Antwort auf: West Coast Jazz: Modern Jazz in San Francisco + Spotlight on Dave Brubeck

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gypsy goes jazz 19 – Goin’ West: Modern Jazz in San Francisco

1. Cal Tjader – Guarachi Guaro (1954)
2. Cal Tjader – Happiness Is a Thing Called Joe (1958)
3. Cal Tjader – Mambo Moderno (1954)
4. Cal Tjader – Brew’s Blues (1955)
5. Dave Brubeck Quartet – Audrey (1954)
6. Brew Moore Quintet – Rose (1956)
7. Sandole Brothers – Arabu (1955)
8. Brew Moore – Fools Rush In (live) (1955)
9. Vince Guaraldi Quartet – Calling Dr. Funk (1956)
10. Ron Crotty Trio – The Night We Called It a Day (1956)
11. Paul Desmond – Misty Window (1954)
12. Vince Guaraldi Trio – Cast Your Fate in the Wind (1962)
13. Vince Guaraldi Trio – Manhã de Carnaval (1962)
14. Vince & Bola – The Days of Wine and Roses (1963)
15. Jerome Richardson – Candied Sweets (1959)

CAL TJADER
1. Guarachi Guaro (Gillespie–Fuller)

Cal Tjader (vib), Manuel Duran (p, claves), Carlos Duran (b), Bayardo Velarde (timb, cga), Edgard Rosales (cga, maracas)
Marines Memorial Theater, San Francisco, California, 21. September 1954
von: Tjader Plays Mambo (Fantasy; CD: Fantasy/OJCCD)

Dass jemand an der West Coast genuine Latin Musik machen sollte, war damals ziemlich unwahrscheinlich – doch Cal Tjader (1925–1982) tat genau das, obgleich er mit seiner schwedisch-amerikanischen Herkunft und den Wurzeln in Missouri ein noch unwahrscheinlicherer Kandidat war. Seine Eltern traten beide in Vaudeville-Shows auf, Tjader hatte seinen ersten Kontakt mit dem Show Business als zehnjähriger Stepptänzer. 1927 war die Familie nach San Marco in Kalifornien gezogen, wo der Vater ein Tanzstudio eröffnete. Cal diente nach der High School in der Navy und studierte dann dank der G.I. Bill an der San Francisco State. Andere Studenten dort waren Paul Desmond (damals noch Breitenfeld) oder Ron Crotty. Tjader wechselte ans Mills College und wurde dort Teil einer eingeschworenen Avantgarde-Gruppe um Dave Brubeck – wir hörten in der letzten Sendungen Aufnahmen des Brubeck Oktetts und des Brubeck Trios mit Tjader am Schlagzeug bzw. an den Bongos.

In den frühen Fünfzigern zog Tjader mit George Shearings erfolgreichem Quintett durch die Lande. Er kam auch an die Ostküste, wo er der Musik von Machito oder Tito Puente begegnete. Das führte zur entscheidenden Wende. 1954 gründete er seine erste Mambo-Band, deren sechsmonatiger Gig im Macumba Club in San Francisco zum Erfolg wurde. Die ersten Aufnahmen sind nur wenig ernsthafter als Xavier Cugat, aber die Band machte rasch Fortschritte. Unter den authentischeren frühen Stücken ist das Cover eines Klassikers aus dem Buch von Dizzy Gillespies Big Band, „Guarachi Guaro“ (es ist vermutlich Chano Pozos Stück, aber offiziell läuft es unter den Namen von Gillespie und Gil Fuller, seinem damaligen Arrangeur).


CAL TJADER
2. Happiness Is a Thing Called Joe (Arlen–Harburg)

José „Chombo“ Silva (ts), Cal Tjader (vib), Vince Guaraldi (p), Al McKibbon (b), Mongo Santamaria (cga), Willie Bobo (timb, d)
live, Blackhawk, San Francisco, California, ca. 1957/58
von: Cal Tjader Goes Latin (Fantasy; CD-Twofer: Black Orchid, Fantasy)

Tjader landete zwar in diesen Jahren noch keinen Hit wie das spätere „Soul Sauce“, doch brachte er bei Fantasy ohne Unterlass neue Aufnahmen heraus und machte sich so einen immer besseren Namen. Die Band wurde mehrmals umgestellt, in den späten Fünfzigern leitete er seine womöglich beste Combo: Guaraldi, McKibbon (der auch in der erwähnten Big Band von Gillespie dabei gewesen war), Santamaria und Bobo waren allesamt erstklassige Musiker, die in Jazz und Latin gleichermassen glänzen konnten. „Chombo“ stammte aus Kuba. Er nannte gemäss Dick Hadlocks Liner Notes als Vorbilder Al Cohn, Stan Getz und Zoot Sims, doch wie Hadlock richtig feststellt erinnert sein grosser Ton eher an die Coleman Hawkins/Ben Webster-Schule. „Joe“ wurde für Ethel Waters im Film „Cabin in the Sky“ (1943) geschrieben. „Chombo“ spielt ein grossartiges Solo, das Stück gehört ihm ganz. Die Aufnahme entstand 1958 live im ersten Club der Stadt, dem Blackhawk.

CAL TJADER
3. Mambo Moderno (Richard Wyands)

Jerome Richardson (fl), Richard Wyands (p), Al McKibbon (b), Cal Tjader (timb), Armando Peraza (cga, bgo)
San Francisco, California, 6. März 1954
von: Ritmo Caliente (Fantasy; CD-Twofer: Los Ritmos Calientes, Fantasy)

Schon 1954 leitete Tjader kurze Zeit eine hervorragende Band. Al McKibbon war schon damals dabei, ebenso Jerome Richardson (1920–2000) an der Flöte und der Pianist Richard Wyands (*1928). Beide zogen sie bald nach New York, weil die Perspektiven an der Westküste nicht gut genug waren, doch hier hören wir sie in einem Stück der Tjader-Band, mit dem Leader an den Timbales, unterstützt von Armando Perazas Congas. Peraza (1924–2014) war Tjader schon in der Band von George Shearing begegnet und spielte später auch mit Santana.



CAL TJADER
4. Brew’s Blues (Brew Moore)

Brew Moore (ts), Cal Tajder (vib), Sonny Clark (p), Eugene Wright (b), Bobby White (d)
Little Theater, Berkeley, California, 6. Juni 1955
von: Tjader Plays Tjazz (Fantasy; CD: Fantasy/OJCCD)

Cal Tjader war vor allem als Leader seiner Mambo-Band bekannt, als er in den 1955er Polls von down beat die „New Star“-Kategorie der Vibraphonisten gewann. Tjader war jedoch immer zu gleichen Teilen am Jazz wie an der Latin-Musik interessiert. Um seine jazzige Seite hervorzuheben, wurde „Tjader Plays Tjazz“ zusammengestellt, mit Aufnahmen der Band von 1954 (mit dem Gitarristen Eddie Duran, den wir später noch hören) sowie der neuen Gruppe von 1955 mit Brew Moore und Sonny Clark, der in den frühen/mittleren Fünfzigern längere Zeit an der Westküste verbrachte und da auch bei einigen schönen Aufnahmen mitwirkte.

Diese Gruppe, mit dem künftigen Brubeck Quartet-Bassisten Eugene Wright und Drummer Bobby White, hören wir in „Brew’s Blues“, einer einfachen Riff-Nummer mit Moore in der Tradition von Lester Young in Basies Band. Moore und danach Tjader und Clark spielen gute Soli, dann folgen Wechsel mit der Rhythmusgruppe und Wright zitiert in Gershwins „Fascinatin’ Rhythm“.

Zu Tjaders Vibraphonspiel muss noch angemerkt werden, dass er auf einem Instrument, das zu übermässiger Virtuosität einlädt, stets ökonomisch spielt, auf die Linie aus ist, seine Phrasen atmen lässt wie ein Bläser. Für einen Musiker, der als Schlagzeuger begann, ist das noch bemerkenswerter. Er wirkte, so Ted Gioia, auf einem Instrument, das für Extrovertierte geschaffen wurde, fast immer introvertiert. Ähnlich zurückhaltend war auch seine Selbsteinschätzung, Tjader stets sein eigener strengster Kritiker. 1982 starb Tjader während einer Tour in Manila an einer Herzattacke.

DAVE BRUBECK QUARTET
5. Audrey (Dave Brubeck–Paul Desmond)

Paul Desmond (as), Dave Brubeck (p), Bob Bates (b), Joe Dodge (d)
New York City, 12. Oktober 1954
von: Brubeck Time (Columbia)

Nachdem die letzte Sendung ganz Dave Brubeck gehört hatte, ist das Brubeck Quartett hier noch einmal zu hören – mit einem Stück, das so bezaubernd ist wie seine Widmungsträgerin, die unsterbliche Audrey Hepburn. Das Stück ist ein einfacher Blues in Moll, Wright spielt effektive Two-Beat-Linien unter Brubecks Intro und wechselt dann bei Desmonds Einstieg in einen swingenden 4/4-Takt, unterstützt von Morellos Besen. Die Show gehört ganz Desmond, der eins seiner zauberhaftesten Soli spielt, sich von einem Einfall zum nächsten treiben lässt, mit guten – und angemessen zurückhaltenden – Einwürfen Brubecks. Ganz besonders zauberhaft ist der Moment ab 1:58 bis 2:06 – Desmond zieht den Einfall dann noch eine Runde weiter. Brubeck leitet mit weichen Akkorden über zu einem abschliessenden Statement Desmonds, ein frühes Beispiel seiner tollen Fähigkeit, den Blues in seine ganz eigene Spielweise einzubetten.

BREW MOORE QUINTET
6. Rose (John Marabuto)

Dickie Mills (t), Brew Moore (ts), John Marabuto (p), Max Hartstein (b), Gus Gustofson (d)
Marines Memorial Hall, San Francisco, CA, 15. Januar/22. Februar 1956
von: The Brew Moore Quintet (Fantasy; CD: Fantasy/OJCCD)

Brew Moore wurde 1924 in Indianola, Mississippi geboren. 1954 kam er nach San Francisco und liess sich da für eine längere Zeit nieder („Have no tux, will not travel!“). Bei Fantasy konnte er zwei Alben unter eigenem Namen veröffentlichen. Vom ersten hören wir heute zwei Kostproben. „For Rose“ stammt aus der Feder des Bay Area-Pianisten John Marabuto, der ebenso wie all die anderen Sidemen völlig unbekannt ist (er hatte u.a. mit Cal Tjader und Nick Esposito gespielt und war von Beruf Klavierstimmer). Hartstein gehörte zu den Musikern, die es von Indiana an die Westküste zog, Gustofson war ein Marine, aus San Francisco, der 1956 mit Woody Hermans „Third Herd“ loszog und davor auch mit Georgie Auld, Gerald Wilson und dem Lokalmatador Vernon Alley gespielt hatte.

Trompeter Dickie Mills zog 1956 nach Paris, wie Gustofson hatte er an der San Francisco State gelernt. Sein Vorbild war Charlie Parker, über Brew Moore sagte er, dieser sei „the most relaxed and honest musician I have ever worked with“. Entspannt geht es auch auf dem Album zu und her, Moore spielt mit einem leicht verhangenen Ton, Lester Young mit Schleier, gewissermassen (Moore sagte angeblich einmal „Anybody who doesn’t play like Lester Young is wrong“). Wenn die Stimmung hier insgesamt entspannt ist, dann ist Moore geradezu tiefenentspannt, vermutlich hat er geschlafen, währenddem er solche Soli blies. Moore zog sich 1959 von der Szene zurück – er war ein schwerer Trinker, daher auch sein Übername. Mit Ausnahme der Jahre 1967 bis 1970 war er danach in Kopenhagen daheim, wo er 1973 verstarb. In den USA entstanden nach den beiden Fantasy-Alben keine Aufnahmen mehr.


SANDOLE BROTHERS
7. Arabu (Adolph Sandole)

prob. Art Farmer (t), Sonny Russo (tb), Teo Macero (ts), Adolph Sandole (bari), Al del Governatore (p), Milt Hinton (b), Clem De Rosa (d)
New York, Juli 1955
von: Modern Music from Philadelphia by the Brothers Sandole (Fantasy; CD: The Sandole Brothers, Fantasy)

Dieses Stück, diese Band in einer Sendung zu San Francisco zu präsentieren ist etwas an den Haaren herbeigezogen, doch da eine Boston-Sendung kaum zustande kommen dürfte und da Fantasy eine kleine Reihe mit „Modern Music from …“ produzierte, möge dieses schönen Stück stellvertretend dafür hier gespielt sein. Es stammt aus der Feder von Adolph Sandole (1922–1959), dessen Bruder, Gitarrist Dennis (né Dionigi Sandoli, 1913–2000), hier ausssetzt.

„Arabu“ präsentiert den Gast Teo Macero mit einem tollen Solo am Tenorsaxophon – man kann wohl mehr als einen oberflächlichen Tristano-Einfluss heraushören, Macero spielt eigentlich nicht einmal cool … aber dann überschlägt sich sein Ton plötzlich und gewinnt – über dem begleitenden Ensemble – auch an Kontur und Kraft. Macero sollte sich später vor allem als Produzent einen Namen machen, war damals aber auch noch regelmässig als Musiker anzutreffen, etwa mit Charles Mingus oder Teddy Charles.

Von den Sandoles hörte die Jazzwelt leider nicht mehr viel nach diesem Album, auch vom Pianisten Al del Governatore, den Barry Ulanov in seinen Liner Notes als „brillanten Musiker“ beschreibt, nicht. Doch die Kompositionen Adolphe und Dennis Sandole haben ihre ganz eigene Note und „Arabu“ zählt für mich zu den schönsten.

BREW MOORE
8. Fools Rush In (Where Angels Fear to Tread) (Mercer–Bloom)

Brew Moore (ts), Eddie Duran (g), Vince Guaraldi (p), Dean Reilly (b), Bobby White (d)
live, University of California, Berkeley, California, August 1955
von: The Brew Moore Quintet (Fantasy; CD: Fantasy/OJCCD)

Brew Moore zum dritten und letzten – und was für ein tolles Solo! Die Band war bei diesem Live-Auftritt eine andere, Eddie Duran (davor auch bei Cal Tjader) ist an der Gitarre im Hintergrund kaum zu hören, die Show gehört ganz Brew Moore. Und der spielt ein Solo, das seine besten Qualitäten zum Vorschein bringt: Soul, Swing und eine seltene Gabe für Melodien.

Die korrigierten Angaben zur Besetzung, die Fantasy verschweigt (es gibt einzig einen Hinweis in Ralph J. Gleasons Liner Notes, das Stück sei „cut at a concert at the University of California“, das reicht aber nicht einmal, um die Stadt zu bestimmen) stammen übrigens von hier:
http://www.organissimo.org/forum/index.php?/topic/32734-brew-moore/&do=findComment&comment=624782

VINCE GUARALDI QUARTET
9. Calling Dr. Funk (Vince Guaraldi)

Jerry Dodgion (as), Vince Guaraldi (p), Eugene Wright (b), John Markham (d)
San Francisco, CA, ca. 1956
von: Modern Music from San Francisco (Fantasy, 1956; CD: The Jazz Scene: San Francisco, Fantasy)

Die nächsten zwei Stücke stammen von der „Modern Music from …“-Scheibe, die Fantasy seiner Heimatstadt San Francisco gewidmet hat. Diese erste katapultiert uns in Hard Bop-Territorium, wenigstens was die Atmosphäre (weniger den Beat von Swing-Drummer John Markham) der funky Bluesnummer betrifft – der Titel verrät bereits, worum es geht.

Jerry Dodgion (*1932) ist hier die grosse Überraschung, ein Saxophonist, den man eher als dezenten Flötisten hinter Sinatra (Markham war auch dabei, es gibt eine Live-Aufnahme aus Australien, 1959) oder als Big Band-Section-Musiker kennt. Hier spielt er ein erdenschweres, bluesgetränktes und dennoch sehr elegantes Altsax. Er stammt aus Richmond in Kalifornien, vom gegenübliegenden Ende der Bay. Gemäss Gleasons Liner Notes ist Charlie Parker sein Lieblingsmusiker, auch er hatte mit Vernon Alley und Gerald Wilson gespielt, mit diesem auch Aufnahmen gemacht. Auch mit Benny Carter spielte er, und man kann das seinem Ton möglicherweise anhören, er ist neben Moore oder Desmond zwar merklich moderner, aber im Ton merkt man auch bei ihm Spuren des älteren Jazz. Der zweite Solist ist Sonny Clark, schon recht gut erkennbar mit seinem reduzierten Spiel, seiner typischen Phrasierung, den leichten Dissonanzen, den Punktierungen der linken Hand – einer der besten und eigenwilligsten Pianisten des Hard Bop, was sich vor allem auf der in schneller Folge entstehenden Blue Note-Alben zeigen sollte, die nach seiner Rückkehr nach New York im Jahr darauf entstanden.

RON CROTTY TRIO
10. The Night We Called It a Day (Dennis–Adair)

Eddie Duran (g), Vince Guaraldi (celesta), Ron Crotty (b)
San Francisco, CA, ca. 1956
von: Modern Music from San Francisco (Fantasy, 1956; CD: The Jazz Scene: San Francisco)

Die Wahl dieses Stückes ist kein Zufall, denn auch der Komponist Matt Dennis (1914–2002) stammt aus Nordkalifornien (geboren wurde er in Seattle, Washington). Zu seinen bekanntesten Songs zählen „Angel Eyes“, „Everything Happens to Me“, „Will You Still Be Mine“ und „The Night We Called It a Day“ (Frank Sinatra nahm ihn als ersten Song unter eigenem Namen auf, Bob Dylan sang ihn dieses Jahr in Lettermans zweitletzter „Late Show“).

Ron Crotty ist hier der nominelle Leader, 1929 in San Francisco geboren spielte er mit Dave Brubecks frühen Gruppen, aber auch mit Brew Moore, earl Hines und anderen. Er verstarb diesen Frühling:
http://www.artsjournal.com/rifftides/2015/05/ron-crotty-bassist-1929-2015.html
Das Stück hat durch die Celesta von Vince Guaraldi einen etwas eigenartigen Klang, aber hier geht es in erster Linie um die feine Gitarre von Eddie Duran (*1925), der Mitte der Fünfziger mit seinen beiden Brüdern Carlos (p) und Manuel (b) zu Cal Tjaders Combo stiess, nachdem sein Kinheitsfreund Guaraldi ihn mit Tjader bekannt gemacht hatte.

PAUL DESMOND
11. Misty Window (Dave Van Kriedt)

Dick Collins (t), Paul Desmond (as), Dave Van Kriedt (ts), Bob Bates (b), Joe Dodge (d)
Radio Recorders, Hollywood, CA, Oktober 1954
von: Desmond (Fantasy; CD-Twofer: The Paul Desmond Quintet/Quartet; Fantasy)

Paul Desmond nahm im Laufe seiner langen Jahre bei Brubeck nur selten als Leader auf, hatte mit seinem Boss den Deal, dass er dies zudem stets ohne Klavier tun würde. Hier wirken ein paar alte Oktett-Kollegen und auch Kollegen aus dem Brubeck Quartett mit. Dave Van Kriedt hat das Stück geschrieben und wohl auch arrangiert. Dick Collins kriegte für die Aufnahme eine Nacht frei, er spielte damals mit Woody Hermans Big Band. Sein Solo hier ist viel zu kurz, doch sein brillanter Ton, der ihn doch nie zum virtuosen Überspieler werden lässt, kommt schön zur Geltung. Van Kriedts Tenor ist von derselben Machart wie jenes von Brew Moore, aber ihm fehlt der rhythmische Impetus. Eine kleine Miniatur von Desmonds Debut als Leader, das auch ein paar seltsame Stücke mit Vocals enthielt.

VINCE GUARALDI TRIO
12. Cast Your Fate in the Wind (Guaraldi)
13. Manhã de Carnaval (Jobim–Bonfa)

Vince Guaraldi (p), Monty Budwig (b), Colin Bailey (d)

Station KQED, San Francisco, CA, Februar 1962
von: Cast Your Fate in the Wind: Jazz Impressions of Black Orpheus (Fantasy; CD: Fantasy/OJCCD)

Vince Guaraldi hatte seinen big break bei Cal Tjader. Beide verbanden sie lyrische Melodien mit packenden Rhythmen. Guaraldi (1928–1976) stammte aus San Francisco, seine grössten Erfolge feierte er wohl durch seine Kompositionen für die Animationsfilme der „Peanuts“. Auch er gehörte zur San Francisco State-Szene. Guaraldi diente im Korea-Krieg als Koch. Danach spielte er in den Fünfzigern immer wieder mit Cal Tjader, leitete zwischendurch aber auch ein eigenes Trio mit Eddie Duran (g) und Dean Reilly (b), tourte mit Woody Hermans Big Band, arbeitete in Combos von Sonny Criss, nahm mit Frank Rosolino oder Conte Candoli auf.

Doch Guaraldi war ein Leader, verliess 1959 Tjader, kehrte kurz zu Herman zurück, gehörte kurze Zeit zu Howard Rumseys Lighthouse All Stars und machte sich schliesslich selbständig. Ein weiser Entscheid, denn mit „Cast Your Fate in the Wind“ landete er umgehend einen grossen Hit und seine Karriere blühte während der Sechziger, als die meisten Jazzmusiker ums Überleben zu kämpfen hatten.

Guaraldis Erfolg hing mit einem Film zusammen, der 1959 in Cannes für Aufsehen sorgte, „Orfeu Negro“, Marcel Camus’ bezaubernde Adaption des Orpheus-Mythos, verlegt in das gegenwärtige Rio de Janeiro während des Karnevals. Die Musik steuerten Luiz Bonfa, Antonio Carlos Jobim und João Gilberto bei, das zugrundeliegende Stück stammte von Vinicius de Moraes – und so ist der Film in musikalischer Hinsicht eine Art Bossa Nova avant la lettre. Wir hören als zweites Stück von Guaraldis Trio aus dem Filmsoundtrack Bonfas „Manhã de Carnaval“, das rasch zum Klassiker wurde.  

VINCE GUARALDI & BOLA SETE
14. The Days of Wine and Roses (Henry Mancini)

Vince Guaraldi (p), Bola Sete (g), Fred Marshall (b), Jerry Granelli (d)
San Francisco, 1963
von: Vince Guaraldi/Bola Sete and Friends (Fantasy; CD-Twofer: Vince & Bola, Fantasy 2000)

In Bola Sete fand Guaraldi einen musikalischen Partner, der so gut passte wie früher Cal Tjader. Sete, 1923 in Rio als Djalma de Andrade geboren, war – wie seine Kollegen Laurindo Almeida und Luiz Bonfa – schon vor dem Erfolg der Bossa Nova aktiv und transzendierte diese musikalisch zugleich. Alle drei spielten schon in den Vierzigern sehr „moderne“ Musik, formten einen neuen Gitarrenstil, der sich von der traditionellen Samba-Spielweise abhob. Sete suchte früh Kontakt mit anderen Stilen und Musikern, ging in den Fünfzigern auf Tournee in Lateinamerika und Spanien und bald auch in die USA. 1962 traf er auf Dizzy Gillespie, der ihn schon im Rahmen einer vom State Department gesponserten Tour in Brasilien gehört hatte. Gillespie führe Sete in Jazzkreise ein, überzeugte Jimmy Lyons, den Gründer des Monterey Jazz Festivals, Sete als Solisten wie auch als Gast mit Gillespies Band zu buchen – und das wurde der Abend in Setes Karriere.

Sete begann darauf, für Fantasy als Leader und auch gemeinsam mit Guaraldi Alben aufzunehmen – dieser hatte den Monterey-Auftritt erlebt und war sofort zum Fan geworden. Die beiden waren äusserst erfolgreich, sie traten von 1963 bis 1966 zusammen auf, es entstanden drei LPs. Am Vortag vor der Session zum ersten, aus dem wir eine Kostprobe hören, spielten sie zum ersten Mal zusammen – „and nothing came out the way we rehearsed it! It was beautiful“, so Guaraldi in seinen Liner Notes. Die Chemie zwischen den beiden war von Anfang an perfekt. Doch mit der Zeit zeigte sich, dass Guaraldi und Sete verschiedene Vorstellungen hatten, zudem kam Guaraldi nicht damit klar, dass der geborene Showman Sete meist mehr Applaus einheimste.



JEROME RICHARDSON
15. Candied Sweets (Richard Wyands)

Jerome Richardson (ts), Richard Wyands (p), George Tucker (b), Charlie Persip (d)
Van Gelder Studio, Englewood Cliffs, New Jersey, 21. Oktober 1959
von: Roamin’ with Richardson (Prestige/New Jazz; CD: OJCCD/Fantasy)

Den Abschluss macht heute eine Aufnahme, die in Rudy Van Gelders Studio in New Jersey entstanden ist – doch die beiden zentralen Figuren sind Jerome Richardson und Richard Wyands, die beiden Musiker aus San Francicso, die wir zu Beginn der Sendung mit Cal Tjader gehört hatten. Mit Wyands Stück „Candied Sweets“, einem Abstecher nach Bluesville, schliesst Richardsons zweites Prestige-Album und wohl das beste der wenigen Leader-Alben, die er machen konnte.

Nach dem eingängigen Thema, das über einen Two-Beat von Tucker/Persip präsentiert wird, spielt Wyands ein langes Solo, im Gestus nicht weit von Sonny Clark entfernt, aber weicher, fliessender gespielt. Richardson, der sich einen Namen als Multi-Instrumentalist machen sollte (er spielte hauptsächlich Flöte sowie Sopran-, Tenor- und Baritonsaxophon, wirkte später u.a. als tragender Pfeiler der Big Band von Thad Jones und Mel Lewis) folgt mit einem tollen Solo am Tenorsaxophon, zupackend phrasiert, mit grossem Ton – und einem hübschen Zitat von „Bei Mir Bistu Shein“.

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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba