Antwort auf: 2018: Jazzgigs, -konzerte & -festivals

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Pierre Favre Quintett – Zürich, Theater Stok – 01.06.2018

Samuel Blaser, tb
Pierre Favre, d
Bänz Oester, b
Philipp Schaufelberger, g
Nils Wogram, tb

(auf dem Photo v.l.n.r.)
 
Am Donnerstagnachmittag sass Pierre Favre in der Kaffeepause am Nebentisch – und ich hatte mich schon gewundert, ob er wohl grad in Zürich auftritt. Am Freitag guckte ich dann nach und sah, dass er von Montag bis Sonntag im kleinen Theater Stok eine Reihe von Konzerten gibt, solo, in verschiedenen Duos, sowie je zweimal im Schlagzeugquartett und mit einem Quintett. Freitagabend, der erste des Quintetts, passte, also nichts wie hin!

Und was für eine Überraschung: all Monk! Die irren wagten sich sogar an „Brilliant Corners“, ansonsten gab es u.a. „Bright Mississippi“, „Evidence“ und als Zugabe den Blues „Raise Four“ – wenn ich mir nur die Titel von Monks Stücken besser merken bzw. sie besser mit den vertrauten Themen verbinden könnte … „Pannonica“ war wohl noch mit dabei und noch vier, fünf weitere. Das Set dauerte mit Zugabe um die 90 Minuten und es war toll, die Musiker in diesem intimen Rahmen zu erleben. Das Zusammenspiel machte ihnen grossen Spass, besonders Oester und Favre grinsten sich immer wieder an wie zwei verschmitzte Jungs, die gerade etwas tolles tun, was sie eher nicht hätten tun sollen … Favre spielte mit dem Beat, beschleunigte und verlangsamte, während Oester wie ein Fels in der Brandung wirkte. Schaufelberger war fürs Comping zuständig aber oft auch die Präsentation der Themen eingebunden, die Posaunen und er schoben sich den Lead zu und umspielten dann wieder, was die anderen machten. Solistisch glänzte Schaufelberger mit kühlen Linien und warmen Akkorden, mit langen, rhythmisch gebrochenen Phrasen, versponnen und hintersinnig aber auch knapp und lakonisch. Zu Monks Musik passt das jedenfalls sehr gut – überhaupt kann man Monk mit so einer Besetzung gewiss viel besser machen als mit einem herkömmlichen Quartett oder Quintett mit Piano und Sax.

Das alles wirkte manchmal so spontan wie eine Jam Session, man signalisierte durch Blicke, wenn der nächste Solist dran kam, gab auch mal spontan musikalische Kommentare ab. Favre spielte ein paar Duos, ein Stück wurde im Trio ohne die Posaunen dargeboten, für Abwechslung war gesorgt. Wogram glänzte wie üblich mit filigranen Linien und rasanten Läufen, streute auch immer wieder prägnante Linien mit Vierteltönen ein. Blaser verfügt über einen volleren, vokaleren Ton, wie ich ihn eher mag, die beiden sind als Solisten von recht unterschiedlichem Temperament, haben aber auch gemeinsame Wurzeln (ich dachte bei beiden ein paar Male an Albert Mangelsdorff, nicht nur, wenn sie beim Spielen auch noch ins Instrument summten), fanden aber auch immer wieder zusammen, es gab denn auch Posaunen-Chor-Passagen.

Das schönste daran war aber, Pierre Favre wieder zu sehen und zu hören (zuletzt hörte ich ihn im Herbst 2015 am Unerhört, als er ein Wunschtrio mit John Surman und Mark Helias zusammenstellte) – es war eine Freude, zu sehen mit welchem Engagement er noch immer dabei ist, mit welchem Drive er swingen kann, wenn er denn will. Dabei spielt er oft quasi auf der Stuhlkante, drängt nach vorn – Oester musste am Bass ordentlich dagegenhalten, ist aber was den Beat betrifft mit einem untrüglichen Gespür ausgestattet und lässt sich so schnell nicht aus der Fassung bringen. Favre hatte diebische Freude dabei, den Beat zu manipulieren, den gerade etablierten Swing mit kleinen Verschleppungen und Akzenten auf den Kopf zu stellen und geradezu zu bedrohen … wie dabei stets bei sich bleibt und alles immer passt, was er anstellt, ist enorm beeindruckend. Einen so souveränen Schlagzeuger mit einer so breiten Palette an Möglichkeiten kriegt man jedenfalls nicht alle Tage zu hören! Zu sagen, er sei mit seinen (heute auf den Tag) 81 Jahren der jüngste in der Band wäre ein blödes Klischee und ungerecht den anderen vier gegenüber, die alle seine Söhne, ja fast Enkel sein könnten. Jedenfalls muss man mit einem solchen Drummer ordentlich aufpassen, dass man nicht plötzlich mit abgesägten Hosenbeinen dasteht.

Diese Woche mit Favre im Theater Stok, so fand ich gestern heraus, findet bereits zum neunten Mal statt – aber weil das wohl abseits der üblichen Netzwerke läuft, hatte ich davon noch nie Wind bekommen. Sehr bedauernswert. Ich hoffe natürlich, dass ich nächstes Jahr wieder hingehen kann …

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