Antwort auf: Konzertimpressionen und -rezensionen

#10934913  | PERMALINK

gypsy-tail-wind
Moderator
Biomasse

Registriert seit: 25.01.2010

Beiträge: 67,009

Zürich, Tonhalle-Maag – 24.11.2019

Tonhalle-Orchester Zürich
Alondra de la Parra
Leitung
Pablo Sáinz Villegas Gitarre
Miriam Albano Mezzosopran

Joaquín Rodrigo „Concierto de Aranjuez“ für Gitarre und Orchester
Zugabe: Francisco Tarrega Jota

Manuel de Falla „El sombrero de tres picos“ (Der Dreispitz), Ballettmusik
Zugabe: Arturo Márquez Danzón Nr. 2

Gestern wieder zum Sonntagnachmittagskonzert (Beginn um 17 Uhr, Ende jeweils ca. 19:30), weil Alondra de la Parra vorbeischaute – mit einem Programm, das wohl etwas zu sehr die Nische bediente, in der sie sich vermutlich am besten vermarkten lässt, es gab denn auch nur noch Restkarten für diese zweite und letzte Aufführung des Programmes, das schon am Samstag erklang.

Auf den ersten Konzertteil mit dem „Concierto de Aranjuez“ war ich einigermassen gespannt, weil ich natürlich davon bisher erst das Adagio kenne – in der wunderbaren Fassung von Miles Davis/Gil Evans. Der spanische Gitarrist Pablo Sáinz Villegas gab mit den beiden Konzerten seinen Einstand beim Tonhalle-Orchester, und den kann man wohl als vollumfänglich gelungen betrachten. Mit Alondra de la Parra hat er auch schon aufgenommen und ich vermute öfter mal Auftritte absolviert. Das Zusammenspiel mit dem klein besetzten Orchester funktionierte bestens, es kam immer wieder kammermusikalische Stimmung auf, doch manchmal schien mir die Gitarre dann etwas gar grob dreinzufahren. Mein Lieblingsinstrument wird sie ja eh nie und ich bin jedenfalls nicht traurig, dass sie in den Konzertsälen noch viel seltener auftaucht als im Jazzclub, denn es gab immer wieder Momente, in denen mir das Instrument vergleichsweise wenig nuanciert schien – und das mag ich Pablo Sáinz Villegas definitiv nicht ankreiden, denn er hat die ganze Bandbreite der Gitarre ausgenutzt, sein Spiel wirkte dabei alles andere als grobschlächtig. Als Zugabe – de la Parra überliess ihm die Bühne ganz und kehrte nach dem ersten oder zweiten Abgang gar nicht mehr mit ihm zurück – spielte er eine „Jota“ (vermutlich die „Gran Jota“) des Komponisten Francisco Tarrega, der wie der Gitarrist aus der Rioja-Gegend stammt (grosses Gelächter beim Säuferpublikum, als er das erwähnte, klar). Da fand ich mit der Zeit die Ausdrucksmittel auch ausgeschöpft, es gab nach immer schnelleren Läufen mit der Zeit gar viel Repetition, dann eine längere Passage mit den zwei obersten Saiten überkreuzt (die schepperten dann ein wenig und gaben keine herkömmlichen Töne mehr), schliesslich eine rein rhythmische Passage inkl. Geklopfe auf den Körper der Gitarre, bevor das Ding einem intensiven akkordischen Ende zusteuerte. Das Publikum war ganz aus dem Häuschen – und das passte am Ende schon.

In der zweiten Hälfte folgte Fallas Ballettmusik zu „El sombrero de tres picos“, bei deren letzten Aufführung – noch in der alten Tonhalle – ich auch schon dabei war. Damals sprang Michael Tabachnik für Lionel Bringuier einsprang – v.a. der der Labèque-Schwestern in guter Erinnerung, was den „Dreispitz“ angeht, schlug ich ja vor, den Rhythmus einer Aufführung alle 24 Jahre oder so beizubehalten, alle zweieinhalb Jahre muss ich das Ding gewiss nicht hören. Aber gut, ich war ja wegen Alondra de la Parra dort, und sie fand ich schon bei Rodrigo faszinierend, es gab Passagen, in denen sie die Musik fast zu tanzen schien (erinnerte mich ein wenig an Krzysztof Urbanski, den ich im Mai sah), dann wieder griff sie zur grossen Geste, erdolchte mit dem Dirigierstab jemanden, dabei die Linke wie ein Torero in die Höhe gestreckt, die Finger verrenkt, aber stets einen Akzent markierend, eine Anweisung gebend. Bei Falla war sie dann – ganz der Musik entsprechend – noch temperamentvoller, schien manche lauten Passagen mitzufauchen oder zu schnauben, stampfte schon mal – passend mit der grossen Pauke, also unhörbar – mit dem Fuss auf das Podest. Das ist aber musikalisch alles Jahrmarkt, und trotz aller Bemühungen de la Parras um das präzise Musizieren, um die leisen Passagen zwischendurch, eine wuchtige Sache, die doch irgendwie wenig ergiebig bleibt. Vielleicht müsste man in der Zeitmaschine zurückreisen können, um das Ding in der Uraufführung zu erleben, als Ballett mit Kostümen von Picasso also. Da ist dann, so stelle ich mir vor, der Kurzauftritt der Sängerin – ich fand Miriam Albano etwas fahl – nicht mehr so undankbar, weil er zu einem Element unter vielen wird.

Das Publikum war natürlich erneut begeister bzw. weggepustet, eine Zugabe lag bereit, und keine Petitesse sondern der etwa zehnminütige Danzón Nr. 2 von Alonda de la Parras Landsmann Arturo Márquez, in dem lateinamerikanische Rhythmen, elegant-elegische Solopassagen für diverse Stimmen (u.a. Klarinette, Trompete, Geige, Horn, Piccolo), das Orchester war natürlich längst in Fahrt, dass ob der Spielfreude und der schieren Kraft der Musik die Präzision da und dort ein klein wenig litt, war verschmerzbar. Am Ende gab es denn auch mal wieder eine Standing Ovation (die ich wieder mal einem anderen Konzert mehr gegönnt hätte, aber da ist halt wieder der Spassfaktor, der Wowfaktor, das Publikum …). Nichtsdestotrotz hat sich der Besuch gelohnt, aber ich würde de la Parra gerne das nächste Mal mit einem anderen Programm hören, das nicht so sehr die Erwartungen bedient, sondern in dem eher ihr Charakter bei der Interpretation von Werken zum Vorschein kommt, die man vielleicht ganz anders schon kennt. Ich glaube auch nicht, dass sie eine ist, die gerne laut und massig aufspielen lässt (mein Dudamel-Verdacht, auf dessen DG-CD mit dem Bolivarchestar hat er übrigens das Stück von Márquez aufgenommen).

--

"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba