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Die Sache mit dem Thema-Solo-Solo-Thema Schema flackert ja gerade wieder auf:
friedrich
Ich schiebe das mal hier rein, den Johnny Hodges war ja einer von Duke’s men.vorgarten
gypsy-tail-wind
ich hab schon ein halbes Dutzend mögliche Tracks beisammen![]()
dachte ich mir
denk aber bitte an friedrich und mach keine 3×100 minuten daraus. falls er überhaupt lust darauf hat: hardbop ist ja thema-solo-solo-solo-thema, davon hat er sich ja letztens deutlich distanziert
(wenn johnny hodges das wüsste…)
Thema-Solo-Solo-Solo-Thema – im Prinzip nichts dagegen, wenn es Freude bereitet. Vielleicht stand ich beim Kommentar des BFTs etwas unter Zeitdruck und war etwas angespannt. Da rutscht mir schon mal eine vorlaute Bemerkung heraus, wahrscheinlich unzulänglich informiert und voreingenommen. Vielleicht habe ich aber auch schon zu viele Stücke nach dem Schema Thema-Solo-Solo-Solo-Thema gehört, bei denen ich mich spätestens beim Basssolo fragte, wo da noch mal der Bezug zum Thema war, welchen dramaturgischen Sinn das jetzt ergibt und ob die Aneinanderreihung der Soli hier größer ist als die Summe ihrer Teile. Kommt leider vor. Aber Schwamm drüber.
Warum ich das hier aufgreifen möchte? Weil ich – teilweise immer noch – die Leute verdammt noch Mal mit ihren Soli hören will, möglichst oft! Alben mit grösseren Besetzungen (und seien es nur Sextette oder Septette), bei denen die Sidemen dann nur ein- oder zweimal statt in jedem der sechs Tracks zu hören sind, frustrierten mich früher oftmals sehr. Da hat man tolle Leute beisammen, gerade im Hard Bop gerne Mal Leute, die man nicht allzu oft hören kann (oder an deren Aufnahmen man nicht so einfach kommen konnte) – und dann kriegen sie gerade Mal ein Solo oder zwei.
Mein Ausgangspunkt ist da aber auch ein anderer, weil es eben wirklich der „grosse“ Modern Jazz der Fünfzigerjahre ist, mit dem ich mich ernsthaft mit Musik auseinanderzusetzen begann (davor gab es eigentlich fast nur Bob Dylan … und Stephan Eicher, und einzelne Alben von verschiedenen Leuten oder Bands, Tom Petty, Springsteen, Morcheeba, Maceo Parker, Portishead, 4 Hero, Tricky, Janis Joplin, Jimi Hendrix, The Doors, Nirvana …) –
Und dann eben: hat man mal ein Album in die Hände gekriegt, bei dem Saxophonist X oder Trompeter Y dabei ist, und dann hört man die fast nicht! Die Nuancen des Zusammenspiels, die – das behaupte ich jetzt munter mal so – vielen, die Kamasi und sowas hören, aber mit Jazz nicht tiefer vertraut sind, auch heute bei Leuten verloren sind, die sich kaum dem „konventionellen“ (das ist ja in der Regel eh ein Anachronismus) Jazz zuwenden würden … diese Nuancen (also z.B. die Unterschiede in den Ensembles von Bebop-Aufnahmen der Vierziger und Hard Bop-Bands, zehn Jahre später) hörte ich damals auch nicht bzw. sie interessierten mich kaum.
Das erklärt dann vielleicht auch, dass ich z.B. Herbie Hancocks „Speak Like a Child“ zwar schon bald wenigstens auszugsweise – im Laden immer wieder reingehört und doch nie gekauft – kannte, im Regal hatte ich das Album dann in der 1998er-Box den gesammelten Blue Note-Aufnahmen der Sechziger (die zeitlich Einschränkung sollte wohl klarmachen, dass kein Material vom „Round Midnight“-Soundtrack drin ist? Ich höre die Sachen übrigens weiterhin aus der Box, habe nie spätere Reissues gekauft). Was ich sagen will: ich mochte das Album lange Zeit nicht sehr … weil: da is Thad Jones, aber man kriegt ihn (solistisch) nicht zu hören! Was für eine Verschwendung! (Ich kannte damals schon das kleine Mosaic-Set mit seinen Blue Note/United Artists/Roulette-Aufnahmen, das ich auch heute noch über alles schätze, die Debut-Sessions kenne ich erst viel weniger lang.)
So gesehen war Thema-Solo-Solo-Thema genau das, was ich wollte. Wenn es noch Interludes, arrangierte Begleitungen (z.B. im zweiten und vierten Chorus der Solos) oder einen Shout-Chorus (gab’s im Bebop übrigens noch nicht, eine typische Hard Bop-Sache, die natürlich manchen Big Band „Soli“ abgeschaut ist, nehme ich an [1]) gab, freute ich mich natürlich sehr und meine Ohren waren – etwa durch J.J. Johnson (auch da eine Mosaic-Box, die ich früh kaufte), Max Roachs Bands oder auch die erwähnten Alben von Thad Jones (wo eben auch mal der Pianist oder der Bassist früh soliert und die Bläser nachher an die Reihe kommen) – auch bald gespitzt für Varianten, die eben vom Schema „Thema-Solo (Bläser 1)-Solo (Bläser 2)-Solo (Bläser 3)-Solo (Piano)-Thema“ abwichen, bald mal geschärft.
Das mit den langweiligen Bass-Soli hingegen verstand ich nie (und neige heute noch dazu, die Schuld Monk zuzuschieben, der eben in seiner Columbia-Zeit (wo fast jede Nummer ablief:- Thema-Solo (ts)-Solo (p)-Solo (b)-Solo (d)-Thema) keine Bassisten bei sich hatte, die ein wirklich interessante Solos hinkriegten (ich weiss @soulpope, bei Larry Gales ging das schon, aber auf die Dauer ist es auch bei ihm etwas ermüdend). Ich mochte Bass-Solos immer, auch die gestrichenen von Paul Chambers, den ich inzwischen längst etwas weniger schätze als damals (wo ich dafür die Grösse von Wilbur Ware noch nicht wirklich schätzen konnte). Aber klar, stets ein Bass- und ein Schlagzeugsolo, das muss nicht sein – aber pro Album z.B. je zwei, und natürlich ein paar Runden Fours fand ich immer sehr okay. Auch bei den „Fours“ (dem abwechselnden Spiel von je vier Takten von Bläser mit Rhythmusgruppe und Schlagzeuger solo) kann man Abwechslung einbringen, in dem man denn Pianisten und/oder den Bassisten miteinbezieht oder nicht, oder auch mal Fours ohne Schlagzeuger spielt (Max Roach liess z.B. den Bass gerne bei seinen Schlagzeugsoli mitspielen, auch das eine Möglichkeit, die nur selten genutzt wird) und diesem dafür in der Mitte mal einen ganzen Chorus – z.B. in einem zwölftaktigen Blues – zu spielen gibt, man kann auch Achter, Vierer, Zweier spielen, mit der Verdichtung eine Intensitätssteigerung erzeugen, die man dann z.B. in einem Shout-Chorus auflösen kann, bevor man das Thema rekapituliert usw.)
Das geht jetzt alles viel mehr ins Detail als geplant – aber es soll erklären, warum ich aus hörbiographischen Gründen auf flapsige Stänkerein gegen „Thema-Solo-Solo-Thema“ manchmal gar nicht oder manchmal stänkernd polemisch reagiere … der zentrale Punkt ist aber, dass ich die Soli generell als den Aspekt des Jazz ansehe, bei dem der persönliche Charakter der Musiker zum Vorschein kommt, der eigene Sound, die Phrasierung, die dramaturgische Gestaltung – oder auch das Scheitern. Dabei ist es nicht die Zirkusnummer mit dem klotzenden Testosteron-Bolzen, die mich am am meisten fasziniert, gerade im Hard Bop gibt es auch bei den Typen mit spitzen Ellbogen (Freddie Hubbard, Lee Morgan) oder kantigem Auftritt (Clifford Jordan, J.R. Monterose, Jackie McLean) oder Hypervirtuosität (Johnny Griffin, Freddie Hubbard) oft genug vielschichte persönliche Spielweisen. Ich neige fast dazu, die Sache mit der „power of vulnerability“ (Lester Young via Miles Davis und von da in den Hauptstrom, vgl. Ethan Iversons gute Ausführunen dazu in seiner grossen Hommage an Young – es gab natürlich auch neben Miles schon eizelne Exponenten wie Kenny Dorham, etwas später Art Farmer, Johnny Coles – dass es eher Trompeter sind, ist wohl keine Überraschung [2]). Will sagen: hinter der „street smart“ Pose eines Morgan oder McLean liegen Schichten, deren man sich bewusst sein sollte – und die man durchaus auch der Musik anhören kann, wenn man denn will.
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[1] „Soli“, wie in „Sax-Soli“, meint in der Regel eine Passage (einen ganzen Chorus, einen halben, acht Takte …), in der das ganze Sax-Register (2 as, 2 ts, bari) eine arrangierte Passage spielt, nicht unisono sondern irgendwie hübsch gesetzt und natürlich passend durch die Changes (v.a. in der „Bridge“) geschoben … das macht auch zum Spielen extrem viel Spass, wenn der Lead-Altsaxer gut ist (einer der Gründe, warum der Lead-Altsaxer in Big Bands oft kein ausgewachsener Solist ist – z.B. Earle Warren bei Basie ab 1936: vielgeschmäht als Crooner, zu recht wohl, aber als toller Lead-Saxer im Schatten der Vorwürfe leider ziemlich ignoriert – liegt eben darin, dass das ein Job ist, bei dem man verdammt viel zu tun hat, auch wenn man nicht noch soliert … dasselbe gilt für den Lead-Trompeter, der in aller Regel auch nicht der wichtigste Solist des Trompetenregisters ist, die spielen eher zweite bis vierte Stimme – oder im Fall von Louis Armstrong bei Fletcher Henderson spielen sie gar nicht mit, weil’s mit dem Notenlesen – „pp“? „pound plenty“, also volle druff! – nicht so gut klappte).
[2] Die Pres-Saxer (aka „grey boys“) sind ja keine Hard Bopper und liessen eigentlich den Aspekt der Verletzlichkeit auch fast ganz weg … sie waren ja fast alle weiss und hatten ein ganz anderes Verständnis bzw. eine andere Wahrnehmung/Erfahrung mit der US-Gesellschaft gemacht – ungebrochen, wenn man so will, und deshalb klingen ein Cohn, ein Sims niemals so poetisch-verloren wie Young – einzig Stan Getz kommt in Sachen Poesie vielleicht an das Vorbild heran (verloren hat er sich wohl vor allem selbst – was auch nicht auf die leichte Schulter zu nehmen ist, aber auch wieder eine ganz andere Erfahrung, die den afro-amerikanischen Künstlern obendrein wohl auch noch in verschärfter Weise drohte), und dies wohl auch gerade, weil er in seinem Sound sich von Young weiter entfernt und ihm damit wieder näher kommt: er ist facettenreicher, weicher, vielfältiger – und vermutlich noch viel farbenreicher als Youngs Ton.
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