Antwort auf: Die besten Riverside-Alben

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gypsy-tail-wind
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Quelle: https://londonjazzcollector.wordpress.com/record-labels-guide/6-riverside/riverside-labels-us/

Die grosse Riverside Story kann ich nicht bieten, denn die Details kenne ich nicht … aber soweit ich weiss, war Bill Grauer (1922–1963) derjenige, bei dem die Fäden zusammenliefen und der flamboyante Orrin Keepnews (1923–2015) der Mann für die Front (der ja auch bald zum Verkäufer seiner eigenen Grösse wurde, was leider in meiner Wahrnehmung gelegentlich seine durchaus grossen Verdienste etwas überdeckt). Ein deutlicher Hinweis für Grauers Bedeutung war, dass Riverside ihn nur um ein paar Monate überlebte. Er starb im Dezember 1963 an einer Herzattacke, im folgenden Sommer war das Label dann Geschichte.

Grauer studierte an der Columbia Universität und war – selbst Plattensammler- ab 1948 Besitzer der Zeitschrift „The Record Changer“. Mit seinem Freund und ehemaligen Kommilitonen Orrin Keepnews gründete der Jazzfan 1953 in New York Riverside Records, das zunächst Bill Grauer Productions hieß und als Reissue-Label startete, aber in den 1950er Jahren eines der wichtigsten Labels des Modern Jazz wurde (beginnend mit Randy Weston). Zuvor hatten beide 1952 schon für RCA Victor klassische Jazzaufnahmen aus ihrem Katalog neu herausgebracht (in deren Label „X“), um der damals grassierenden Welle von illegalen Veröffentlichungen entgegenzuwirken. Noch 1956 setzten sie die Reissues mit der „Riverside History of Classic Jazz“ fort (wobei sie auf kleinere Labels wie Gennett und Paramount zurückgriffen, deren Rechte sie erworben hatten).

von: https://de.wikipedia.org/wiki/Bill_Grauer

Riverside fing also als Reissue-Label von traditionellem Jazz an – dazu passt, dass später (unter der Leitung von Chris Albertson, der sich um den Jazz sehr verdient gemacht hat, aber nicht ein zehntel so egomanisch wie OK veranlangt war, und der auch mal hier im Forum war) eine feine Reihe mit neuen Aufnahmen von traditionellem Jazz aus Chicago und anderswo erschien, die „Living Legends“-Serie (1960/61), aus der ich leider immer noch nur ein paar wenige Alben kenne.

Albertson ist wohl auch meine Quelle dafür, dass Grauer das Sagen hatte, z.B. schrieb er drüben auf Organissimo:

Chris Albertson
Bill Grauer founded Riverside Records and was its driving force. I know that Orrin would like us to think that was Riverside personified and, indeed, he was the visible one in that partnership, but Bill generally had the last word.

Quelle (da steht noch mehr, anklicken lohnt!):
http://www.organissimo.org/forum/index.php?/topic/11585-riverside-bill-grauer-productions/&do=findComment&comment=196348

Wenn man dort weiterliest, wird auch ein Interview mit OK (von Don Heckman, es ist wohl nicht mehr online zu finden) erwähnt, in dem OK seine Version der Geschichte erzählt (und auch sonst ein paar Dinge verdreht) … weiter unten findet man auch diesen Post, wieder von Albertson, über das Studio (Plaza Sound) und den Tonmeister (Ray Fowler), die bei den meisten Produktionen eingesetzt wurden:

Chris Albertson
I never thought Riverside had an identifiable sound, nor was there any attempt to create one. Just about all the NYC studio sessions were done at Plaza Sound Studio, which was located above Radio City Music Hall, and our engineer was Ray Fowler. Ray always monitored the sessions on cheap equipment, assuming that the albums would mostly be played back through systems that left something to be desired. If the stuff sounded good on low-end equipment, Ray was satisfied. The pressings were pretty unimpressive and, BTW, Prestige used the same company.

Quelle: http://www.organissimo.org/forum/index.php?/topic/11585-riverside-bill-grauer-productions/&do=findComment&comment=197549

Und:

Chris Albertson
Live recording was made easier by the fact that Riverside had an old Greyhound bus that had been converted into a mobile control room. I used it on a recording trip to Chicago in 1961. Unfortunately, the label was in the early stages of its financial demise, so they assigned two „engineers“ to my trip neither of whom cared for jazz. Their previous experience as recording engineers was that Sounds of the Home series–working with them was a nightmare.

Quelle: http://www.organissimo.org/forum/index.php?/topic/11585-riverside-bill-grauer-productions/&do=findComment&comment=197565

Dann gibt es dort auch noch einen letzten längeren Post, in dem Albertson über den Computer spricht, den Riverside kurz vor dem Ende angeschafft hat – faszinierende Geschichte:
http://www.organissimo.org/forum/index.php?/topic/11585-riverside-bill-grauer-productions/&do=findComment&comment=768553


Quelle wie beim Bild oben

Wie im Wiki-Eintrag zum Label steht, übernahm ABC-Paramount (die konservativen „suits“) den Katalog, ob damit auch etwas unternommen wurde, weiss ich nicht, aber 1972 kaufte Fantasy die Rechte an fast dem gesamten Katalog (der auch das oben erwähnte Sublabel Jazzland und eine Kinder-Reihe namens Wonderland umfasste). Fantasy, das auch Prestige (inkl. Swingville/Moodsville), Contemporary (inkl. Good Time Jazz), Milestone und später Pablo, sowie diverse kleinere Labels (vor den anderen Übernahmen schon das einst von Charles Mingus und Max Roach gegründete Debut – Saul Zaentz, der Fantasy-Chef, heiratete Mingus‘ erste Ehefrau Celia, die wohl die Hauptarbeit bei Debut erledigt hatte, und Mingus schenkte Zaentz das Label zur Hochzeit – se non è vero … steht aber immerhin auf Wikipedia) und zudem Stax und Specialty. Die Kohle machte Fantasy mit Creedence Clearwater Revival, doch das Label kümmerte sich trotz allem Profit gerade im CD-Zeitalter bis kurz vor Zaentz‘ Tod 2014 vorbildlich um den inzwischen riesigen Jazzkatalog und brachte (schon zu LP-Zeiten) unter dem Etikett „Original Jazz Classics“ unzählige Alben neu heraus – und vor allem: hielt sie an Lager und über viele Jahre, in manchen Fällen mehr als zwei Jahrzehnte, kontinuierlich „in print“, was ja bei Blue Note unter dem Dach von Manahatta/EMI/whatever ganz anders aussah, von Sony und ihrem fahrlässigen Umgang mit dem Columbia-Jazzkatalog brauchen wir gar nicht zu reden, ausser Miles, Duke und Brubeck, wurde niemand gebührend behandelt, was Reissues angeht). Galaxy gehörte, wie natürlich der eigene Fantasy-Katalog, auch noch zum „Imperium“, aber wie ich gerade erst lese (auf Wiki), war das von Anfang an ein Sublabel von Fantasy.

Falls sich jemand wundert: als ich Mitte der 90er, noch im Gymnasium, ernsthaft mit Jazzhören und -sammeln anfing, waren die OJCs (in CD-Form) überall zu kriegen (leider hatten sie aber, weil sie ja nie verschwanden, bei den damals sehr beschränkten Mitteln manchmal gegenüber den Blue Note-Klassikern – ich sammelte z.B. die damals verdammt teure „Connoisseur Edition“ und später konnte ich noch viele Lücken dank der RVG Edition schliessen – einen harten Stand). Ich kaufte also die ganzen Coltrane-Alben, vieles von Miles Davis, Bill Evans usw. – und welche Label diese oft fabelhaften Aufnahmen ursprünglich produziert hatten, war mir damals überhaupt nicht bewusst … erst später begriff ich, dass Prestige und Riverside ziemlich unterschiedliche Profile hatten. Das lag aber auch daran, dass ich viele Riverside-Alben eher erst etwas später entdeckte (mit Ausnahme von den Bill Evans-Alben mit Scott La Faro, von denen mir besonders „Portrait in Jazz“ sehr früh – dank der Bibliothek meiner Schule – bekannt war).

Also, zurück zu Riverside … mit eigenen Produktionen und zugleich mit modernem Jazz – um des heute ja leider fast immer nur noch geht, wenn solche Diskussionen entstehen – legte das Label 1954 los, als es die ersten Aufnahmen des grossen Randy Weston machte. Diese gehören nicht gerade zu seinen besten, er war kein Frühentwickelter, der schon damals sein ganzes Konzept beisammen hatte … Lieblingsalben sind das also eher nicht, aber weil Weston am Anfang der eigenen Produktionsaktivitäten stand, sei er erwähnt.


Orrin Keepnews mit dem Bill Evans Trio im Village Vanguard, 1961
Quelle: http://www.thejazzrecord.com/records/2015/3/1/orrin-keepnews-rip

1955 kaufte Riverside Thelonious Monk aus seinem Vertrag mit Prestige frei – wobei es ein irreführender Mythos ist, dass Monk bei Prestige nichts Gescheites zustande brachte, aber dies nur am Rande (Fantasy hat nach diversen OJCCDs die Prestige-Aufnahmen von Monk auch noch in einer vorbildlichen 3-CD-Box neu vorgelegt). Monk nahm von 1955 bis 1961 für Riverside auf – und die Alben mögen als Bündel die wichtigsten sein, die das Label herausbrachte (obwohl Monk zu dieser Zeit nur noch selten neue Stücke schrieb und aufnahm). Bill Evans (1956 bis 1963 beim Label) habe ich schon erwähnt. Neben den beiden Pianisten waren sicherlich Wes Montgomery (1959 bis 1963 bei Riverside) und ganz besonders Cannonball Adderley waren die anderen zentralen Riverside-Musiker. Adderley war von 1958 bis ganz zum Ende dabei, als das Label dicht machte, gab es einen Deal, bei dem Adderley sieben Alben zu seinem neuen Laben Capitol Records mitnahm (das später unters EMI-Dach kam, die Alben kamen dann auch als Blue Note-CDs wieder heraus, doch zuvor hatte Keepnews sie schon beim im ersten Post erwähnten Landmark neu aufgelegt – eins meiner liebsten Alben überhaupt, „Cannonball in Europe“, lernte ich einstmals in der Form kennen).

Soviel mal zur Geschichte … Weiteres folgt.

Ein paar Links:
https://londonjazzcollector.wordpress.com/record-labels-guide/6-riverside/riverside-labels-us/ (die Entwicklung der „Label“)
https://londonjazzcollector.wordpress.com/2017/03/09/riversides-jazzland-a-catalogue-review/ (Jazzland)
https://www.bsnpubs.com/new/riverside.html (leider unfertig)
http://www.birkajazz.com/archive/riverside.htm (Covers)
https://www.jazzdisco.org/riverside-records/ (gut für den schnellen Überblick, aber mit Vorsicht zu geniessen, wenn es um Details geht)

Vermutlich bietet die 4-CD-Box „Riverside Records Story“ (Fantasy, 1997), wenngleich in Keepnews‘ leicht verdrehter Version, einen recht guten Überblick (ich habe nur die entsprechenden Sets von Debut und Contemporary):

https://www.allmusic.com/album/the-riverside-records-story-mw0000030339
https://www.discogs.com/Various-The-Riverside-Records-Story/release/10655313

Und zum Schluss noch das erste Riverside-Album, das selbst produzierte Musik enthielt (Cover von Birkajazz, Link oben):

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