Wyatt „Bull“ Ruther (b), Joe Dodge (d)
live, Berkeley, 1. März 1954
von: Dave Brubeck Quartet (Fantasy; CD: „The Dave Brubeck Quartet Featuring Paul Desmond: Stardust“, Fantasy/OJCCD)
Im Rahmen einer Vorlesung an der Uni in Berkeley wurde diese Version von „Stardust“ aufgenommen. Brubeck spielt ein Upright-Piano, Drummer hatte sein Kit direkt an der Wand aufgestellt, Studenten liefen in und aus der Halle … doch das Quartett lässt sich nicht stören und die Aufnahmequalität ist den Umständen entsprechend erneut sehr gut. Desmond kümmert sich nicht gross um das Thema sondern steigt gleich mit einer Improvisation ein, die sich nicht auf eine klare Tonart festmachen lässt. Brubeck nimmt auch hier die Herausforderung an und spielt seinerseits ein hervorragendes Solo, dabei die Stimmung aufgreifend, die Desmond geprägt hat. Dieser kehrt danach noch einmal zurück – und spielt Linien, die in ihrem Wagemut auch Desmonds Zeitgenossen Lee Konitz gut gestanden wären.
Am 8. November 1954 fand sich Brubeck auf dem Cover des Time Magazine wieder:
DAVE BRUBECK QUARTET
13. Blue Rondo à la Turk (Dave Brubeck)
Paul Desmond (as), Dave Brubeck (p), Eugene Wright (b), Joe Morello (d)
New York City, 18. August 1959
von: Time Out (Columbia)
Wir machen einen Sprung, mitten in die Columbia-Jahre hinein – und zu einer von Brubecks bekanntesten Nummern. Das Stück erschien auf Brubecks Bestseller-Album „Time Out“, das im selben Jahr wie „Kind of Blue“ erschien und dieses in Sachen Verkaufszahlen übertraf. Coltrane brachte in diesem Jahr sein „Giants Steps“ heraus, Charles Mingus Alben wie „Blues & Roots“ und „Mingus Ah Um“, Ornette Coleman schüttelte die Jazzszene mit „Tomorrow Is the Question“, „The Change of the Century“ und „The Shape of Jazz to Come“ mächtig durch, während Sonny Rollins auf der Williamsburg Bridge gesichtet wurde, sein Tenorsaxophon in der Hand.
„Blue Rondo à la Turk“ wurde zum Opener von Brubecks erfolgreichstem Album, „Time Out“. Das Thema ist im 9/8-Takt komponiert, gruppiert in drei Zweier- und einer Dreiergruppe (2-2-2-3). Doch nicht nur die „time signatures“ hatten sich geändert: Brubecks Quartett hatte schon vor ein paar Jahren am Blues Gefallen gefunden. Und mit dem Einstieg von Desmonds Solos – in je zwei alternierenden 4/4 und 9/8-Takten, wobei der Viertel drei Achteln entspricht – wird das Stück zur überragenden Demonstration von Brubeck und Desmonds Kunst, den Blues jenseits aller Klischees zu spielen. Brubeck steigt mit Linien ein, doch schon bald sind wieder seine Block-Akkorde zu hören. Ganz hervorragend funktioniert dabei das Zusammenspiel mit Eugene Wright und Joe Morello, der exzellenten und langlebigen Rhythmusgruppe des Quartetts, die bis zum letzten Konzert Bestand haben sollte.
DAVE BRUBECK QUARTET
14. Take Five (Paul Desmond)
Paul Desmond (as), Dave Brubeck (p), Eugene Wright (b), Joe Morello (d)
live, Pittsburgh, Pennsylvania, 26. Dezember 1967
von: Their Last Time Out – The Unreleased Concert, December 26, 1967 (2CD, Sony, 2011)
„Take Five“ nahm seinen Anfang auch auf „Time Out“, eine einfache Vamp-Nummer, skizziert von Paul Desmond als Feature für den Drummer Joe Morello. Das Stück erschien als Single und wurde zum Radio-Überraschungshit des Jahres und zum ersten Million-Seller des Jazz, der ersten Jazz-Single in den Billboard Hot 100-Charts. Der „Take Five“-Rhythmus – ein walzerhafter Dreier gefolgt von einem Kicker in zwei mit Betonung auf Schlag vier – verbreitete sich schnell, tauchte im Thema der TV-Serie „Mission Impossible“ auf ebenso wie in Jethro Tulls „Living in the Past“ oder Nick Drakes „River Man“.
Brubeck hatte, so erinnerte er sich später, mit den Sessions für „Time Out“ gleich drei ungeschriebene Columbia-Gesetze gebrochen: 1. enthielt das Album ausschliesslich Originals und keine Standards; 2. waren die Stücke mit ihren ungraden, manchmal wechselden Metren kaum tanzbar, und 3. hatte das Label davor noch nie ein Gemälde für das Cover eines Jazz-Albums verwendet. Columbia wollte das Album zunächst also gar nicht herausbringen.
Teo Macero legte ein gutes Wort für Brubecks Platte ein, ebenso Goddard Lieberson, der Präsident von Columbia. Wie Macero und Brubeck hatte auch er Komposition studiert und fand grossen Gefallen an der ungewöhnlichen Musik. Es war sogar seine Idee, „Take Five“ und „Blue Rondo à la Turk“ als Single zu veröffentlichen.
Die Version von „Take Five“, die wir hier hören, wurde als Zugabe beim allerletzten Auftritt des längst klassischen Brubeck Quartetts gespielt, am zweiten Weihnachtstag des Jahres 1967. In dieser Version spielt Morello allerdings kein Solo, er hatte direkt davor ein langes Solo gespielt. Doch die Gruppe macht das durch ihre energetische Performance mehr denn wett. Desmond rifft mit viel Verve und scheint noch hier die Möglichkeiten zu erkunden, die das Stück bietet. Brubeck lässt das Ostinato zwischendurch fallen, das er auf der Originaleinspielung fast sklavisch durchgehalten hatte. In seinem Solo wird erneut die Klasse des Tandems Wright/Morello spürbar, das ihn zugleich weich bettet und anspornt. Mit einer magischen Performance endete diese grossartige Combo. Brubeck, der die Band auflöste, weil er sich zurückziehen wollte, war zwar wenige Monate später wieder zurück, aber Desmond gehörte nicht mehr zur neuen Gruppe, stiess jedoch hie und da als Gast noch dazu.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 - 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba