Antwort auf: 03.05.2018: My Life 73 | Guitars Galore 214 | gypsy goes jazz 70

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gypsy-tail-wind
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clasjaz

gypsy-tail-wind Vermutlich schon … wobei Charles, wenn man die Aufnahmen komplett durchhört, da und dort schon etwas hilflos wirkt (und Neidlinger einfach langweilig=solide) – aber ich gab mir ja Mühe, für heute Abend nur Highlights auszuwählen

Also dann hast Du zumindest mich gut übers Ohr gehauen! Ich werde sie also „am Stück“ hören. Bei „Conquistador!“ und „Unit Structures“ ist Grimes vielleicht anders, aber da ist ja auch Alan Silva dabei. Und Cyrille. Die Beruhigung von Bill Dixon in „Conquistador!“ fand ich auch nicht so übel.
Aber Neidlinger = langweilig = solide? Also Cameron Brown? Den ich auch gern höre mit Don Pullen.
Danke Dir für diese schöne Sendung und ich wünsche allen eine gute Nacht.

Hm, das ist jetzt grad etwas viel aufs Mal (von Taylors 1000 Ideen inspiriert? ;-) ) – Brown ist viel offener, der ist quasi Post- … d.h. sein langweilig=solide enthält all das, was Neidlinger noch nicht hatte, das nämlich was Grimes, Garrison, Haden, Peacock etc. (und Mingus nicht zu vergessen!) in den Jahren danach an Territorium erst eroberten (weshalb diese Bassisten wie Brown auch in „gepflegterem“ Rahmen manchmal unglaublich toll wirken können, was allein schon ein „langweilig“ verbiete, finde ich) … quasi der Post-Coltrane-Mainstream, wie ihn später auch ein Shepp oder ein Sanders oder eben ein Pullen pflegten (wobei es von Pullen ja auch heisst, dass er spielen konnte, wie er es auf keiner Platte tut, dass das alles braver, geordneter, das böse Wörtchen heisst dann noch „kommerzieller“ sei, dass er sein Können quasi verschenkt habe, um halbwegs über die Runden kommen zu können … was ja – das gehört zur Faszination durchaus – ein Taylor nie tat, der arbeitete lieber als Abwascher in der Küche eines Hotels, um keine Kompromisse eingehen zu müssen …

Und mit „komplett durchhören“ meinte ich wirklich Album für Album, Stück für Stück, wie ich es bis anhin bis und mit „Student Studies“ getan habe, nach Taylors Tod. In der Masse finde ich die Trios (und gelegentlichen Quartette mit Lacy, Shepp, Griffith bzw. Quintette mit Curson und Barron) schon etwas, wie soll ich sagen: ermüdend? Aber eben, andererseits ist da soviel toller Stoff, dass sich durchaus die Überlegung aufdrängt: wenn Taylor nach den Candid-Sessions gestorben wäre – wie würde man ihn heute sehen/hören? Wie Herbie Nichols als sehr eigenwilligen/ständigen Giganten, der „es“ nie „geschafft“ hat? Als nie eingelöstes Versprechen (da kommt mir Ernie Henry in den Sinn, der auch um 1957 seine besten Sachen machte und dann starb – allerdings tauchte er schon deutlich früher auf Platten auf und war ein Hardbopper, der keinesfalls so eigenständige Sachen machte wie Taylor oder Nichols, aber eben: ein nie eingelöstes Versprechen halt, bei dem auch die besten Aufnahmen – „Seven Standards and a Blue“, Monks „Brilliant Corners“ – immer den Eindruck von viel Potential hinterlassen, das aber nie wirklich voll zur Entfaltung kommt).

Cyrille war wohl die perfekte Ergänzung zu Taylor – später war vielleicht Tony Oxley der würdige Nachfolger (und dazwischen war Ronald Shannon Jackson ziemlich verdammt phantastisch), wie es Murray möglicherweise nie hätte werden können, auch wenn er länger geblieben wäre (er hat sich ja später in absurden Äusserungen sehr geringschätzig geäussert, seine Zeit mit Taylor quasi als den grössten Fehler seines Lebens bezeichnet, weil ihn das daran gehindert habe, einfach „normalen“ Jazz zu spielen und damit gut bzw. besser, als es eben der Fall war, über die Runden zu kommen … da sind wir wieder beim Thema von Pullen, allerdings frage ich mich, ob Murray das „Normale“ überhaupt gekonnt hätte, der Typ war ein so starker „Bauch“-Spieler und war so eigenwillig, den hätte man nicht einfach in eine Horace Silver-Session der zweiten Hälfte der Sechziger oder neben Larry Young oder so verpflanzen können … Jackie McLean hätte vielleicht gepasst, so 1967-72, aber damit wäre Murray auch nicht wohlhabender geworden).

Silva, das ist ja auch wieder interessant, kam als Dixon-Schüler zu Taylor – und war überfordert. Er musste erst einen Weg finden, neben Grimes, dessen Spiel damals ja schon ziemlich verdammt toll war, überhaupt Platz zu haben – der „Ausweg“, der musikalisch äusserst fruchtbar war, waren ja dann seine Flageolett-Sachen (die er aber 1966 in Europa durchaus auch ablegen konnte, als er der einzige Bassist war). Und klar, Dixon, der grosse Meister, ist auf „Conquistador“ eine tolle Stimme mit unglaublicher Präsenz gerade in der Zurückhaltung, der Reduktion – ein ruhender Pol im Maelström, den Taylor fast pausenlos anrührt. Dass dieses Zusammenspiel möglich war – auch später, im Trio mit Oxley – ist ja schon sehr toll und zeigt wohl auch, wie sehr Taylor zuhören und auch gelten lassen konnte, wenn denn da jemand war, der etwas zu sagen hatte (das kann man bei Lyons wohl auch so sehen, den spätestens in den frühen Siebzigern ist Lyons eine unglaublich grossartige Stimme, ein Saxophonist, wie ich keinen anderen kenne … als ich neulich in St. Johann erstmals Dave Rempis live hörte, dachte ich ab und zu an Lyons, aber Rempis bringt eine viel stärkere Hochdruck-Komponente rein, während bei Lyons eine Differenziertheit da ist, die über Charlie Parker hinaus zu Warne Marsh führt und das ganze dann in ein freies Idiom überführt – maximale Kontrolle bei maximaler Freiheit. Das ist wohl das, was Taylor auch suchte, und das gab ihm Lyons quasi aus eigener Warte wieder zurück (und das kann man in Ansätzen schon bei den famosen 1962er-Sessions aus Kopenhagen hören, wo Lyons Wurzeln im Bebop Parkers noch sehr deutlich zu spüren sind).

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