Antwort auf: Der letzte Film, den ich gesehen habe (Vol. II)

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demon

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Passt hier auch ein 3-teiliger deutscher Fernsehfilm aus dem Jahr 1972 rein ?

Der Illegale

Die Geschichte eines sowjetischen Spions, der sich ungefähr im Zeitraum zwischen 1954 und ’70 in der BRD aufhält. Angeblich durch wahre Begebenheiten inspiriert, auch wenn die sich wohl nicht alle auf dieselbe Person bezogen.

Am letzten WE auf YouTube geschaut – und ich war hin und weg. Ich hab den Film gleich einem Freund empfohlen, der für solch ein Thema eigentlich etwas übrig hat, aber er hat erst mal gemauert: 1972, da hätte man doch die Kommunisten nur sinnlos dämonisiert, und/oder sei es wahrscheinlich ein schlechter James-Bond-Abklatsch!

NEIN! Genau das ist „Der Illegale“ nicht!

Der Held des Films – gespielt von Götz George – ist überzeugter Kommunist, wird aber so menschlich dargestellt, dass der (westdeutsche) Zuschauer vom ersten Moment an mit ihm sympathisieren kann. Die wenigen Situationen, wo er sich von der westlichen Gesellschaft wirklich angewidert zeigt, die sollten 1972 eigentlich nachvollziehbar gewesen sein. (Heute sind sie es erst recht.) Und als Superheld à la James Bond wird er auch nicht präsentiert; er ist einfach nur zielstrebig, konzentriert und tüchtig. (Man könnte freilich auch kritisieren, dass die ideologischen Differenzen zu wenig thematisiert werden.)

Auch die anderen Russen werden (abgesehen von ihrer dauernden Sauferei?) realistisch dargestellt: Es gibt sympathische Helden, es gibt Bürokraten, es gibt rücksichtslose Kommissköppe, und es gibt Kleingeister – nicht anders als bei uns.

Überraschend für einen Agenten-Thriller: Der Film kommt fast gänzlich ohne Gewalt aus!

Sozusagen nebenbei ist der Film auch ein Rückblick auf westdeutsche Kultur und Lebensart von den 50ern bis Ende der 60er. Ok, wie korrekt das ist, das kann ich (Jg. ’60) nicht komplett beurteilen, aber es passt alles zu dem, was ich davon weiß. (Z.B. erkenne ich das Modell einer Aktentasche, die auch mein Vater besaß. Und ein Automaten-Unternehmer ist bis ins Detail das Abbild einer Person, den ich aus meiner Kindheit kenne!) Anachronismen sind mir dabei nur ganz wenige aufgefallen: Ein Kofferradio in den 50ern kam mir viel zu modern vor. In einer späteren Szene wurde in einer Bar R’n’R gespielt und dazu getanzt, als diese Musik m.W. eigentlich schon wieder aus der Mode war. Und ein Ford Capri war möglicherweise „zu früh“ zu sehen! Aber das ist Jammern auf hohem Niveau…

In der Bildersprache gibt es mindestens zwei „Obsessionen“. (Ich verrate euch die jetzt aber nicht.) Sie ziehen sich wie ein roter Faden durch den Film, und ich hatte an einer großen Spaß.

Es gibt erstaunlich „modern“ inszenierte Passagen, wo der Zuschauer von jetzt auf gleich in einen neuen Handlungsstrang geschmissen wird. Und es gibt Szenen, wo eine langwieriger Vorgang fast in Echtzeit gezeigt wird; die Spannung besteht dann z.T. darin, dass sich der Sinn aller Details erst nach und nach erschließt.

Und nicht zuletzt: Der Einsatz der Filmmusik (Martin Böttcher) ist stellenweise ein absolutes Highlight. In der Szene, wo der Held seine Spionage-Technik in einer Standuhr versteckt. ist mir beinahe der Atem weggeblieben – obwohl der Vorgang von der Sache her zunächst keineswegs spannend ist.

Negatives? Ok, here we go:

Dass der Held sich freiwillig dem KGB andient, obwohl ihn die sowjetische Führung zuvor schon mal ins Straflager gesteckt hatte, ist nicht so leicht nachvollziehbar. Aber selbst Richard Sorge soll ja Stalin als „Ausrutscher“ der Geschichte angesehen haben, der ihn nicht vom Engagement für den Kommunismus bzw. die Sowjetunion abhalten könne.

Und Götz George zeigt an Mimik, Sprechweise, Bewegungen exakt dasselbe wie später Schimanski. Also, von schauspielerischer Wandlungsfähigkeit möchte ich da nicht sprechen…

Mein Fazit: ★★★★ Höchst wertvoll!

zuletzt geändert von demon

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