Antwort auf: ROLLING STONE im Januar 2020

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irrlicht
Nihil

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herr-rossi Und ich habe gar keinen Zweifel, dass Mother Monster mal wieder Musik macht, die auch mich begeistert, sie ist ja gerade mal 33 …

Naja und selbst wenn nicht: Was ist das überhaupt für eine unsinnige Diskussion. Seit wann wird eigentlich das Standing eines Künstlers und sein Wirkungsgrad schon während seiner Blütezeit beschlossen? Ob ein Act wie Lady Gaga „musikhistorisch Relevanz“ hatte (sowieso eine fragwürdige Herangehensweise), kann man dann ja gerne in fünfzig Jahren thematisieren.

Es ist ein Unding, Kunst immer direkt an allem anderen messen zu müssen. Am Werk vergleichbarer Acts, an den Hochphasen des Künstlers selbst, am „Musikkanon allgemein“. Ich würde mir manchmal wünschen, dass man sich mehr auf das Geschaffene einlässt, auch Brüche und Veränderungen im Werk eines Menschen zulässt und nicht lediglich das immer gleiche in gleicher Form verlangt. Die Art, wie Musik unters Volk kommt, hat sich nunmal massiv verändert. Das fällt mir regelmäßig auf, wenn ich sehe, dass ein beliebiger Track von Juju oder Capital Bra (um nur relevante Acts des Jahres in Deutschland zu nennen) mit ihren aktuellen Aufnahmen mehr Klicks generieren, als zahllose „Klassiker“ der Musikgeschichte. So übertrumpft bspw. Yacines „Kokaina“ unlängst spielend „Penny Lane“ und ist für die Zielgruppe auch sicher ungleich stilprägender. Verkäufe auf physischer Basis sind heute nicht mehr das zentrale Argument und das wird sich auch nicht mehr umkehren. Auch die Frage, ob heute so etwas wie ein „neuer“ Dylan auf der Landkarte erscheinen könnte, ist mühsig – vermutlich nicht, schon einfach, weil die Strukturen mittlerweile andere sind. Das Überangebot lässt m.E. ein solches „Star-tum“ nur noch bedingt zu und findet eher in kleineren Blasen statt. Und dennoch kennt vermutlich der allergrößte Teil der musikbegeisterten Leute bis 30 heute eher einen Track von Arcade fire, Radiohead oder Kendrick, als die Großwerke von The Who, T. Rex oder Velvet Underground. Letzen Endes muss man einsehen, dass alles seine Zeit hat, auch die Kunst. Es gibt so viel grandiose Musiker und Autoren der Vergangenheit, die heute niemand mehr kennt, so viel Faszinierendes, was heute beliebt ist, aber vermutlich in zwanzig Jahren nur noch eine Insidernische anspricht.

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Hold on Magnolia to that great highway moon