Antwort auf: 2020: Jazzgigs, -konzerte & -festivals

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Taktlos 2020 – Zürich, Kunstraum Walcheturm – 12.03.2020

Bar jeder Vernunft und Solidarität ging ich gestern hadernd doch noch einmal raus – das letzte Mal bis mindestens Ende April, wie es scheint. Zum dritten Mal findet das Taktlos Festival unter der neuen Trägerschaft statt, dieses Mal kuratiert von Sylvie Courvoisier, und wegen Corona schon vor Beginn von einigen Ausfällen betroffen (Mary Halvorson „Code Girl“ reist aus verständlichen Gründen nicht nach Europa). Ich besuchte mit einem Freund die ersten beiden Sets, das dritte liessen wir dann weg.

Sylvie Courvoisier/Mark Feldman | Sylvie Courvoisier – p / Mark Feldman – v
Den Auftakt machte die Kuratorin gleich selbst, im Duo mit Mark Feldman, ihrem Lebens- und langjährigen musikalischen Partner. Das Set bestand aus zwei längeren Blöcken, es wurde frei improvisiert, aber besonders bei Feldman schlichen sich immer wieder Versatzstücke von vermeintlich Vertrautem herein, Melodiefetzen, Riffs, einmal schein er etwas von Bach zu spielen, aber verfremdete es durch die Spielweise und eine eigenwillige Intonation stark. Beiden gegenüber bleibe ich weiterhin ambivalent, Courvoisier spielte wie üblich recht grob auf, direkt, relativ undifferenziert – aber doch mit einer Vielzahl von Ideen, wozu auch das Spiel im Innern des grossen Konzertflügels gehörte. Mich berührte das nicht sehr, aber es war am Ende doch ein schönes Set, bei dem die beiden sich genau zuhörten, gemeinsam Dinge entwickelten, sich aber auch hie und im guten Sinn sabotierten, nicht einfach etwas laufen liessen, was zu einfach gewesen wäre.

Cory Smythe Solo | Cory Smythe – p, elec
Als zweites trat dann Cory Smythe auf, der Pianist, der unter anderem schon mit Anthony Braxton oder Tyshawn Sorey gearbeitet hat, aber auch als Begleiter der Geigerin Hilary Hahn auf deren wohl bisher ambitioniertesten Projekt wirkte („In 27 Pieces: The Hilary Hahn Encores“). Smythe lernte wohl vor allem bei Luba Edlina-Dubinski, der Frau des ersten Geigers des Borodin Quartetts (und nachdem sie sich 1975 in die USA abgesetzt hatten, neben ihrem Mann Pianistin des Borodin Trios), er bewegt sich mit Leichtigkeit zwischen Stilen und auch sein Konzert von gestern Abend lässt sich nicht so leicht in eine Schublade stecken. Das Set begann ruhig, es dauerte wohl zehn Minuten, bis ich allmählich über die bloss oberflächliche Faszination hinaus und in die Musik hinein fand. Smythe bearbeitete die Klaviertöne in Echtzeit elektronisch, ergänzte kleine Verzerrungen oder Verschiebungen der Tonhöhe im Mikrobereich, auch er griff öfter in die Saiten und lotete aber auch wirklich die Möglichkeiten des Instruments aus. Sein Set hatte eine Geschlossenheit, die in der Improvisation eher selten zu finden ist, obwohl von ganz leisen Klängen bis zu lauten Klangwellen alles drin war. Ein meisterhafter Pianist, dem ich auch gerne noch etwas länger gelauscht hätte. Aber klar, die Gedanken waren unter den Umständen nie ganz bei der Sache, und es fällt mich auch überhaupt nicht leicht, dazu etwas zu schreiben.

Angesichts der vorhin verkündeten Massnahmen (keine Veranstaltungen mit mehr als 100 Personen, maximal 50 Personen in einem Restaurant, einer Bar, einem Club, Schulen bis Ende April geschlossen bzw. bei den höheren und Universitäten Verzicht auf Präsenzunterricht usw.) ist das Festival jetzt auch halbwegs gestoppt – Leute mit im Vorverkauf erworbenen Karten dürfen rein (wenn sie denn noch wollen), alle anderen nicht. Vorgehabt hatte ich heute den Besuch eines Konzertes des Tonhalle-Orchesters, aber da fällt jetzt eh alles aus … es ist zum Heulen (ich hab wohl für 12 oder noch mehr Konzerte bis Ende April Karten … Geld kriegt man schon zurück, klar, aber darum geht es ja gar nicht) – aber es ist nach meinem Verständnis auch absolut richtig, und möglicherweise zu spät. Das Absurde dabei ist halt bloss, dass die Arbeitswelt auch die entsprechenden Massnahmen ergreifen müsste, dass bei uns aber noch gar nichts getan wurde … aber jetzt ist Wochenende, am Montag mag sich das ändern.

Das Taktlos-Team versucht jedenfalls, die Konzerte von heute und morgen auch via Live-Stream zu verbreiten, falls jemand Lust hat (um 20 Uhr geht es los):
https://www.facebook.com/events/1272651882930553/

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