Antwort auf: Die wunderbare Welt der Oper

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Zürich, Opernhaus – 28.03.2018
 
Der fliegende Holländer
Romantische Oper in drei Aufzügen von Richard Wagner (1813-1883)
Libretto vom Komponisten
 
Musikalische Leitung Markus Poschner
Inszenierung Andreas Homoki
Bühne Wolfgang Gussmann
Kostüme Wolfgang Gussmann, Susana Mendoza
Lichtgestaltung Franck Evin
Video-Design Tieni Burkhalter
Choreinstudierung Janko Kastelic
Dramaturgie Werner Hintze

Senta Camilla Nylund
Mary Liliana Nikiteanu
Holländer Bryn Terfel
Daland Steven Humes
Erik Marco Jentzsch
Steuermann Omer Kobiljak

Philharmonia Zürich
Chor der Oper Zürich

Chorzuzüger
Statistenverein am Opernhaus Zürich
 
Gestern also noch einmal Wagner in der Oper … eines vorweg: deutlich weniger Fragezeichen, sowohl was die Qualität der Aufführung wie auch des Stückes an sich betrifft. Das Ensemble war toll, das Orchester ist sowieso gut und lieferte auch gestern wieder eine feine Performance. Den Plot finde ich im Wagner’schen Durschnitt nur halb dämlich bzw. kann ihn aus der Zeit heraus sogar problemlos goutieren – als Spiel mit dem Biedermeier, als Hereinbrechen einer in gewisser Hinsicht revolutionären (wenngleich natürlich romantisch verdunkelten) Gegenwelt durch den Holländer, der allerdings auch eine Gegenzeit zu verkörpern scheint: er entstammt der Epoche der grossen Entdecker, während Sentas Vater zum Normfall des Handels – natürlich mittels Ausbeutung der Kolonien, den lustigen Neger gibt es ja auch noch, der darauf hinweist.

Man spielt in Zürich – zum guten Glück, möchte ich laut sagen! – die durchgängige Fassung, zwei Stunden und zwanzig Minuten ohne Pause. Das hält man gut aus und es hat den Vorteil, den Spannungsabfall, der in den Pausen stets stattfindet, zum umgehen. Poschner war mir bisher kein Begriff (ich hatte ehrlich gesagt im Vorfeld nicht nochmal nachgeschaut, wer überhaupt dirigiert und musste dann – weil ohne Pause – bis zum Ende warten, bis ich das herauskriegen konnte, zu den Asis, die das Smartphone zücken, gehöre ich nicht), aber er zog das sehr schön durch. Da drängt sich erstmals der Vergleich mit dem „Parsifal“ auf, wo Simone Young etwas Mühe bekundete damit, das Stück als Ganzes zu gestalten, das grosse Ganze im Auge zu behalten. Homokis Bühne – eine Art Kontor mit viel dunklem Holz, ein paar Weltkarten und Seebildern, der dann halt auch als Schiffsinneres herhalten musste – war ziemlich simpel und sachdienlich, eine schnörkellose aber auch recht traditionelle Inszenierung, in der am ehesten noch die gute Figurenführung herauszuheben ist – es wurde also nicht angenagelt mit Armen gerudert, das dann schon nicht, aber gesamthaft ist das schon eine recht traditionelle Aufführung.

Sehr toll war natürlich Bryn Terfel in der Titelrolle – eine beeindruckende Stimme, mit der er gar nicht erst auftrumpfen oder forcieren musste. Steven Humes gab einen sehr guten Daland, der aber in den Duetten mit Terfel fast etwas unterging (was allerdings rein vom Mischklang der zwei Stimmen einen bezaubernden Effekt hatte). Der Erik von Marco Jentzsch war noch stärker, einer der Tenöre, die auch neben den tieferen Stimmen mühelos gehört werden (obwohl er vielleicht da und dort eine Spur zu sehr forcierte). Camilla Nylund war ebenfalls stark, manchmal ging sie jedoch ein klein wenig unter. Am Ende jedoch war sie herausragend und Terfel durchaus ebenbürtig. Also wie oben erwähnt ein starkes Ensemble, das alles in allem auch sehr ausgeglichen wirkte (das betrifft dann auch Liliana Nikiteanu und Omer Kobiljak als Mary bzw. als Steuermann).

Das Stück hatte ich zuletzt vor einigen Jahren im Fernsehen gesehen, die seltsame Bayreuth-Inszenierung von 2013 (dirigiert hat Thielemann), vor vielen Jahren auch schon in einer anderen Inszenierung an der Oper in Zürich – doch mit dem geschärften Ohr der letzten Jahre fiel mir einiges auf, was mir bisher entgangen oder schlicht nicht bekannt war, vor allem das manchmal fast etwas Pasticcio-artige der Oper: Erik ist eine Art Belcanto-Tenor, die (wunderbaren) ätherischen Frauenchöre und die ruppigen Trinklieder der Männer scheinen aus unterschiedlichen Welten zu stammen, die Musik kippt mehrfach in eine geradezu kitschige Walzerseligkeit, die ich nicht gebraucht hätte … das wirkt schon recht stark nach einem Komponisten auf der Suche und noch nicht so richtig nach der „deutschen Oper“, die Wagner den Parisern damals vorsetzen wollte, nachdem er sich von der grand opéra entfernt hatte. Und überzeugend fand ich diese Aspekte nicht alle, als die dritte Walzer-Passage kam, hatte ich das dann auch wirklich gehört. Überhaupt kommen meine Fragezeichen hier, um nochmal auf den „Parsifal“ zurückzugreifen, viel offensichtlicher direkt aus der Musik selbst, nicht aus dem „Murmeln“ darunter und darüber und dahinter: die Leitmotive, die Walzer, der Belcanto, manches ist da einfach schon arg dick aufgetragen und auch recht plump und auf den Effekt hin umgesetzt (egal wie nuanciert Orchester und Dirigent vorgehen mögen).

Aber gut, ich werde mich wohl zeitlebens gelegentlich an Wagner weiter reiben, auch wenn ich kaum je bekehrt werden dürfte.
 
Next up: „Maria Stuarda“ von Donizetti mit Diana Damraus Debut in der Titelrolle. Freue mich auf eine Oper ohne Alarmglocken ;-)

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