Antwort auf: Das Piano im Jazz

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In Sachen Mal Waldron

Er fungierte in der Tat als Organisator für eine Vielzahl von Prestige-Sessions, meist mit Gruppen, die so erst im Studio zusammenfanden – dazu gehörte es auch, dass er immer wieder neues Material komponierte und arrangierte. Bei Coltrane war er öfter am Werk (z.B. bei der Session mit Paul Quinichette und vor allem bei der wunderbaren Session mit Frank Wess und Lady Q, die Material für eineinhalb LPs hergab). Auch seine eigenen Alben („Mal-2“) waren teils solche Jam-Sessions. Am besten bzw. am ehesten ihn hören kann man entsprechend auf den Trio-Sessions, „Mal-4“ oder noch besser, finde ich, „Impressions“.

Waldron war ja obendrein auch der letzte Klavierbegleiter von Billie Holiday – das Album von Webster Young ist natürlich ebenso eine Hommage an sie wie auch Waldrons „Left Alone“ (bei Bethlehem erschienen und daher wohl nicht im Sampler vertreten). Das Titelstück (mit Jackie McLean, der Rest des Albums ist im Trio) hat Waldron mit ihr zusammen geschrieben (hab das nicht nachgelesen, hoffe die Internet-Infos stimmen!)

In den frühen Sechzigern taucht Waldron dann auf abenteuerlichen Sessions auf – z.B. den Max Roach-Meisterwerken „Percussion Bitter Sweet“ und „It’s Time“. Und natürlich bei den Five Spot-Aufnahmen von Booker Little/Eric Dolphy.

1963 gibt folgt aber eine harte Zäsur: Überdosis, nicht mehr fähig, Klavier zu spielen – Waldron musste sich das Spiel neu beibringen. Und danach war er nicht mehr derselbe, der zwar mit seinem „Telegraphenstil“ (frag mich nicht, wo ich das her habe … vermutlich aus dem Oreos-Band über Coltrane?) schon früher einen hohen Wiedererkennungswert hatte, aber eben doch auch ein Musiker für alle Fälle und Rahmen war, den man überall hineinsetzen konnte (er machte sogar, wie ich erst gerade sehe, um 1960 auch ein paar Sessions mit Latin-Musikern, und von Roach ging es zu Etta Jones und Gene Ammons „zurück“ … der Abschluss vor der unfreiwilligen Pause ist „Speak, Brother, Speak!“ auf Fantasy, ein Roach-Quartett, das wohl kein Meisterwerk darstellt, aber mit seiner geladenen Atmosphäre und einem toll aufgelegten Clifford Jordan unbedingt hörenswert ist.

Die Sachen von unmittelbar nach dem Comeback kenne ich nicht, sie sind zerstreut und entstanden – es waren ja die Krisenjahre des Jazz angebrochen – in weniger rascher Abfolge. Aber er ist dann in Europa, spielt dort mit anderen Ex-Pats wie Benny Bailey oder Nathan Davis, nimmt dann das allererste Album des Münchner Labels ECM auf (mit Isla Eckinger am Bass und Clarence Becton am Schlagzeug) und mit der Zeit nimmt die Dichte an Aufnahmen wieder zu. Waldron ist in Japan (auch mit Kimiko Kasai, Masabumi Kickuchi), nimmt für französische Labels auf, spielt bei Embryo. In den frühen Siebzigern kommt er – wohl in Paris – wieder vermehrt in Kontakt mit Freigeistern, die Zusammenarbeit mit Steve Lacy wird fortgesetzt und ihre gemeinsamen Meisterwerke entstehen in den folgenden drei Dekaden …

Waldron gründet obendrein wieder eigene Bands, in denen u.a. Manfred Schoof, Lacy, Gerd Dudek, Makaya Ntshoko und viele andere spielen, 1981 nimmt er an der grossen Monk-Hommage in den USA teil („Interpretations Of Monk“, DIW). Auch mit Joe Henderson, Clifford Jordan und Terumasa Hino entstehen feine Aufnahmen, dazwischen immer wieder Solos, Trios, Duos mit Steve Lacy (und David Friesen, Marion Brown … )

In den Achtzigern entstehen im Village Vanguard fabelhafte Live-Aufnahmen eines Waldron Quintetts mit Woody Shaw, Charlie Rouse, Reggie Workman und Ed Blackwell (Soul Note – das abgebildete ist das zweite der Alben, „One-Upmanship“ ist eher noch toller, hat aber ein weniger schönes Cover – man kriegt sie beide in der Waldron-Box von CAM Jazz), mit Anthony Braxton spielt er ein Monk-Album ein (Black Saint). Später spielt er mit Jim Pepper, Barney Wilen, trifft erneut auf Embryo usw. usw.

Es gibt in seiner Diskographie sehr viel zu entdecken, besonders aber ab den frühen Siebzigern einen sehr eigenwilligen Pianisten, der wenig spielt, was Rhythmen und Klangfarben, aber auch immer noch kleine Riffs betrifft, oft sofort zu erkennen ist (darum kam ich auch gleich drauf im BFT, obwohl mir das betreffende Album – das Anfang der 80er mitgeschnittene Duo mit Johnny Dyani am Bass – skandalöserweise noch immer praktisch unbekannt ist … aber ich konnte es letztes oder vorletztes Jahr endlich kaufen und es liegt seither auf den vordersten Stapeln).

Ein schöner Einstieg, so sie aufgetrieben werden kann, ist auch die allerletzte Aufnahme, „One More Time“, 2002 für Sketch eingespielt, im Duo mit dem tollen Bassisten Jean-Jacques Avenel, neben ein paar Solo-Tracks gibt es auch noch zwei Trios mit dem Freund Steve Lacy, der nur eineinhalb Jahre später auch starb.

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