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gypsy-tail-wind@gruenschnabel Das mit Jaco ist wohl bei vielen (einst auch bei mir) beim Einstieg der Fall … und manche merken dann halt, dass es noch ganz andere Sachen von WR gibt (und wiederum manche finden diese dann deutlich besser
) – das mit der Suche mag so sein, ich bin sogar sofort bereit, das zu glauben … und das hatte alles auch mit dem „Personal“ zu tun, aber da halte ich dem nicht uneintlen Miroslav Vitous wohl die Stange, wenn er herumposaunt, einen besseren Bassisten als ihn hätte die Gruppe nie gehabt. Zudem finde ich Alphonso Johnson bei WR unterm Strich wohl gerade so gut und funky wie seinen Nachfolger Jaco. Wo ich bei der Theorie mit der Suche aber ein Fragezeichen dahintersetzen würde ist beim „Einrasten“ bzw. der Richtung. Ich vermute mal eher nicht, dass Zawinul/Shorter 1971 schon wussen, wo sie hinwollten, und dass sie sich bei „Heavy Weather“ auf die Schulter klopften und sagten: „we made it!“ – sondern dass auch dieses „Einrasten“ erst möglich wurde durch die Entwicklung davor (und eben: rastete nicht mit Alphonso Johnson auch schon was ein? „Tale Spinnin’“ ist doch ein super Album, und „Black Market“, auf dem er und Jaco zur Hälfte zu hören sind, ebenfalls). Ich höre so gesehen „Heavy Weather“ vielleicht tatsächlich eher als einen Schlusspunkt einer Tangente (die danach für mich auch mehr oder minder zum Stillstand kommt, ich habe neben dem Live-Set, das ja diese Diskussion auslöste, nur noch „8:30“).
Die Sache mit dem Kunstwerk im Würfel ist doch gar nicht so anders, als wenn Du sagst: perfekter Pop. Pop hat immer etwas Artifizielles, und genau darauf wollte ich mit dem Steely Dan-Vergleich ebenfalls hinaus, auch das ist für mich irgendwie totale Plasticmusik, flach und tot – und natürlich dennoch genial. Da ist aber wohl auch irgendwie meine Sozialisierung mit Jazz (und weiterer afro-amerikanischer Musik, vom Blues bis zum Soul und Funk) etwas, was mich prägt. Ich hatte bei Prince z.B. längere Zeit Mühe mit dem, was gemeinhin als seine Meisterwerke gelten – die Alben danach mit der New Power Generation mit ihrem pumpenden Live-Sound waren mir immer naher, auch wenn ich mich da längst (jüngst wieder durch die Box von „1999“) angenähert habe. Dass WR quasi den Gang vom „Free“* zum Pop gingen, ist da eben auch eine massive Veränderung des Klangbildes im Gang. In den Siebzigern klingen sie halt dann auch irgendwann total nach der Zeit, eben Musik, die in eine Form gepresst wird, nicht nur vom Material her, sondern auch vom Klangbild her.
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*) Sag ich jetzt einfach mal so, ist mir schon klar, dass sie nie Free Jazz machten, aber mich dünkt bei den ersten Fusion-Bands – auch Lifetime, Mahavishnu in der ersten Besetzung … da übrigens danach auch eine Entwicklung, an der ich keinerlei Interesse mehr habe – herrschte ein ähnlich offener Geist, der natürlich an anderen Einflüssen interessiert war als die Free Jazzer, an Jimis Bluesgitarre oder an brasilianischer Musik, wenn wir noch RTF dazunehmen (eigentlich bevor sie so hiessen, danach … die alte Leier), aber das spielte bei WR ja auch eine Rolle.
Mit Jaco hatten sie später einen kaum weniger eitlen Bassisten… hat der sich nicht mal als besten der Welt bezeichnet? Ist aber auch egal: Vitous und Pastorius haben WR deutlich und jeweils unnachahmlich beeinflusst. Problem für Zawinul/Shorter: Sie wollten Richtung Funk und ausgeprägterem Groove, Vitous wollte das nicht. Alphonso Johnson bot ihnen genau das, und Zawinul selbst bezeichnete „Mysterious traveller“ als den Durchbruch, den er sich gewünscht hatte. Insofern höre ich es auch so: In puncto Funk steht Johnson nicht hinter Pastorius zurück. Letzterer hatte aber insgesamt für meine Begriffe eine ausgefallenere, farbigere, auffälligere Spielweise, eine bis dato einzigartige und markant-unverwechselbare (Bass-)Stimme. Johnsons Spiel ordnet sich mehr ein – und womöglich auch unter.
Das mit der Richtung: Du hast sicher Recht, dass es natürlich Entwicklungen gab. Das mit dem „Einrasten“ war von mir ein vielleicht nicht ganz treffender Begriff dafür, dass Jaco für die Meisten inklusive Zawinul/Shorter wohl zum „Signature-Line Up“ gehört, er im Nachhinein als genau passendes Teil des Gebildes angesehen werden kann.
Das mit dem Plastikwürfel bleibt mir etwas fremd. Vielleicht verwendest du die Begriffe „artifiziell“ und „Pop“ auch einfach in einem Sinne, den ich nicht durchschaue. Ich habe auch Schwierigkeiten damit, die Begriffe „flach“, „tot“ und „genial“ in Bezug auf Musik zusammenzubringen. Aber beim Thema ‚Prince‘ kann ich mich erinnern, dass wir beide da einmal schon kurz unsere Einigkeit darin gefunden hatten, den „Live-Sound“ mehr zu schätzen als diesen plastikmäßigeren hochgelobten Minneapolis-Sound. Das ist bei mir trotz „1999“-Box auch bislang so geblieben. Mit einem solchen Plastik-Sound bringe ich WR kaum in Verbindung, vielleicht die ganz späten Jahre so ein bisschen. Wie ich weiter oben schrieb, halte ich sie mindestens bis Mitte der 70er für eine klanglich originelle, fantasievolle, eigenständige Band. Zeitgemäß, klar. Aber erstens ist das für mich grundsätzlich alles andere als ein Minuspunkt, und zweitens waren sie diesbezüglich überhaupt nicht epigonal, sondern markierten ihr ganz eigenes Ding. Ich kenne jedenfalls nichts, was schon vorher so klang wie sie. (Muss aber eingestehen, dass ich auch nicht gerade den ganz großen Überblick habe.)
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