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„Der letzte Jolly-Boy“ (Hans-Erich Veit, D 2018)
Keine effektvoll ausgeleuchteten Zeitzeugengespräche, keine räsonnierenden Fachleute, keine martialischen Wochenschau-Ausschnitte, keine gestellten Szenen, keine Fotos von Leichenbergen, keine dramatische Hintergrundmusik – ein leiser Rückblick auf den Holocaust. Das kleine Filmteam folgt dem 97-jährigen Auschwitzüberlebenden Leon Schwarzbaum auf Reisen zu den Stationen seines Leidenswegs in Polen und zum Prozess gegen den SS-Wachmann Hanning hier in Detmold, lässt ihn erzählen und beobachtet ihn bei spontanen, unvorbereiteten Begegnungen und Gesprächen mit heutigen Bewohnern, Schülergruppen, Gefängnisinsassen, Auschwitzbesuchern und den heutigen Mitarbeitern des Siemens-Werkes, in dem er Zwangsarbeit leistete. Er wird dabei selten emotional, ein gefasster Mann. Nur einmal zischt er ein leises „go to hell“, als das Team auf einem heutigen Privatbesitz rüde abgewiesen wird. Doch das ist eine Ausnahme. Ein beschämender Moment für den Zuschauer ist das Vorgespräch mit Markus Lanz vor einem Talkshow-Auftritt, das auch hinterher in der Diskussion mit Veit thematisiert wurde.
Dass Schwarzbaum als junger Mann vor seiner Deportation in der Swing-Gruppe „Jolly Boys“ spielte, bleibt trotz des Filmtitels ein Nebenaspekt. Er hat nie wieder musiziert. Veit berichtete, dass beim Einwerben von Fördergeldern dieser Punkt größeres Interesse fand als die Tatsache, dass Schwarzbaum einer der letzten noch lebenden und vor allem noch zu einer solchen Produktion körperlich und geistig fähigen Überlebenden ist. Allerdings wird das in der überraschenden Schlussszene aufgegriffen. Der Film ist derzeit in Programmkinos zu sehen und wird nächstes Jahr auf RBB gezeigt.
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