Antwort auf: Konzertimpressionen und -rezensionen

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Noch ein knapper Sammelbericht über ein paar Konzerte der letzten Tage …

Mozart: Così fan tutte – Zürich, Opernhaus, 28.11.2018
 
Così fan tutte
Dramma giocoso in zwei Akten von Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791)
Libretto von Lorenzo da Ponte

Musikalische Leitung Cornelius Meister
Inszenierung, Bühnenbild und Kostüme Kirill Serebrennikov
Umsetzung Inszenierung, Choreographie Evgeny Kulagin
Mitarbeit Bühne Nikolay Simonov
Mitarbeit Kostüm Tatiana Dolmatovskaya
Lichtgestaltung Franck Evin
Video-Design Ilya Shagalov
Choreinstudierung Ernst Raffelsberger
Dramaturgie Beate Breidenbach

Fiordiligi Ruzan Mantashyan
Dorabella Anna Goryachova
Guglielmo Andrei Bondarenko
Ferrando Frédéric Antoun
Despina Rebeca Olvera
Don Alfonso Michael Nagy
Sempronio Francesco Guglielmino
Tizio David Schwindling

Philharmonia Zürich
Chor der Oper Zürich
Chorzuzüger
Statistenverein am Opernhaus Zürich
Continuo Hammerklavier Andrea del Bianco
Continuo Solo-Cello Christine Theus

Los ging es Mittwoch vor einer Woche mit meiner ersten „Così“ in natura – vielleicht meine allerliebste Oper, also höchste Zeit („Le nozze di Figaro“ kommt später in der Saison auch noch dran, mit Regula Mühlemann als Susanna, auf den „Don Giovanni“ warte ich noch, und eine vernünftige „Zauberflöte“ wird es so bald hier – und anderswo – wohl nicht geben, denn zunächst wird wohl die Produktion von vor ein paar Jahren wieder ausgepackt).

Die Vorstellungen sind allesamt ausverkauft, was allerdings wohl viel mit dem Wirbel zu tun hat, den das löbliche Festhalten der Intendanz (Andreas Homoki) am Regisseur Kirill Serebrennikov auslöste. Dieser sitzt in Putinstan im Hausarrest und darf nicht einmal einen internetfähigen Rechner verwenden. So brachte sein Anwalt jeweils einen USB-Stick mit Probeaufnahmen vorbei und meldete nach Zürich zurück, was es zu ändern galt. Serebrennikov arbeitete im Vorfeld ein sehr detailliertes Buch aus, nach dem sich das Team in Zürich richten konnte. Das hat denn auch sehr gut geklappt, obgleich ich mir über die Regie nicht wirklich sicher bin. Die beiden Jungs werden – in echt (oder doch nicht?) – in den Krieg eingezogen, sterben. Statt ihrer selbst in Verkleidung tauchen zwei stumme Stellvertreter auf (Sempronio und Tizio, falls jemand sich über die Besetzungsliste gewundert hat), denen die beiden Sänger als Schatten die Stimme leihen. Die beiden Stellvertreter sind perfekte Exemplare des heutigen oberflächlichen Selbstoptimierungsprogrammes (nicht ganz so beeindruckend, wie Putin beim Reiten, aber fast), die Damen fallen – so steht es ja im Libretto – auf sie herein. Als dann Hochzeit gefeiert werden soll (Olvera darf die Despina – ausser in der Verkleidung als Arzt – fast ganz ohne die üblen näselnden Klischees singen), sind die echten Herren wieder da, die Bräute werden in traditionelle russische Brautkleider eingewickelt (ein Kokon, aus dem es kein Entrinnen mehr gibt), die Auflösung am Ende klappte irgendwie nicht mehr so recht.

Doch, und das besprach ich auf dem Heimweg in der Strassenbahn dann auch noch mit einer Musikerin aus dem Orchester, mit der sich zufällig eine kurze Unterhaltung ergab: bei Mozart schwingt in der Musik stets so viel mehr mit, ist der Gehalt so viel reicher als die Worte und die Bühne und die Menschen darauf es überhaupt vermitteln können, und gerade in der „Così“ ist diese Ebene so überaus zentral, dass die reine Handlung schon längst zur Nebensache geworden ist. Das auch, wenn das Ensemble auf der Bühne leidlich funktioniert (Mantashyan verhaute ein oder zwei Mal eine Passage mit reichen Koloraturen, aber die Rolle ist auch halsbrecherisch) und obendrein das Orchester so gut auf die Aufgabe eingestimmt ist, wie Cornelius Meister das hingekriegt hat. Sein Klangbild blieb stets klar und durchsichtig, schlank und doch kraftvoll wurde musiziert, besonders zu erwähnen ist Andrea del Bianco, der am Hammerklavier ein tolles Continuo spielte.

Alles in allem also ein überaus beglückender Abend, auch wenn die Umstände einiges Publikum anlockten, das nicht bei der Sache war (bis ich mich umdrehe und „psst“ zische, dauert es ziemlich lange, aber an dem Abend, im zweiten Akt, liess es sich nicht vermeiden).

Zürich, Tonhalle-Maag – 29.11.2018
 
Tonhalle-Orchester Zürich
Lahav Shani Leitung
Lisa Larsson Sopran

Franz Berwald „Traumreise“ Lieder für Sopran und Orchester (Konzept: Lisa Larsson, Orchestrierung: Rolf Martinsson) Uraufführung

Gustav Mahler Sinfonie Nr. 4 G-Dur

Am nächsten Abend verliess ich frühzeitig das Duo-Konzert, das Alexander Hawkins und Yves Theiler im Rahmen des Unerhört-Festival gaben, um rechtzeitig zu einem sehr speziellen Konzert in der Tonhalle zu sein. Lisa Larsson, die der Schweiz seit ihren Studienzeiten in Basel verbunden ist, dort und in Zürich an der Oper auftrat (mit Harnoncourt und Welser-Möst u.a.) und schon 1994 erstmals in der Tonhalle zu hören war, wurde zum 150-Jahre-Jubiläum von der Tonhalle-Gesellschaft mit einem Auftrag versehen – und sollte, so Larsson im Programmheft, „ein ganz besonders schönes Geburtstagsgeschenk“ sein. „Nach langen Recherchen fand ich in der Bibliothek der Königlichen Musikalischen Akademie in Stockholm vergessene Lieder von Franz Berwald. Ich war sofort sehr angetan von der Idee, einer Auswahl davon (in den drei Originalsprachen) neues Leben einzuhauchen, aber in einem neuen Gewand. Ich habe daraus eine „Traumreise“ konzipiert, die ich Rolf Martinsson mit seiner Expertise gebeten habe, für Zürich zu orchestrieren.“

Neun Lieder (von 19) stellte Larsson am Ende zusammen, in Schwedisch, Französisch und Deutsch. Sie gipfeln in der Uhland-Vertonung „Traum“, bis dahin war es in der Tat eine kleine Reise, die in den zurückhaltenden Orchestrierungen Martinssons und mit seinen Zwischenspielen eine ganze Menge von Träumen – oder auch Gefühlen, Stimmungen – durchschritt. Klangen einzelne Lieder, besonders die französischen, fast nach Show und Musical, wurde anderswo gewalzert, die Stimme von einem Solo-Cello umgarnt, die Begleitung auf ein Streichquartett reduziert oder zwei Strophen durch eine Trommel und eine Trompeten-Fanfare unterbrochen. Auch die Konzertmeisterin Julia Becker kam in einem Solo-Zwischenspiel zum Zug.

Geleitet wurde der Abend von Lahav Shani, der kein Pult benötigte: er dirigierte alles auswendig. Hielt er sich bei Berwald sachdienlich zurück und überliess Larsson und den Orchestersolisten die Gestaltung, so zog er bei Mahlers vierter Symphonie die Zügel an. Er leitete das Orchester straff und gab zügige Tempi vor, es wurde einmal mehr mit grösster Präzision musiziert, mit einer durchsichtigen Klarheit im Klangaufbau. Susanne Kübler schrieb im Tagesanzeiger vom 1. Dezember, „man hätte die Partitur notieren können nach dieser Aufführung – so genau setzte er Mahlers detailversessene Vorgaben um“ – und schiebt gleich nach: „Das wirkte zuweilen eher buchstabiert als durchfühlt“. Das kann man vielleicht so sehen bzw. konnte man so hören, aber Shani verlor sich nicht in den Details, er behielt das Gesamte im Auge – und das Orchester dankte es ihm und lief zu Bestform auf, gerade auch erneut Konzertmeisterin Julia Becker in ihrem Solo im zweiten Satz. Das Highlight war dann aber ausgerechnet der dritte, der langsame Satz, in dem mit einer zarten Zerbrechlichkeit musiziert wurde – eine eindringliche Atempause auf dem Weg zum Finale, für das Larsson dann erneut auftrat, positioniert zwischen den zweiten Violinen und den Bratschen (es wurde dankenswerterweise wieder einmal in deutscher Aufstellung gespielt, Larsson stand also rechts auf der Bühne, ungefähr in der dritten Reihe). Einen kleinen Makel hörte ich allerdings leider in der Aussprache, wenn Larsson – die anscheinend seit längerem in Zürich lebt – in deutscher Sprache sang. Schon bei Berwald hatte sie da und dort eine ganze Silbe verschluckt, bei Mahler war das dann ähnlich und wurde durch die Positionierung im Orchester etwas problematisch, da die Verständlichkeit etwas litt. Dennoch: ein tolles Konzert und für mich eine phantastische allererste Begegnung mit Mahlers vierter Symphonie.

Bericht der NZZ:
https://www.nzz.ch/feuilleton/diese-saengerin-bringt-blumen-aus-schweden-in-die-tonhalle-ld.1440674

Der erwähnte Artikel von Kübler steht nicht online, soweit ich sehen konnte.

Wer mehr über die Berwald-Lieder wissen möchte, kann sich das Programmheft voraussichtlich bis Saisonende im nächsten Sommer online holen.

Winterthur, Stadthaus – 06.12.2018
 
Musikkollegium Winterthur
Thomas Zehetmair
Leitung
Carolin Widmann Violine

Wolfgang Amadeus Mozart Ouvertüre zur Oper „Die Zauberflöte“, KV 620
Dieter Ammann „unbalanced instability“, Konzertsatz für Violine und Kammerorchester (2012/13)

Johannes Brahms Sinfonie Nr. 4 e-Moll, op. 98

Am Donnerstagabend schleppte ich mich dann, nach geschaffter, strenger Woche bei der Arbeit und mit heftiger Erkältung, doch noch nach Winterthur. Und zum Glück kapitulierte ich nicht! Es gab direkt vor dem Konzert eine Einführung mit Ammann, der erzählte, wie sein Werk 2012/13 (für die Wittener Tage für neue Kammermusik, wo es 2013 von Carolin Widmann mit dem WDR Sinfonierochester Köln uraufgeführt worden ist – war @vorgarten damals vielleicht dabei?) entstanden ist, überhaupt, wie er beim Komponieren vorgehe. Dazwischen wurden Ausschnitte gespielt, die das Gehör schärften für die folgende Aufführung im seltsamen Saal im Stadthaus Winterthur, einem typischen historistischen Protzbau von Gottfried Semper, der bis 2015 tatsächlich auch Regierungssitz war und parallel seit 1934 als Konzertsaal des Musikkollegiums Winterthur dient, das eine lange Geschichte hat (von 1922 bis 1950 wurde es von Hermann Scherchen geleitet und spielte in den Jahren über 120 Uraufführungen). Die Einführung fand im Stadtratszimmer statt, wo wohl einst die Exekutive tagte – und ein Blatt mit Noten, eine Kopie von Ammanns handschriftlicher Reinschrift der Solo-Kadenz kurz vor dem Ende des Werkes, durfte ich auch noch mitnehmen.

Thomas Zehetmair ging mit dem Orchester im Herbst schon in seine dritte Saison, und so lange hat es auch gedauert, bis ich es schaffte, endlich Karten für Konzerte zu kaufen (im Frühling höre ich noch Nelson Freire mit Brahms‘ zweitem Klavierkonzert). Die laufende Saison steht im Zeichen von Brahms, dessen Orchesterwerke und Konzerte aufgeführt werden (die vier Symphonien werden auch mitgeschnitten und sollen nächsten Frühling auf CD erscheinen). Doch los ging es, quasi zum Aufwärmen, mit der Ouvertüre zu Mozarts Oper „Die Zauberflöte“. Das kam eher als Aufwärmübung rüber, mit Amman gibt es keine Berührungspunkte. Zudem wurden auch schon gewisse Schwächen des klein besetzten Orchesters (Streicher: 6-5-5-4-3, glaube ich) bzw. von Zehetmairs Dirigat deutlich: es wurde zwar sehr engagiert musiziert (und dirigiert), aber mit der Genauigkeit in der Phrasierung haperte es da und dort ein wenig. Präzise ist Zehetmairs Gestik gerade nicht, eher zielt sie – manchmal mit weit ausholenden Bewegungen – auf die Interpretation, die Gestaltung. Im Kleinen wäre etwas mehr Genauigkeit nicht falsch, aber darunter könnte dann wieder die Gestaltung leider, wer weiss …

„Caro“, so wird Widmann von Freunden gerufen – und damit fängt Ammans Konzert an: C, A, D („re“), G („sol“ – das „do“ zu wiederholen fand er nicht so interessant), pizzicato von der Solistin gezupft, ganz leise, wiederholt mit anderen Techniken, Abstufungen, schliesslich Reaktionen des Orchesters hervorrufend, die sich allmählich verdichten, stapeln. So entwickelt das Werk sich tatsächlich in einer Art nicht-ausbalancierten Instabilität, es gibt keine Hinweise darauf, wie es weitergehen wird, was folgen mag. Ein langer Satz, in dem die Solistin auch einmal vom Orchester verschluckt wird, in dem das Sehen und das Hören nicht mehr übereinstimmen: die Solistin müht sich sichtlich an schnellen Läufen und Griffen ab, aber zu hören ist: nichts. Dann wieder übertrumpft sie das Orchester scheinbar mühelos, spielt glanzvoll virtuose Passagen, die durchaus an die grosse Konzert-Tradition erinnern, doch auch das ist natürlich nicht das Ende der Weisheit. Klanglich ist der Orchestersatz sehr reich, neben den Bläsern (je zwei Flöten, Oboen, Klarinetten, Fagotte und Hörner, eine Trompete und eine Posaune) gibt es eine Harfe und einiges an Schlagwerk. Daraus mischt Ammann immer wieder neue Klänge zusammen, die Streicher spielten teils auch einzelne bzw. pro Gruppe mehrere Stimmen, was das ganze zu einem ziemlich undurchsichtigen Teppich werden lässt. Widmann glänzt dann ein letztes Mal in der erwähnten Solo-Kadenz, die zum Ende des Werkes hinführt, und in die Ammann Versatzstücke anderer Werke aus Widmanns Repertoire aufgenommen hat, wie er bei der Einführung erläuterte (er nannte leider keins dieser Werke, erkannt habe ich natürlich nichts). Am Ende dann, es gesellen sich wieder einzelne Streicher dazu, spielt die Geige ihren tiefsten Ton, die leere G-Saite, verklingt beinah, und das Cello spielt denselben Ton als eine Art Echo – und mit einem Bartók’schen Pizzicato schneidet die Solistin diesen Ton dann durch. Finis.

Nach der Pause folgte Brahms‘ vierte Symphonie, und angesichts der Schwächen, die das Orchester davor bei Mozart zeigte, war ich nicht gerade gespannt. Doch fand ich die Sichtwiese als ganze dann ziemlich gut, der schlanke Klang passte, die Unsauberkeiten waren angesichts des engagierten Spiels mehr denn hinnehmbar und gerieten immer mehr in Vergessenheit. Zehetmair übertrieb es vielleicht, wie die NZZ meint (s.u.), da und dort tatsächlich ein wenig, aber obwohl das Programm mit den drei Werken alles andere als zwingend war, empfand ich den Abend als eine durchaus runde Sache.

Bericht in der NZZ:
https://www.nzz.ch/feuilleton/carolin-widmann-und-die-geister-die-sie-rief-ld.1442467

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