Antwort auf: 2018: Jazzgigs, -konzerte & -festivals

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Unerhört Festival – 23. November bis 2. Dezember 2018

Letztes Jahr war ich Ende November zurück aus Indien und verzog mich für zwei ruhige Wochen nach Italien, um ein wenig auszuspannen, bevor ich den neuen Job antrat, der mir immer noch sehr gut passt. Und dabei verpasste ich eine Ausgabe des Unerhört, die wenigstens auf dem Papier ziemlich toll aussah – und ganz besonders eine Reunion des London Jazz Composers Orchestra von Barry Guy zu bieten hatte. Aber alles geht halt nicht. Dieses Jahr fand ich das Programm schon im Vorfeld ziemlich mittelmässig, und so war es denn auch – aber gelohnt haben sich die Konzertbesuche alleweil. Auf einiges habe ich aus Zeitgründen verzichtet, weil ich zwischendurch noch die Serebrennikow-Inszenierung von „Così fan tutte“ sah und eine Uraufführung von orchestrierten Liedern von Franz Berwald sowie erstmals die vierte Symphonie von Gustav Mahler hörte, mit Lisa Larsson und Lahav Shani, der sein – überzeugendes Debut in the Tonhalle gab. Ein extrem dichtes Programm also, das gestern Abend zu Ende ging.

Winterthur, Alte Kaserne – 23.11.2018

Kaja Draksler-Petter Eldh-Christian Lillinger „Punkt.Vrt.Plastik“
Kaja Draksler (p), Petter Eldh (b), Christian Lillinger (d)

Peter Bruun’s „All Too Human“
Kasper Tranberg (t), Marc Ducret (g), Simon Toldham (synth), Peter Bruun (d, synth)

Den Auftakt machte bereits zum dritten Mal ein Abend in der Alten Kaserne in Winterthur (etwas mehr als 20 Minuten Zugfahrt von Zürich). Das Trio um Kaja Draksler war eines der Konzerte, die mich im Vorfeld schon neugierig machten, schätze ich ihre Musik doch sehr. Live hörte ich sie erst ein einziges Mal, mit ihrem Oktett, das beim letzten „alten“ Taktlos Festival aufgetreten ist. Das Trio mit Eldh und Lillinger hat gerade auch eine CD bei Intakt herausgebracht, und es war dieses Programm, das in Winterthur zur Aufführung kam. Sehr dichte, verzahnte Musik, eng verwobene Grooves, Kürzel vom Klavier, zickig-stotternde Drum-Grooves, ein starker Bass als Rückgrat – das wirkte alles sehr organisch, sehr klischeefrei im Klavier: Es gab Momente, in denen ich merkte, wie verdammt schnell Draksler gerade spielte – aber nichts von dem, was sie spielte, wirkte virtuos oder flashy, ganz im Gegenteil. Lillinger war in dem Rahmen mal wieder super (finde ich ihn ja nicht immer, wenn er keine Grenzen gesetzt kriegt, wird mir sein Spiel auch mal zuviel).

Ein toller Auftakt, der dann leider durch das zweite Set ziemlich verwässert wurde. Die Jungs waren mit grosser Konzentration (zuviel?) bei der Sache, Bruun spielte meist mit der rechten Hand die Basslinien, was sein Schlagzeugspiel schon ziemlich limitierte (dabei hätte Toldham die Bass-Parts bestens übernehmen können, was aber leider nur zwischenzeitlich geschah). Ducret war in der Band ziemlich verschenkt, kam kaum zum Zug, und auch Tranberg spielte meist nur verhaltenes Zeug. Dabei sollte die Musik dieses Quartetts lustvoll-anarchisch sein – sie blieb leider langweilig brav und abgekartet.

Zürich, Theater Rigiblick – 26.11.2018

Sylvie Courvoisier/Julian Sartorius
Sylvie Courvoisier (p)/Julian Sartorius (d)

Teju Cole’s „Shadow Point with Sylvie Courvoisier, Tom Arthurs, Julian Sartorius
Teju Cole (words, photographs), Tom Arthurs (t), Sylvie Courvoisier (p), Julian Sartorius (d)

Am Montag ging es in den rappelvollen Rigiblick, ein Theater am Hügel oberhalb Zürichs, wo letztes und vorvorletztes Jahr jeweils Barry Guy zu hören war (eben mit dem LJCO bzw. mit der Blue Shroud Band, die natürlich auch als Rückgrat des LJCO 2017 diente) – das waren wohl beides Sternstunden, die Aufführung von „Blue Shroud“ auf jeden Fall, die 2015 als Eröffnung des Unerhört diente (dem Jahr wohl, bevor Winterthur den Part übernahm und das Festival noch länger wurde). Teju Cole war angesagt, das Volk pilgerte hin – wie bei den Konzerten, die ich sonst im Rigiblick hörte, begriff ich wieder nicht, wer die Leute sind (jedenfalls zum allergrössten Teil keine, die man sonst je bei Jazzkonzerten sieht, ich tippe auf treues Stammpublikum des Theaters). Den Auftakt machte das Duo Sylvie Courvoisier/Julian Sartorius, das alles in allem sehr gut war, auch wenn mir Courvoisier mit ihrem Trio nochmal besser gefällt (bzw. live gefiel). Sartorius gelingt es, ein Set zu spielen, in dem nichts vertraut oder abgelutscht klingt, kein einziger Move, den man so erahnt hätte. Courvoisier schafft das leider nicht immer, da und dort scheint sie auf Teufel (Cecil?) komm raus verdichten zu wollen, und hämmert dann auf dem Flügel herum wie eine Besessene. Das ist nicht ohne Reiz, aber in dem Rahmen fand ich es stellenweise ziemlich unorganisch.

Nach der Pause kamen die beiden zurück, um zusammen mit dem feinen englischen Trompeter Tom Arthurs (ich glaube er unterrichtet inzwischen in Bern) den Begleit-Act für die grosse Teju Cole-Show zu geben. Dieser war vor einigen Jahren mal längere Zeit im Rahmen eines artist in residence-Jobs in Zürich, vermutlich kamen auch deshalb viele Leute. Es gab eine Slide-Show mit Photos, teils aus der Schweiz, teils von „hot spots“ der letzten Jahre in und um Europa (Flüchtlingsboote im Mittelmeer, klar) – dazu Texte, die einen Spagat suchten zwischen poetisch und politisch, die im Gestus eines Predigers dargeboten wurden (eine coole Socke aber, der Vorsteher dieser congregation) – manches war zwar verblüffend oder in der kleinteiligen Beobachtung auch ganz gut, aber als ganzes war das mal wieder einer der scheiternden Versuche, gesprochenes Wort mit Musik zu verbinden. Die Band blieb dabei meist respektvoll im Hintergrund, drehte da und dort aber auf, reagierte durchaus auf die Texte und wirkte auch sehr kompetent. Das dauerte etwa eine Stunde, dann war es vorüber. In der Seilbahn hinunter in die Stadt leuchtete dann das Lämpchen „Überlast“, und das passte ganz gut zum recht schalen Nechgeschmack.

Am Samstag hatte ich mir das Kukuruz Quartett geschenkt, das an dem Abend keinen Julius Eastman sondern Stücke von vier Komponistinnen spielte (unter ihnen Mary Jane Leach, die sich um Eastman ja sehr verdient gemacht hat), am Sonntag war komischerweise Pause, am Dienstag zog ich mit Alexander Hawkins durch die Stadt, statt ans kleine Konzert von Susanne Abbuehl (Stimme, Harmonium) und Matthieu Michel (Flügelhorn) zu gehen – Abbuehl mochte ich einst ganz gerne, aber „Harmonium“ und der Kontext schreckten mich dann doch zu sehr … am Mittwoch hörte ich von der ersten Cecil Taylor-Hommage – dem Duo Sylvie Courvoisier/Irène Schweizer an zwei Flügeln – nur von draussen ein paar Töne … die Welt hat Taylor allerdings schon damals eingerissen, das immer wieder zu wiederholen scheint mir nicht so ergiebig (warum ist das anders, wenn Brötzmann es auch immer wieder tut?) … aber gut, es ging wie erwähnt in die Oper, was wohl die richtige Entscheidung war, zumal ich Nils Wogram Root 70 vor nicht allzu langer Zeit schon in einem sehr feinen Konzert gehört hatte (und die sicher verdienstvollen Hochschulprojekte, die im Rahmen des Unerhört auch stattfinden – dieses Jahr kamen Chris Wiesendanger, Christian Lillinger und Fred Frith zum Zug – mich nicht so sehr interessieren, an dem Abend wäre das von Wiesendanger zu hören gewesen).

Zürich, Helferei – 29.11.2018

Hommage à Cecil Taylor: Alexander Hawkins/Yves Theiler

Alexander Hawkins (p), Yves Theiler (p)

Am nächsten Abend hörte ich eine knappe Dreiviertelstunde des zweiten Klavierduo-Konzertes, das als Hommage an Cecil Taylor angekündigt war – es spielten Alexander Hawkins und Yves Theiler. Das Set dauerte offenbar deutlich länger als vorgesehen (ich hörte: zu lang), es dauerte aber auch ein wenig, bis Schwung in die Bude kam. Wirklich gelingen wollte das Duo für meine Ohren aber nicht, obwohl es manchmal Momente gab, in denen die zwei zusammenfanden, in denen sich die zwei Klavier zu einem zu fügen schienen, einen dichten Tanz der Finger auf den gestimmten Trommeln aufführte. Ich brach zwar etwas enttäuscht vorzeitig auf, hätte gerne weiter gelauscht – aber was ich danach in der Tonhalle hörte, war mehr als genug der Entschädigung (Mahlers Vierte!).

Den nächsten Abend brauchte ich eine Pause, verzichtete auf Fred Frith, der mit einem Ensemble der Hochschule Luzern aufspielte, auf ein Trio von Malene Bach (Visuals), Lotte Anker (Sax) und Jakob Riis (Laptop, Feedback, Processing) sowie Shabaka Hutchings solo (das Nocturne-Konzert vom Trio Heinz Herbert hätte ich wohl eh sausen lassen müssen, weil man danach nicht mehr heim kommt, wenn man sich kein Taxi leisten will …)

Am Samstagnachmittag trat dann Christoph Hein mit Baby Sommer auf, auch darauf verzichtete ich, ebenso wie auf Sommer mit Till Brönner am Sonntagnachmittag. Dafür konnte ich am Samstagabend Herrn Hein immerhin dabei behilflich sein, auf dem Areal der Roten Fabrik das Restaurant anzupeilen.

Zürich, Rote Fabrik – 1.12.2018

Joey Baron/Robin Schulkowsky
Joey Baron (d, perc), Robin Schulkowsky (d, perc)

Marc Ribot’s Ceramic Dog
Marc Ribot (g, voc), Shahzad Ismaily (b, d, voc), Ches Smith (d, voc)

District Five
Xaver Rüegg (b), Tapiwa Svosve (as, synth/elec), Vojko Hutter (g, synth/efx), Paul Amereller (d)

Am Samstag ging es dann an den zweiten Abend (nach Freitag) in der Roten Fabrik, dem Ort, an dem früher das Taktlos und in ganz frühen Zeiten auch ein grosser Teil des noch kürzeren Unerhört stattfanden, und wo obendrein auch die Reihe Fabrik Jazz durchgeführt wurde, vom gleichen Mann, der auch hinter dem Taktlos stand, Fredi Bosshard. Leider ist das alles Geschichte, immerhin scheint das Taktlos zu überleben, wird aber – wie dieses Jahr auch das Unerhört – zu einem Mix aus kleinen und grossen Namen, lokalen Leuten und Gästen, einer Verquickung von gar vielem, dabei eben auch Bands und MusikerInnen, für die man kein Festival braucht, weil sie von hier sind … etwas unbefriedigend im Fazit, aber das konnte ja schon dem Programm entnommen werden, das seit August draussen war.

Joey Baron/Robin Schulkowsky also zum Auftakt – ein wenig wirkten sie wie ein altes Ehepaar mit eingespielten kleinen (musikalischen) Ritualen. Klanglich war das nicht unattraktiv, weil Schulkowsky eine Vielzahl an Instrumenten (eine Kesselpauke, diverse Becken und Trommeln, Bongos, Gongs, etc., Baron hatte neben seinem Drum-Kit zwei Congas aufgestellt und ein Bisschen Kleinkram mit, den Schulkowsky natürlich auch dabei hatte) um sich hatte und diesen immer wieder überraschende Klänge zu entlocken vermochte. Baron legte meist einen Groove vor (das ist ja, war er am besten kann), über den Schulkowsky sich dann entfalten konnte, auf den sie auch mal eingehen konnte, einen kurzen Rollentausch, ein kurzes Ping-Pong mit Motiven und Patterns initiieren konnte. Auf die Dauer fand ich das zwar alles sehr hübsch, aber dann doch auch nicht zwingend.

Weiter ging es mit Marc Ribot’s Ceramic Dog, der Hauptattraktion des Abends. Ein Trio, das zugleich irgendwie total heutig ist, aber auch völlig aus der Zeit gefallen, ein wandelnder Anachronismus, Agit-Prop, engagierte Songs, gebrüllte Parolen, brachiale Riffs und Beats, Ches Smith mit seinen absurd hohen Becken, die er denn auch bei schnellen Passagen kaum noch spielen kann, weil auch seine Arme nicht schnell genug sind … Ismaily in seinem hellblauen Plüschoverall mit der Ohrenmütze ziemlich lakonisch am Bass, den Verstärker drehte er erst beim dritten Stück wirklich auf, dann noch mehr und noch mehr, und es wurde stellenweise beängstigend laut, was aber durchaus zu dieser Band zu gehören scheint (ich kannte sie bisher nicht) – aber es wurde dann eben doch eine Spur zu laut, was mal wieder die leidige Frage aufwarf, warum Musiker es darauf anlegen, dass das Publikum mit billigen Pfropfen im Ohr nur noch eine dumpfe Ahnung davon haben soll, was denn auf der Bühne gerade geboten wird (Teil 1). Die Mischung aus Rock und Protest mit etwas mehr als einer Prise Jazz dazwischen kam aber insgesamt beim Publikum, das wohl zum grössten Teil wegen Ribot gekommen war, gut an.

Danach ging es gegenüber weiter, das lokale junge Quartett District Five spielte das letzte Set im überfüllten Fabriktheater (bisher fanden dort Nocturne-Konzerte nach 23 Uhr statt, wenn die Hälfte der Leute eh schon heimgeht, ich manchmal auch, s.o., dieses Mal war es absurd überfüllt, weil es erst 22:30 war und erst das dritte Set, das sonst jeweils schon vor dem Wechsel im grösseren Clubraum zu hören war … aber gut, das Set kam schwer in Fahrt, es dauerte, bis die vier etwas machten, was der Nebelmaschine auf der Bühne Konkurrenz machte. Ein Riff vom Sax, ein Riff von der Gitarre, ein Bass-Lick – einzig der Schlagzeuger zierte sich nicht. Dann fielen die Jungs in einen ziemlich stupiden Techno/Dance-Beat, den sie zwar dann wieder verliessen, aber ich verliess dann, nach wohl 15 Minuten, auch das Fabriktheater, weil ich nicht mehr in der Lage war, mich auf ein (vermutlich einem grossen Bogen entworfenes) weiteres Set einzulassen.

Zürich, Moods – 2.11.2018

AKSHAM
Elina Duni (voc), Marc Perrenoud (p), David Enhco (t), Florent Nisse (b), Fred Pasqua (d)

Théo Ceccaldi „Freaks“
Théo Ceccaldi (v, voc), Valentin Ceccaldi (vc, elb), Quentin Biardeau (ts, keys, voc), Mathieu Metzger (as, bari), Giani Caserotto (g), Etienne Ziemniak (d)

Der Abschlussabend fand dann einmal mehr im Moods statt, dem immer noch wichtigsten Jazz-Spielort der Stadt, wenn man von Festivals absieht – der aber nicht mehr so viel Jazz programmiert, wie ich es gerne hätte, Jazzer gerne an Off-Nächten (Dienstag etwa) bucht, und auch mehr lokalen Leuten eine Bühne bietet (was ja an sich löblich ist, aber dafür gäbe es auch andere Spielstätten – man merkt, ich bin mit der momentanen Jazz/Impro-Versorgung in Zürich überhaupt nicht glücklich).

Am Sonntag gab es zum Auftakt allerdings ein Projekt, das mich sehr wundernahm, denn Elina Duni war in den letzten Jahren entweder Solo, im Duo mit dem Pianisten Jean-Paul Brodbeck oder in anderen speziellen Projekten unterwegs – die Gruppe mit Colin Vallon am Klavier ist leider Geschichte. Umso neugieriger war ich zu hören, wie dieses Quintett klingen würde, das inzwischen seit einem Jahr unterwegs ist und, so scheint es, gerade eine Platte produziert hat oder dabei ist. Das gebotene Repertoire – eigene Songs, Vertonungen von Verlaine oder Joyce – stammt allesamt von Duni oder ihren Kollegen, es wird fein gegroovt, manches klingt aber auch recht poppig oder – das liegt natürlich auch an der Sprache und der Herkunft der Musiker – nach französischem Chanson. Das dunkle Timbre von Dunis schöner Stimme ist aber auch in diesem Rahmen ein Gewinn und das Zusammenspiel mit der Band klappt hervorragend. Besonders toll war David Enhco an der Trompete, der auch mal ein stählernes Solo einwerfen konnte, wie es in einer Big Band passend gewesen wäre, ohne dass er den lyrischen Rahmen verlassen hätte. Ich fand das Quintett aber wirklich in allen Einzelteilen super, Pasqua bot tolle Grooves, Nisse einen tiefen aber auch beweglichen Bass mit schönem Sound, Perrenoud bettete Duni und wirkte als Kitt, der alles zusammen hält, steuerte aber auch ein paar sehr schöne Soli bei. Auf das Album bin ich gespannt, es würde zu ECM passen, aber ob Duni und/oder Vallon dort bleiben (können) nach dem Split – keine Ahnung.

Duni zog noch weiter, sie gab später am Abend im kleinen Rahmen noch ein Solo-Konzert, wie ich zufällig herausfand … doch ich blieb – leider? – im Moods und hörte mir die letzte Band des Festivals an (bekloppte Lautstärke, Teil 2). Die Ceccaldi-Brüder an Geige und Cello (bzw. die meiste Zeit an der Bassgitarre) funktionieren als Kern der Gruppe „Freaks“, in der zwei Saxophone, eine viel zu leise Gitarre und ein bekloppt lauter Drummer mitwirken. Musikalisch bewegt sich das zwischen Zappa, Ponty, Fun-Punk, Hipster-Quatsch, Retro-Kitsch, alles ist dreimal, siebenmal postmodern gebrochen, gespiegelt, aber dennoch wirkt nichts davon ironisch sondern wird mit bitterstem Ernst musiziert, bis hin zum Paganini-Gefiedel mit exaltierten Bewegungen (der Undercut ist da natürlich etwas schwierig, aber die Haare obendrauf waren schon recht lang, fast so lang wie der Bart jedenfalls – tut nichts zur Sache, ich weiss, ist aber gerade bei der Band, die das Auftreten als solches zu zelebrieren scheint, Teil des Ganzen). Der Reiz der Musik hatte sich für mich nach wohl zehn Minuten ziemlich erschöpft, die dann erst folgenden Rumpel-Groove-Nummern – irgendwas zwischen Tango und Rumba, mit kaputtem Charme hingerotzt, aus dem dann aber auch ein kreischendes Saxophon ausbrechen konnte – machten dann schon irgendwie Spass, wie das ganze auch, das bestimmt nicht schlecht gespielt war, aber teils an ähnlichen Dingen zu leiden schien wie Peter Bruun am ersten Abend: Alles etwas zu abgekartet, zuviel gewollt, zuviel verloren dabei.

Dass der erste und der letzte Abend aus je einem schönen akustischen und einem krawallig-postmodernen elektrischen Set bestanden, mag Zufall gewesen sein, es spannt aber auch einen Bogen über das Festival, das mir ebenso wie die beiden Abende uneinheitlich und ohne wirklichen roten Faden daherzukommen schien (von insgesamt 23 Sets – ein Kinderkonzert vom Sonntagmorgen mitgezählt – hörte ich aber nur 8 komplett, eines halb und eines wohl zu einem Viertel oder noch weniger, aber ich glaube nicht, dass mein Eindruck ein völlig anderer wäre, hätte ich mehr gehört. Frith zu verpassen fand ich schade, allerdings hätte ich ihn gerne im kleinen Rahmen mit einem eigenen Projekt gehört, so löblich diese Hochschul-Projekte auch sein mögen … insgesamt also ein durchwachsenes Fazit mit ein paar Höhepunkten (Draksler/Eldh/Lillinger, AKSHAM), ein paar weiteren guten Auftritten (Courvoisier/Sartorius, Ceramic Dog), einem ordentlichen Schlagzeugduo (Baron/Schulkowsky), einem ebensolchen Klavierduo, das ich nicht zu Ende hören konnte (Hawkins/Theiler), und ein paar eher mittelmässigen bis schwachen Sachen (Ceccaldi, Bruun, District Five).

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