Antwort auf: Die Kernelite des Pop

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hal-croves
אור

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herr-rossi

hal-crovesDu kannst auch gerne die Liste erweitern. Das Kriterium, das ich genannt habe – genügend Mut und Unabhängigkeit, ein fertiges Album zurückzuziehen -, dürfte ohne weiteres valide sein. Denn ist das nicht immer der schwerwiegendste Vorwurf an Popmusiker gewesen, dazu nicht imstande zu sein, weil es doch nur ums Geld gehe?

Warum ein dummes Narrativ, das allein auf der subjektiven und willkürlichen Unterscheidung zwischen angeblich per se „kommerzieller“ und per se „nichtkommerzieller“ Musik beruht, noch dadurch füttern, in dem man versucht, die goldenen Ausnahmen zu finden, die dann die Regel bestätigen? Und warum sollte ausgerechnet das Zurückziehen eines Albums der Prüfstein sein um zu unterscheiden, wer die Kunst vor kommerzielle Erwägungen stellt?

Dass das Narrativ an sich dumm ist, will ich nicht bestreiten. Aber es ist trotzdem eine ganz besondere Charakterprüfung, ein Werk, in das man viel Zeit, Mühe, Inspiration und, ja, auch Geld investiert hat, zurückzuziehen und dadurch erst mal mit leeren Händen dazustehen. Pop hat sehr viel mit Ruhm und Erfolg zu tun, der immer äußerst prekär ist. Ein Künstler, der diese Prekarität nicht nur hinnimmt, sondern noch besonders herausfordert, indem er all die Zeit, Mühe, Inspiration und Geld einfach wegwirft, verdient einfach besondere Anerkennung, weil er sich durch eine solche Tat vor der Welt erst einmal vollkommen bloß stellt. Die Redensart, sich mit seriösem Pop „nackig zu machen“, erfährt dadurch ihre seriöse Verdoppelung. Das wiegt auch deshalb besonders schwer, weil im Popbusiness der Anfang mit viel Glück sehr leicht sein kann (ich meine damit einen Hype, der einen Künstler schnell auf eine Welle des Erfolgs trägt), die fortdauernde Arbeit am eigenen Werk und der eigenen Karriere aber tendenziell immer schwerer wird. Immer lauert der Boulevard mit hämischen Schlagzeilen über das nächste tragische Karriereende. So etwas mit der bewussten Vernichtung eines ganzen Werks noch offen herauszufordern, zeugt eben von besonderem Mut und besonderer Unabhängigkeit. Und das verdient nun mal eine besondere Würdigung, auch wenn das Narrativ, auf das ich Bezug genommen habe, sagen wir vorurteilsbehaftet ist.

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"Edle, freie Unbefangenheit bei Allem. ... Alle übrigen Vollkommenheiten sind der Schmuck unsrer Natur; sie aber ist der der Vollkommenheiten selbst. ... Sie ist mehr als Leichtigkeit, sie geht bis zur Kühnheit: sie setzt Ungezwungenheit voraus und fügt Vollkommenheit hinzu. Ohne sie ist alle Schönheit todt, alle Grazie ungeschickt: sie ist überschwenglich, geht über Tapferkeit, über Klugheit, über Vorsicht, ja über Majestät." (Baltasar Gracián) =>mehr<=