Antwort auf: 2018: Jazzgigs, -konzerte & -festivals

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WIM, Zürich – 26.10.2018

1. Set: Urs Leimgruber (ts, ss) & Jean-Marc Foussat (elec, voice, realtime processing)
2. Set: Christoph Gallio (ss, as, c-mel) & Valentin Dietrich (elb)

Gestern nach einem Monat und einem verpassten, eigentlich eingeplanten Termin (letzte Woche Sandra Weiss (sax) solo und Michel Doneda (sax)/Christoph Wolfahrt (d) im Duo) wieder in der WIM … das erste Set mit Leimbgruber war superb, eine Musik zwischen angestauter und sich befreiender Energie, dabei sehr eng verzahnt und von Foussat teils live prozessiert (Leimgruber hatte in Mikrophon vor sich, dessen Input Foussat in seine Klanglandschaften einbauen konnte, wenn er wollte – Echos, Loops und andere Bearbeitungen inklusive). Natürlich lassen sich auch bei Leimgruber Schemata erkennen, Vorgehensweisen, die einem mit der Zeit vertraut vorkommen, wenn er etwa nach dem Wechsel aufs Tenorsaxophon von diesem zunächst nur den S-Bogen nutzt, dann diesen ins Saxophon steckt und ohne Mundstück Töne zwischen Luft und Wind, Klappengeräuschen und „echten“ Saxophontönen erzeugt, gerne dabei das Instrument im Raum schwenkend, schliesslich das Mundstück aufsteckt und zu spielen beginnt, wobei die Übergänge stets organisch gestaltet sind und in einem solchen Kontext auch mit dem vollständig zusammengesetzten Instrument in erster Linie den möglichen Klängen nachgeforscht wird, eine herkömmliche Phrase oder Melodie erwartet man da vergebens. Foussat erwies sich als quicklebendiger Partner. Er sass hinter einem Tisch voller verkabelter Utensilien: Laptops, Synthesizer, daneben kleine Instrumente (eine Maultrommel, eine Mundharmonika, eine Klangschale etc.) und ein Mikrophon für seine Stimme. So entstanden vielfältige Klangwelten, mal karg, ein kleiner Beat aus Silben etwa, ein paar Töne aus der Mundharmonika, dann mit Loops und Synthesizerklängen und vielleicht noch einem Saxophon-Echo geschichtete, dichtere Passagen. Die Dramaturgie des Sets gelang ebenfalls sehr gut. Schön! Und natürlich wieder vor nur einem Dutzend Leuten, obwohl – wegen Leimgruber vermutlich – ein paar Stühle mehr bereit standen, als in der WIM üblich.

Das zweite Set fand ich dann etwas problematisch. Dietrich spielt eine Art Seifenkisten-Bass, der schön gearbeitet aussah, vielleicht ein Selbstkonstrukt, ich weiss es nicht. Drei Saiten wohl, ein paar Bändel am Hals, die er manchmal auch nutzte, um die Saiten zu bearbeiten. Verstärkt war er nicht sehr, er spielte – zumal für ein Projekt, das sich „Was ich immer schon sagen wollte“ nennt – ziemlich wenig, setzt oft ganz aus. Gallio, der auch ein C-Melody dabei hatte (das erste Mal, dass ich das Instrument in echt sah und hörte), blies seinerseits die meiste Zeit aufgestaute Töne, sein Kopf wurde beängstigend rot, doch der Stau löste sich nur selten in kurzen Eruptionen, denen Dietrich mit seinem verhaltenen Instrument wiederum wenig entgegenzusetzen hatte. So entstanden wenige wirklich gemeinsam gestaltete Passagen und es stellte sich bei der recht gleichförmigen Ausgestaltung auch bald ein wenig Langeweile ein. Am ehesten – aber das mag an mir gelegen haben, s.o. – fand ich dann die Passage gegen Ende, als Gallio zum C-Melody-Saxophon griff, besser, kohärenter, weil er den schönen Sound des Instruments häufiger erklingen liess, und nicht nur gequetschte, sich fast nie frei entfaltende Töne blies.

Aber gut, das wichtigste Fazit in der WIM ist immer wieder dasselbe: es bleibt ein Privileg, in diesem kleinen Rahmen den freien Gedankengängen der Künstler und Künstlerinnen zu lauschen (letztere kamen gestern zu kurz, Sandra Weiss sass aber im Publikum, ebenso Daniel Studer, der langjährige Bassist des Trios Day & Taxi, mit dem Gallio eine Art Nachfolge-Musik zu Steve Lacys melodischem Miniaturen-Jazz schaffte, der so anders ist, als die Musik, die gestern auf dem Programm stand).

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