Antwort auf: Jazz-Glossen

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friedrich

Registriert seit: 28.06.2008

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Ein anregender Beitrag, @gypsy-tail-wind.

Die Herbie Hancock / Blue Note-Box habe ich auch. Man kann da hören, dass HH seine Alben jeweils mit einem Konzept aufgenommen hat – vielleicht nicht alle, aber im Laufe der Zeit scheint das immer ausgeprägter zu werden. Anfangs ist das noch mehr oder weniger Hard Bop, doch schon bei seinem dritten Album Inventions & Directions wird das deutlich. Da lässt er sich nur von Paul Chambers am Bass und zwei Latino-Perkussuionsten begleiten. Das ergibt eine ganz eigenen rhythmischen und dramaturgische Eigenart. Sehr außergewöhnlich und sehr gut. Maiden Voyage hat nicht nur mit dem übergordneten Thema „Das Meer“ ein klares Konzept, auch musikalisch hat das einen speziellen Fluss. HH wählte offenbar seine jeweiligen Begleiter auch gezielt für diese Projekte aus. Und bei Speak Like A Child gibt es das ungewöhnliche Bläsertrio Thad Jones, Peter Philips, Jerry Dodgon (Flügelhorn, Bass-Posaune, Flöte !), das gemeinsam einen fein pastellfarben changierenden Klang hat, der gegen das Solo-Piano von HH gesetzt wird. Der Charakter und die Güte dieses Albums ist umso stärker, je konsequenter dieses Konzept umgesetzt wird. Ich denke Thad Jones, Peter Philips, Jerry Dodgon machen da einen ausgezeichneten Job.

Eine der größten Enttäuschungen durch den von mir ansonsten sehr geschätzen Thelonious Monk, war das Big Band & Quartet In Concert-Album von 1963. Ich kannte davon eine Aufnahme von einer Compilation (Misterioso), die mich anfixte. Doch auf dem Album laufen tatsächlich fast alle Stücke noch dem gleichen Schema ab, Thema-Solo-Solo-…-Thema. An sich ist das nichts Böses, aber wenn dieses Schema nicht mit Leben gefüllt wird, bleibt am Ende nur eine tote Hülle. Ich glaube, ich habe es nie geschafft, das Album von vorne bis hinten zu hören. Irgendwann fielen mir vor Langeweile immer die Ohren zu. Ich habe es dann verkauft oder verschenkt.

Und wo ich gerade dabei war: Con-Soul & Sax von Wild Bill Davis und Johnny Hodges mag im Vergleich zu den oben genannt Alben nur eine Fußnote der Jazzgeschichte sein. Aber wie sich die beiden Co-Leader hier mit ihren Soli die Bälle zuspielen, wie die beiden charakteristischen und individuellen Stimmen auf Altsax bzw. Hammond hier kontrastierend miteinander kommunizieren und sich gegenseitig herausfordern und zur Geltung bringen – das ergibt für mich tatsächlich mehr und was anderes als die Summe seiner Teile. Und vielleicht darf man die Gegenüberstellung Hodges (Altsax) + Wild Bill (Hammond) damit auch schon fast als ein Konzept begreifen. Das finde ich gut.

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“There are legends of people born with the gift of making music so true it can pierce the veil between life and death. Conjuring spirits from the past and the future. This gift can bring healing—but it can also attract demons.”                                                                                                                                          (From the movie Sinners by Ryan Coogler)