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castorpAber stellen wir uns mal nicht blöder als wir sind: hält Morrissey wirklich eine „Rasse“ einer anderen für überlegen und räumt dieser gar eine größere Daseinsberechtigung ein? Ist jemand, der einem bestimmten Kulturkreis negativ gegenübersteht wirklich ein „Rassist“?
Das ist offensichtlich eine Frage der Definition. Deine eigene steckt im ersten zitierten Satz – es gibt aber auch andere, die genauso legitim und vielleicht sinnvoller sind. Die pauschale Ab- oder Aufwertung ganzer „Kulturen“ oder „Völker“ ist ein Aspekt von Rassismus, den eigenen „Kulturkreis“ anderen gegenüber für überlegen zu halten, ebenso. Beim Rassismus ging es immer schon wesentlich um die „Kultur“, auch damals (im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert) als man nach vermeintlich „biologischen“ (pseudo-wissenschaftlichen) Begründungen gesucht hat. Entscheidend ist, dass man Individuen nicht mehr als solche, sondern als Exemplare eines „Menschenschlags“ wahrnimmt und bewertet („die sind so, weil ihre Kultur so ist“). „Kultur“ wird oft genauso verwendet wie früher „Rasse“ (etwas, das den Einzelnen vorgegeben ist und sie unauslöschlich prägt, eine Programmierung). In Wahrheit gibt es keine strikt voneinander abgegrenzten „Kulturkreise“ (das fließt alles ineinander). Und alles Kulturelle ist etwas, das man tut und mit dem man sich auseinandersetzen kann (man kriegt es beim Aufwachsen mit und kann es später tradieren oder verändern oder überwinden). Wo jemand herkommt, sagt noch nichts darüber aus, wie er sich zu seinem „kulturellen Erbe“ verhält. Jedem Menschen ist ein Verstand gegeben, mit dem er sogar noch seine eingefleischten Gewohnheiten in Frage stellen kann, seine Vorurteile sowieso. Das mal ganz allgemein zum Thema „Rassismus“.
castorpChinesen öffentlich als „subspecies“ zu bezeichnen kann man natürlich als rassistische Äußerung bewerten. Aber auch hier: stellen wir uns nicht blöder als wir sind. Das ist die Wortwahl eines Künstlers, den wir für seine drastische Lyrik und Textezeilen wie „there were times when I could have strangled her“, „sweetness, I was only joking when I said by rights you should be bludgeoned in your bed“ oder „the pain was enough to make a shy, bald, Buddhist reflect and plan a mass murder“ schätzen und lieben, nein?
Schwaches Argument, weil es den Unterschied zwischen einem Kunstwerk und einem Interview ignoriert. In Kunstwerken (Büchern, Filmen, Songs…) haben auch solche Dinge ihren Platz, die im „realen Leben“ nicht in die freie Wildbahn gelassen werden sollten (z.B. Gewaltphantasien). Und die angesprochene Äußerung Morrisseys über „die Chinesen“ (aus einem Guardian-Interview von 2010) war eindeutig rassistisch, nach jeder sinnvollen Definition, da gibt es keine zwei Meinungen. Er hat gesagt: „Did you see the thing on the news about their treatment of animals and animal welfare? Absolutely horrific. You can’t help but feel that the Chinese are a subspecies.“ Das ist so, als würde man eine „aufrüttelnde“ Dokumentation über die Massentierhaltung in Niedersachsen sehen und daraus schließen, dass es sich bei den Niedersachsen um einen besonders grausamen Menschenschlag handeln muss („die sind eben so“) – dämlicher geht’s nicht. Was soll einen intelligenten Menschen wie Morrissey sonst dazu bringen, etwas so Dummes zu sagen, wenn nicht Rassismus? Er stand während des Interviews mit Simon Armitage ja nicht unter Drogen.
Um aber zum eigentlichen Thread-Thema zurückzukommen: Ich habe nach den paar Tracks, die ich gehört habe, nicht die geringste Lust, mir das Album anzuhören – das Spektrum reichte von „schwach“ (ein „Morning Starship“ mit geschmacklosen Sounds, dem der Reiz des Originals ausgetrieben wurde) bis „ganz nett“ (ein „Wedding Bell Blues“ mit einem leibhaftigen „Bill“).
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To Hell with Poverty