Antwort auf: Cecil Taylor

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gypsy-tail-wind
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Ich hole das hier mal rüber aus dem Thread zur Taylor-Sendung, die kleine anschliessende Diskusson zwischen @clasjaz und mir:

clasjaz

gypsy-tail-wind
Vermutlich schon … wobei Charles, wenn man die Aufnahmen komplett durchhört, da und dort schon etwas hilflos wirkt (und Neidlinger einfach langweilig=solide) – aber ich gab mir ja Mühe, für heute Abend nur Highlights auszuwählen

Also dann hast Du zumindest mich gut übers Ohr gehauen! Ich werde sie also „am Stück“ hören. Bei „Conquistador!“ und „Unit Structures“ ist Grimes vielleicht anders, aber da ist ja auch Alan Silva dabei. Und Cyrille. Die Beruhigung von Bill Dixon in „Conquistador!“ fand ich auch nicht so übel.

Aber Neidlinger = langweilig = solide? Also Cameron Brown? Den ich auch gern höre mit Don Pullen.

Danke Dir für diese schöne Sendung und ich wünsche allen eine gute Nacht.

gypsy-tail-wind
Hm, das ist jetzt grad etwas viel aufs Mal (von Taylors 1000 Ideen inspiriert? ) – Brown ist viel offener, der ist quasi Post- … d.h. sein langweilig=solide enthält all das, was Neidlinger noch nicht hatte, das nämlich was Grimes, Garrison, Haden, Peacock etc. (und Mingus nicht zu vergessen!) in den Jahren danach an Territorium erst eroberten (weshalb diese Bassisten wie Brown auch in „gepflegterem“ Rahmen manchmal unglaublich toll wirken können, was allein schon ein „langweilig“ verbiete, finde ich) … quasi der Post-Coltrane-Mainstream, wie ihn später auch ein Shepp oder ein Sanders oder eben ein Pullen pflegten (wobei es von Pullen ja auch heisst, dass er spielen konnte, wie er es auf keiner Platte tut, dass das alles braver, geordneter, das böse Wörtchen heisst dann noch „kommerzieller“ sei, dass er sein Können quasi verschenkt habe, um halbwegs über die Runden kommen zu können … was ja – das gehört zur Faszination durchaus – ein Taylor nie tat, der arbeitete lieber als Abwascher in der Küche eines Hotels, um keine Kompromisse eingehen zu müssen …

Und mit „komplett durchhören“ meinte ich wirklich Album für Album, Stück für Stück, wie ich es bis anhin bis und mit „Student Studies“ getan habe, nach Taylors Tod. In der Masse finde ich die Trios (und gelegentlichen Quartette mit Lacy, Shepp, Griffith bzw. Quintette mit Curson und Barron) schon etwas, wie soll ich sagen: ermüdend? Aber eben, andererseits ist da soviel toller Stoff, dass sich durchaus die Überlegung aufdrängt: wenn Taylor nach den Candid-Sessions gestorben wäre – wie würde man ihn heute sehen/hören? Wie Herbie Nichols als sehr eigenwilligen/ständigen Giganten, der „es“ nie „geschafft“ hat? Als nie eingelöstes Versprechen (da kommt mir Ernie Henry in den Sinn, der auch um 1957 seine besten Sachen machte und dann starb – allerdings tauchte er schon deutlich früher auf Platten auf und war ein Hardbopper, der keinesfalls so eigenständige Sachen machte wie Taylor oder Nichols, aber eben: ein nie eingelöstes Versprechen halt, bei dem auch die besten Aufnahmen – „Seven Standards and a Blue“, Monks „Brilliant Corners“ – immer den Eindruck von viel Potential hinterlassen, das aber nie wirklich voll zur Entfaltung kommt).
Cyrille war wohl die perfekte Ergänzung zu Taylor – später war vielleicht Tony Oxley der würdige Nachfolger (und dazwischen war Ronald Shannon Jackson ziemlich verdammt phantastisch), wie es Murray möglicherweise nie hätte werden können, auch wenn er länger geblieben wäre (er hat sich ja später in absurden Äusserungen sehr geringschätzig geäussert, seine Zeit mit Taylor quasi als den grössten Fehler seines Lebens bezeichnet, weil ihn das daran gehindert habe, einfach „normalen“ Jazz zu spielen und damit gut bzw. besser, als es eben der Fall war, über die Runden zu kommen … da sind wir wieder beim Thema von Pullen, allerdings frage ich mich, ob Murray das „Normale“ überhaupt gekonnt hätte, der Typ war ein so starker „Bauch“-Spieler und war so eigenwillig, den hätte man nicht einfach in eine Horace Silver-Session der zweiten Hälfte der Sechziger oder neben Larry Young oder so verpflanzen können … Jackie McLean hätte vielleicht gepasst, so 1967-72, aber damit wäre Murray auch nicht wohlhabender geworden).

Silva, das ist ja auch wieder interessant, kam als Dixon-Schüler zu Taylor – und war überfordert. Er musste erst einen Weg finden, neben Grimes, dessen Spiel damals ja schon ziemlich verdammt toll war, überhaupt Platz zu haben – der „Ausweg“, der musikalisch äusserst fruchtbar war, waren ja dann seine Flageolett-Sachen (die er aber 1966 in Europa durchaus auch ablegen konnte, als er der einzige Bassist war). Und klar, Dixon, der grosse Meister, ist auf „Conquistador“ eine tolle Stimme mit unglaublicher Präsenz gerade in der Zurückhaltung, der Reduktion – ein ruhender Pol im Maelström, den Taylor fast pausenlos anrührt. Dass dieses Zusammenspiel möglich war – auch später, im Trio mit Oxley – ist ja schon sehr toll und zeigt wohl auch, wie sehr Taylor zuhören und auch gelten lassen konnte, wenn denn da jemand war, der etwas zu sagen hatte (das kann man bei Lyons wohl auch so sehen, den spätestens in den frühen Siebzigern ist Lyons eine unglaublich grossartige Stimme, ein Saxophonist, wie ich keinen anderen kenne … als ich neulich in St. Johann erstmals Dave Rempis live hörte, dachte ich ab und zu an Lyons, aber Rempis bringt eine viel stärkere Hochdruck-Komponente rein, während bei Lyons eine Differenziertheit da ist, die über Charlie Parker hinaus zu Warne Marsh führt und das ganze dann in ein freies Idiom überführt – maximale Kontrolle bei maximaler Freiheit. Das ist wohl das, was Taylor auch suchte, und das gab ihm Lyons quasi aus eigener Warte wieder zurück (und das kann man in Ansätzen schon bei den famosen 1962er-Sessions aus Kopenhagen hören, wo Lyons Wurzeln im Bebop Parkers noch sehr deutlich zu spüren sind).

clasjaz
Beinahe hätte ich Deine Antwort übersehen, herzlichen Dank. Aber komm‘, in meiner Frage stecken allenfalls drei weitere, die Du mit so vielen Anknüpfungen beantwortest. Ich weiß da auch immer noch nicht recht etwas zu sagen, heute „Jazz Advance“ und „Air“ gehört. Und mir fällt immer noch nicht auf, dass Neidlinger oder Charles im Hintertreffen seien.

Etwas anderes ist die anachronistische (oder auch historische-aus-dem-Rückblick-) Sortierung – was wäre, was hätte sein können. Das dachte ich übrigens auch gestern beim Ugorski-Thread drüben zu Ugorski. Das dürfte alles sehr offen sein, was wäre mit Herbie Nichols später? Keine Ahnung, vielleicht nichts, vielleicht noch viel mehr. Das, was ist, genügt doch – ist zu jedem Zeitpunkt jeweils vollendet, auch wenn diese Haltung Einschränkungen in Sachen Hoffnung usw. bedeutet.

Andererseits ändern sich die Zeiten und Cameron Brown hat eben nicht mit Taylor in den Fünfzigern gespielt; meine Frage kam nur von der Gleichsetzung von Langeweile und solide. Das hat mich überrascht, da fielen mir eher deutsche Bassisten ein (Dieter Ilg zum Beispiel).

Auch noch einmal „Conquistador!“ – ich höre viel mehr Verbindung von Charles zu Cyrille als von Murray zu Cyrille. Woran liegt das, an ihrer „Intonation“? – Und Lacy – ich irre mich gewiss, aber ihn finde ich für Taylor völlig unpassend, mag auch am Sopransax liegen, das mir eh nicht sehr nah ist. Shepp hingegen ist auf „Air“ eine lebendige Vogelstimme, klar, Lyons „stört“ ihn da nicht. Zu Silva weiß ich gar nicht so viel, außer dass ihn Dixon in Verona an Andrew Hill vermittelt hat, für die „Strange Serenade“. Und da finde ich ihn beide Male sehr präsentamente. Und überhaupt das Zuhörenkönnen von Taylor, das Du bei Dixon nennst: Das ist doch Voraussetzung für die Exzesse, die Taylor dann später mit Oxley und Parker ausgetrabbelt hat, und dieses Zuhörenkönnen haben wir bei den Stücken, die Du vorgestellt hast, doch auch gehört. Große Soloexzentriker sind meist gute Zuhörer. Zumindest in der Musik.

Nochmal zu Neidlinger und auch zu Charles: Sie sind halt einfach sehr konventionell. Das ist ja das allgemeine Bass-„Dilemma“, das wohl mit Mingus (und davor ansatzweise mit Jimmie Blanton oder Oscar Pettiford) aufbricht, aber sich im Mainstream bis heute mehr oder weniger hält: der Bass ist der Taktgeber, spielt „four to the bar“ und hat nicht in den Weg zu geraten … im Bebop im weitesten Sinn hat der Bass diese Rolle einzunehmen, und klar, das kann man so toll machen wie Wilbur Ware oder Doug Watkins oder Paul Chambers, aber viele kriegten das nicht hin: Sound, Wahl der Töne, Phrasierung … da finde ich Neidlinger einfach recht flach, da und dort gefällt er mir dann aber plötzlich schon wieder ganz gut. Aber generell wird dieses Rollenverständnis der Musik Taylors einfach nicht gerecht, schon 1956 nicht mehr. Die Parallele zu Herbie Nichols (bei dem, vermute ich, nichts „Weiteres“ gekommen wäre sondern wie bei Monk mehr Ähnliches, allerdings wäre es schon interessant, ihn selbst mit Bläsern hören zu können, es gab ja viel später das Herbie Nichols Project und davor schon andere – Mengelberg/Lacy/etc. z.B. – die seiner Musik ganze Alben widmeten, mal freier, mal eher Post-Bop) funktioniert auch allein deshalb, weil Taylors frühe Aufnahmen in einem solchen recht starren rhythmischen Korsett daherkommen (Al McKibbon, der eine der zwei Bassisten auf den Blue Note-Sessions von Nichols, ist übrigens unter den älteren Beboppern wohl der interessanteste, was Tongebung, Beat, Linien betrifft, da können Curly Russell, Tommy Potter etc. einpacken). Aber eben: dieses Korsett höre ich als von Anfang an nicht adäquat zu dem, was Taylor am Klavier macht, ein beweglicheres Fundament, das auch stärker aus der Funktionsharmonik ausbricht, wäre interessanter, aber das lieferte dann erst die nächste Generation von Musikern.

Charles mag ich von dieser Kritik wenigstens teils ausnehmen, denn sein „Feeling“ ist schon phantastisch und der Sound seiner Drums ebenso. Dass Cyrille in mancher Hinsicht viel eher dort anknüpft oder zu vergleichen ist, höre ich übrigens genauso. Murray ist eher sowas wie Roach in frei, sehr trommellastig, schwerer, mehr Bass und weniger Höhen, aber vor allem ist er viel ruppiger, intensiver, eruptiver. Das war für den „Urknall“ 1962 genau das Richtige, dass Taylor später, als er seine Konzeptionen vollständig ausbreiten konnte und Leute um sich hatte – Lyons, Cyrille, aber auch Dixon, Silva, McIntyre, Grimes, Rivers – die der Herausforderung gewachsen waren – nicht mehr Murray dabei hatte, kann man im Nachhinein als Folgerichtig ansehen, denn Cyrille ist wohl wirklich der perfekte Drummer für diese Musik.

Was Shepp und Lacy betrifft, ich weiss nicht genau, was ich dazu sagen soll … ich mag Lacy tausendmal lieber als Shepp, manche seiner Sachen sind mir wirklich sehr nahe (auch übrigens „School Days“ von 1963 mit Roswell Rudd, Henry Grimes und Denis Charles, und „N.Y. Capers and Quirks“ von 1979 mit Ronnie Boykins und Charles – wie gesagt: später entwickelte sich Charles zu einem umwerfenden Drummer, das bei Taylor waren halt wirklich die Anfänge und man hört da durchaus auch schon, wie die Entwicklung beginnt), bei Shepp ist es eher so, dass ich seine „grossen“ Impulse-Alben sehr gerne mag (am liebsten von allen wohl „Mama Too Tight“), dass ich einen höllischen Respekt vor dem habe, was er in jenen Jahren alles erreicht hat, dass er mir aber insgesamt – auch wegen der späteren Entwicklung, die mich nicht mehr so interessiert und späten Sachen, die mich fast schon abstossen (ich komme z.B. ja allein schon mit seinem Ton auf dem Duo mit Waldron überhaupt nicht klar, das ist wie Fingernägel auf einer Wandtafel, eine physische Reaktion, die ich nicht austricksen kann). Lacy hingegen passt mir über all die Jahre und Jahrzehnte fast immer bzw. immer wieder, er steht auch als grosser Solitär da und fasziniert mich wohl auch deswegen. Aber gut, es ging ja um ihre Arbeit mit Taylor – da ist Shepp im Vorteil, weil er öfter dabei war und auch da eine Entwicklung zu hören ist. Auf dem Debut „Jazz Advance“ finde ich Lacy in der Tat überhaupt nicht überzeugend, aber da muss man wohl auch dran denken, dass Taylor ihn kurz davor aus einer Dixieland-Kapelle geholt hatte und Lacy wohl noch dabei war, seinen Kompass neu auszurichten. Das Set aus Newport, Sommer 1957, finde ich dann aber möglicherweise das beste, was Taylor mit Bläsern bis vor der Impulse-Session überhaupt gemacht hat … aber gut, wenn ich ein Stück mit Bläsern aus dieser Zeit (1956-Candid 1961) nenne müsste, wäre es „Cell Walk for Celeste“ und da ist wieder Shepp dabei. So besonders ist das Ding aber wegen Taylors Komposition, nicht wegen Shepps Beitrag – allerdings merkt man dort eben, wie weit sich die Gruppe – mit Neidlinger/Charles – bis dahin entwickelt hat. Ein überaus gelungener Schlusspunkt der frühen Jahre, wenn man so will. Und die Impulse-Session ist dann quasi das Scharnier, mit dem die nächste Phase losgeht.

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