Antwort auf: Ich höre gerade … klassische Musik!

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gypsy-tail-wind
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yaiza

gypsy-tail-wind
Das Stradivari Quartett (das glaub ich inzwischen gar keine Stradivaris mehr spielt?) ist ja auch von hier, aber auch noch nie gehört … ist ja kein Wunder, die sind eh die ganze Zeit unterwegs und mit der Schweiz allein ist kein Staat zu machen. Die neue Bach-Einspielung von M. Weber (Cellistin und wohl Boss der Stradivaris) liegt leihweise seit Dezember hier auf dem Stapel, die Begleitworte dazu waren mässig neugierig machend und da ich immer noch am 2019er-Stapel bin hörte ich noch nicht rein (es handelt sich um die erste Veröffentlichung des geschassten Sony-Schweiz-Klassikchefs, der ein eigenes Label gestartet hat … ach, vielleicht hör ich nach Myra Hess doch gleich mal ein paar Stücke daraus).

ich glaube, sie haben zwei Stradivari-Instrumente – das Cello ganz sicher … Im Zsh. mit dem Konzert des Quartetts hatte ich auch mehr, teilw. krasse Artikel, zu diesem ganzen Stradivari-Geschäft gelesen (ein Lob auf’s Internet), z.B. aus SZ-Magazin (2013) über das ehem. Machold-Imperium…
ich hatte ganz stark das Gefühl, dass das mit der Orga von Reisen rund um ihre Konzerttermine ihr Modell ist… will heißen, sie bringen sich ihr Publikum selbst mit. Da gibt es dann Stradivari-Festivals in verschiedenen Städten. In der Schweiz lag vielleicht der Flyer für Berlin aus und hier in Berlin gab es mit dem Programmzettel einen Flyer für eine Reise mit verschiedenen Terminen in den Alpen. Irgendwo hatte ich gelesen, dass Maja Weber unabhängig sein wollte; sie organisiert selbst die Events und kann sich da komplett einbringen. Sie hält ja ein Unternehmen am Laufen. Bei der Reservierung war mir schon aufgefallen, dass die besten Plätze en bloc weg waren, aber das mit dem Reisebetrieb verstand ich erst vor Ort so richtig, hatte ich bisher auch noch nicht so gesehen.
Leider wurde das Konzert zerklatscht – aber da ich, wie im Kammermusiksaal üblich auf einem billigen Platz saß, wußte ich nicht woher die „Hauptapplaudierer“ kamen, evtl. ja auch aus der Reisegruppe selbst… Jedenfalls entwickelte sich eine eigenwillige Dynamik… nach jedem Satz Applaus und gefühlt wurde das immer mehr, viele Leute entwickelten richtig Spaß dabei… Vor mir saß auch eine regelm. Besucherin und schüttelte nur den Kopf. An dem Abend (später Sep.) kam viel komisches zusammen. Im Sommer kommen auch viele Touristen, die mal schnell ein Konzert hören möchten (mit Publikumsschwund in der zweiten Hälfte) und lassen sich da vielleicht auch anstecken. Jedenfalls schüttelte ich nachher auch nur mit dem Kopf. Bisher hatte ich das mit dem ‚Zerklatschen‘ nur von der Semperoper als Tourismusmagnet gelesen, nun aber mal selbst erlebt… Ich hätte mich gefreut, wenn sich das Quartett über soviel Zuspruch bedankt und gebeten hätte, beim nächsten Stück bis zum Ende zu warten… aber hinterher ist man immer klüger, erst recht wenn man nicht in der Haut steckt. Sie schienen selbst auch nicht glücklich darüber und ertrugen das wohl irgendwie.

Ist ja am Ende nicht so wichtig, welche Instrumente sie genau spielen – aber das Cello gab Weber gemäss dem Text in der Bach-Einspielung letztes Jahr ab, die Aufnahme war wohl quasi das Abschiedsritual nach 20 Jahren. Was Du zur Erscheinungsform des Betriebs, wie sie ihn pflegen, schreibst, klingt nicht gerade erfreulich, aber so ähnlich hatte ich mir das auch schon vorgestellt (die Website hatte ich aus irgendeinem Grund schon einmal studiert, ich glaub ein grösserer Artikel in der NZZ letzten Sommer/Herbst, in dem Weber eben auch die Sache mit dem an sich wegen Mangel an Stradivaris hinfällig aber zugleich eben längst zur Marke gewordenen Namen des Quartetts erwähnte). Ist alles nicht für mich, weder der gar robuste Bach (mir fiel leider gar das englische Wörtchen „pedestrian“ ein, „robust“ an sich ist ja nicht negativ, auch wenn es beim Tanz, der bei den Cello-Suiten ja doch eine grosse Rolle spielt, siehe z.B. die jüngste Einspielung von Thomas Demenga, zum Nachteil gereichen kann) noch diese Art von Event-Klassik-Betrieb – bei dem ich ehrlich gesagt auch nicht sicher bin, ob er der Weg ist, neues Publikum zu gewinnen. Denn die Stärke ist ja immer noch das kollektive Erleben im Konzert, das Zurückfallen auf sich selbst im Augenblick usw. Das wiederum wird inzwischen ja vom Achtsamkeits-Clan ebenso auszubeuten versucht (nimm Dir Zeit und vergiss alles um Dich herum und erleb was ganz besonderes – schon klar, aber das weiss unsereins auch ohne depperte Lifestyle-Einbettung), aber auch da ist die Art der Vermittlung so, dass sie ausser Brechreiz nicht viel anregt.

Ich werde mich jedenfalls nicht aktiv drum bemühen, Weber und/oder die Stradivaris zu hören. Wenn Bohren mal auftaucht, ein Rezital mit Klavier oder sonstwas Kammermusikalisches, bin ich aber wohl neugierig genug, wenn es sich einrichten lässt.

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