Antwort auf: Deep Talk – Der Bass im Jazz

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gypsy-tail-wind
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Fresh Sound ist vergleichsweise okay (besser als all die anderen Label, die PD-Reissues raushauen, auf der Skala folgt wohl Lohenill mit all seinen Aliasen – Phono, American Jazz Classics, Gambit usw. –, danach folgt vielleicht AVID, das immerhin legal operiert und eigene Vinyl-Transfers erstellt, zuunterst dann die 17-Alben-auf 3,5-CD-Sets, egal ob von Real Gone oder von wem auch sonst …) – was Fresh Sound halt gerne tut ist, Alben zu kombinieren, am liebsten eines, das alle schon haben mit einem raren, man kauft dann Twofer wegen der einen Hälfte (und gibt, wenn man die andere schon offiziell – also von Fantasy oder EMI oder so – hat, diese nicht weg, weil sie in der Regel schon besser klingt).

Im Fall von „Chicago Sound“ ist das Album „JG“ oder „Johnny Griffin“ von ebendiesem mit drauf – das gab es mal bei Verve/Universal. Bei Fresh Sound findet man meist alle Details auf der Website:
https://www.freshsoundrecords.com/johnny-griffin-albums/5283-the-chicago-sound-2-lps-on-1-cd.html

Musikalisch ist das sicher nicht falsch, und da die Inhaber der Kataloge* bzw. die Majors (Universal besitzt neben Verve, Decca, Impulse, Commodore usw. inzwischen auch den Grossteil des einstigen EMI-Jazzkatalogs, der u.a. Blue Note, Capitol, Pacific Jazz, Roulette, Roost umfasst; Sony besitzt Columbia und RCA Victor; Warner ist aus dem Jazz praktisch raus, Nonesuch und ihre eigenen Jazzproduktion sind nicht so umfangreich, bei der Mega-Fusion ging eben der Jazz-Teil von EMI an Universal, Warner übernahm die Klassik) ja kaum noch Jazz-Reissues rausbringen, ist die Auswahl heute recht gering. Oder man kauft Second Hand, nutzt Quellen wie Discogs (was ich gerade vermehrt mache, 5 Bestellungen in den letzten 5 Jahren, 25 in den letzten 5 Monaten …) oder kauft in Japan (cdjapan.co.jp ist super), wo es immer wieder Reissues auch von längst sieben Mal offiziell aufgelegten Alben gibt, wo aber Rares oft auch auf der Strecke bleibt (die dauernden Blue Note-Reissue-Reihen sind diesbezüglich nicht sehr kreativ).

In Japan ist es oft so, dass Bonustracks („echte“, also Alternate Takes, vielleicht mal eine unveröffentlichte Nummer, die auf der LP nicht Platz fand und allenfalls auf einer Label- oder Künstler-Compilation landete, nicht Bonusalben wie bei Fresh Sound und anderen solchen Labels) oft fehlen, der Album-Fetisch hat sich dort auch auf das CD-Format übertragen, was ich etwas albern finde (das drückte in den letzten Jahren z.B. bei Universal mit seiner „Originals“-Reihe bis in die US-Reissue-Programme durch, was noch alberner und geradezu ärgerlich war).

Das alles bezieht sich nur auf CD-Reissues, deren Zeit im Jazz wohl eindeutig vorbei ist (ich bin seit knapp 10 Jahren auch intensiv am Klassik hören und dort ist der Markt ein vielfaches grösser und noch nicht ausgegtrocknet, eher läuft der letzte Schlussverkauf, aber schon seit Jahren, und ein Ende ist noch nicht absehbar). Im Bereich Vinyl sieht das anders aus, da gibt es einerseits hochwertige teure Reissues (bis hin zu komischen Sachen wie 2 x 45 rpm Reissues von Blue Note-Klassikern), auch günstige Reissues von Labeln selbst (z.B. Blue Note, aber auch Music on Vinyl von Sony), und auch da viel Ramsch von den Piraten (wie ich die PD-Label gerne nenne).

Was die PD-Sache betrifft: nach meinem Verständnis ist es legal, die tatsächlich bis und mit 1962 oder 1963 (dem Zeitpunkt der Änderung der Copyright-Gesetze, die eine Verlängerung der Schutzfrist nach sich zog, Aufnahmen von 1963 oder 1964 werden erst 2023/24 gemeinfrei, wenn mich nicht alles täuscht) veröffentlicht wurden, zu überspielen. Daher oben der hochgestellte Daumen für Avid, weil die eben genau das machen (das französische Label Classics tat mit seiner Chronological Classics-Reihe dasselbe, aber die sind schon seit 12 Jahren oder so nicht mehr aktiv und widmeten sich primär dem alten Jazz). Bei den ganzen spanischen Ramsch-Labeln gehe ich in aller Regel davon aus, dass frühere CD-Reissues (die gab es fast immer, wenn man auch den japanischen Markt berücksichtigt) überspielt und ein wenig gefiltert werden (was in der Regel zu schlechterem Klang führt). Fresh Sound seinerseits behauptet, in den 80ern oder so eine grosse Menge an Tapes gekauft zu haben, offiziell und von den Labeln … das mag stimmen oder nicht, sie operieren trotzdem im PD-Bereich. Und manchmal klingen die Reissues auch schlecht. Z.B. „tape flutter“, der sich gegen Ende eines Albums verstärkt, oder auch eindeutige, nicht sonderlich gut gemachte LP-Rips … das weiss der normale Kunde vermutlich alles nicht, teils will es nicht mal der Fachhandel wahrhaben; ich erinnere mich noch, wie mir vor 15 Jahren oder so, als es hier noch ein paar Plattenläden mehr mit grösserem Jazz-CD-Angebot gab, die damaligen Reissues von Definitve (gehört[e] auch zu diesem spanischen Umfeld – einige Label operierten damals offiziell noch von Andorra aus) angepriesen wurden … dabei haben die in der Regel wohl einfach die erwähnten Classics abgekupfert und neu zusammengestellt.

Es lohnt sich jedenfalls, sich zu dem Thema ein paar Gedanken zu machen und nicht immer nur den Geldbeutel sprechen zu lassen – aber klar, ich kann das leicht sagen, da ich die letzten Jahre der grossen CD-Reissue-Zeit noch mitgekriegt und mit meinem Taschengeld und ein paar Schulferienjobs, und später als Student mit Teilzeitjobs schon damals so gut wie möglich eingekauft habe … wenn ich heute damit anfangen würde, ich weiss nicht, ob ich nicht mit Streaming anfangen würde … so wie es bei mir lief, ist das aber keine Option, denn daheim steht ein Überangebot von CDs, was will ich da auch noch streamen.

*) Fantasy wurde 2004 von Concord gekauft und die haben die Lager aufgelöst und damit die riesige Backlist ausgetrocknet, und zudem die umfangreichen Reissue-Reihen gekappt, dafür die Keepnews Edition gestartet, in der es längst auf CD aufgelegte Alben wieder gab, manchmal mit ein paar zusätzlichen Alternate Takes … unter dem Strich toller Service – ich weiss nicht genau, warum sie den Kauf überhaupt tätigten, mit Creedence Clearwater Revival, dem Zugpferd von Fantasy, lässt sich im Streaming-Zeitalter wohl auch nicht mehr viel Geld machen.

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