Antwort auf: Spex

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herr-rossi
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albertoIm nachschulischen Leben ging es mangels musikinteressiertem Umfeld nur noch um ein persönliches Musikerlebnis. Da die Konsenssuche keine Rolle mehr spielte, war das Ziel ab jetzt (introspektive) Wellness. Hier haben Musikzeitschriften dann die Funktion, Musik, die einem nicht hinterher getragen wird, aktiv zu entdecken. Vorher wollte man nicht als Schlafmütze gelten.

Ich verstehe den „Wellness“-Begriff in diesem Zusammenhang nicht, das ist ein Begriff aus der Freizeitindustrie, den ich für die Auseinandersetzung mit Kunst als unpassend empfinde. Es ist ganz sicher so, dass viele Erwachsene vor allem funktional hören, zur Entspannung, zum Sport, solche Sachen. Das ginge für mich in die gleiche Richtung wie die Kritik an der Nutzung von „Musik als Hintergrundgeräusch“, dem keine Bedeutung zugemessen wird – was ja „der Jugend von heute“ unterstellt wird. Aber das, was Du beschreibst, ist doch der Kern einer persönlichen, tiefergehenden Beschäftigung mit Musik, die losgelöst ist von Peer Group-Phänomenen und „mitreden können“. Ich habe Musik schon immer stark wahrgenommen, solange ich denken kann, und mit etwa 12 begonnen, mich aktiv damit zu befassen, mich durch die Platten meiner Eltern „gearbeitet“ und intensiv Radio gehört, und jedes Fitzel Information aufgesogen, das ich irgendwo bekommen konnte. Bis auf eine kurze Phase Anfang der 80er, in der ich einen Schulfreund hatte, mit dem ich zumindest aktuelle Musik teilen konnte, war das für mich immer schon etwas, was ich allein „für mich“ betrieben habe. Erst durch das Internet habe ich Menschen kennengelernt, die meine Begeisterung teilen und mit denen ich mich austauschen kann, u.a. hier im Forum. Meine Bibel war in den 80ern übrigens nicht „Formel Eins“ – ich habe das natürlich auch gesehen, man hatte ja vor MTV kaum etwas anderes, aber ich mochte das Sendungsformat und die Moderatoren überhaupt nicht. Mein wöchentliches Hochamt waren die UK-Top 40 auf BFBS (für Peel war ich nicht cool genug …), ich kannte aber niemanden, der die auch regelmäßig gehört hat.

Im Ergebnis war die Formel Eins in der Schulzeit bei uns noch fast bis zum Schluss relevant, weil jeder das, was dort lief, kennen (nicht notwendig gut finden) musste. Ich wüsste heute nicht, wer mir den Weg durch Youtube oder Streaming-Playlisten bahnen sollte, wenn ich wissen wollte, was in den verschiedenen Genres in meinem Jahrgang im jeweiligen Grüppchen gerade angesagt ist und was ein Kandidat für Konsensmusik ist. Eine Zentralinstanz, die das leistet, fehlt.

Ich habe schlechte Nachrichten für Dich, nimm es bitte mit Fassung: Du weißt nicht, wie Du Dich informieren solltest, weil Dir schlicht die entsprechende Medienkompetenz fehlt. Das ist Dein Problem, nicht das der heute 14-jährigen, die natürlich wissen, wie man sich „auf dem Laufenden“ hält … Über die Vorstellung, das es mal eine Zeit gab, in der man sich zu einer bestimmten Uhrzeit vor den Fernseher setzen musste, um 45 Minuten lang fest vorgegebene Musikclips zu sehen, davon viele nur kurz angespielt im Countdown, kann ein heute 14-jähriger doch nur so den Kopf schütteln, wie wir bei Erzählungen aus einer Zeit, in der es nur einen Fernsehsender gab. Möchte irgendwer im Netflixzeitalter wirklich zurück ins Peter Frankenfeld-Land? Ich habe die Musik der Achtziger geliebt und tue es bis heute, aber ich hätte damals so gerne die Möglichkeiten gehabt, mich zu informieren, die ich heute habe, Nostalgie empfinde ich überhaupt nicht für diese Zeit.

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