Antwort auf: Die wunderbare Welt der Oper

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gypsy-tail-wind
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clasjaz
Und Lutoslawski ist einer von denen, die keine Muster kennen bzw. wollen, das stimmt.

Bei der Einführungsmatinée (morgen gehe ich wieder an eine – zur neuen Inszenierung von Donizettis Maria Stuarda und hoffe, Diana Damrau taucht dort auf … aber in erster Linie gehe ich, um eine Zeitung kaufen zu können, das geht eben nicht, wenn man nicht aus dem Haus geht …) gab es denn auch noch eine Breitseite gegen Debussy, „Pelléas et Mélisande“ – da sei kein Satz drin, den man singen müsse. Und diverse Breitseiten gegen Wagner folgten auf dem Fuss … das war alles ziemlich unterhaltsam, mit dem Komponisten/Dirigenten ist die Ausgangslage natürlich eine ganz andere als mit einem Regisseur und einem Dirigenten, die sich ein Werk von einem längst Toten vornehmen (in der Oper ja leider seit Jahrzehnten der Regelfall) – man kann sich da auch herauspicken, was man mag, aber fürs Verständnis des Werkes hilft es natürlich ungemein, wenn man auch eine klare Stellungnahme kriegt, wie sie nicht unbedingt verschriftlicht werden will oder soll. Gerhahers hitzige Ausfälle gegen Härtling schienen mir jedoch in einem Ausmass gerechtfertig (er meinte natürlich noch: de mortuis nil nisi bonum, aber … und dieses ABER hat es halt wirklich in sich – ich bin fast schon verlockt, den Härtling-Band zu lesen, bloss um mich zu ärgern, aber da ich ihn nirgends entwenden konnte und dafür nichts bezahlen mag – bon) dass ich sie oben auch erwähnen wollte.

Ach so: ich vergass auch noch, die weiteren Bezüge zu erwähnen: ein Donizetti-Zitat (aus der mir unbekannten Oper „Belisario“) gibt es auch noch in „Lunea“,, ebenso eine ausführliche Referenz auf „Lascia ch’io pianga“ mit ein paar Textzeilen aber völlig anderer Melodie; die eine „Braut“ Lenaus – in der Oper werden beide von derselben Sängerin/Figur verkörpert – war die Sängerin Karoline von Unger, damals die führende deutsche Sängerin für das italienische Fach und die Opern von Donizetti. Franz Xaver Mozart (der Sohn vom Amadé – Yaara Tal hat kürzlich eine CD mit Polonaisen von ihm und dem jungen Chopin eingespielt, Peter Hagmann hat darüber geschrieben) war der Klavierlehrer von Karoline – und Sophie von Löwenthal diktierte Lenau den Brief, mit dem er mit Karoline brechen sollte, auch die Szene (ich nehme an, sie ist verbürgt, über L.s Biographie weiss ich noch fast nichts, im Programmheft gibt es einen biographischen Text, den ich gleich noch lesen will) taucht in der Oper auf:

Elftes Blatt:

LENAU
Der Zweifel in Ketten kann nicht schlafen und klirrt

Sophie legt Abschiedsworte gegen Karoline in Lenaus Mund

LENAU
Ich erkläre ihr, daß ich,
SOPHIE
solang sie der Öffentlichkeit angehöre und solang ich
LENAU
meine eigenen Vermögensangelegenheiten nicht völlig geordnet habe,
SOPHIE
an eine Verbindung nur
LENAU
als künftig denken könne.

Im selben Blatt wird Sophie direkt danach zu L.s Mutter und direkt danach taucht Bertha auf, eine Dame von zweifelhaftem Ruf, mit der L. möglicherweise eine Tochter hatte (die er verleugnete – eine Jahre spätere Begegnung mit Mutter und Tochter fand ebenfalls Eingang in die Oper, auch gleich da, im elften Blatt) und dann gibt Karoline ihre grosse Arie mit dem langen Zitat nach Händel („Lascia ch’io pianga“) – das Donizetti-Zitat scheint auch da zu stecken, aber ich kann es in meiner Unkenntnis der Oper nicht identifizieren. Mozart erwähnte ich, beim Chor spielt da und dort wohl auch Bach rein. Dieses Aufbrechen in die oder Einbrechen der grossen Musiktradition findet so eindeutig nur an dieser einen Stelle, vermittelt über die Figur der Karoline von Unger, statt. Anderswo gibt es gewiss Bezüge, aber das ist anders gearbeitet. Mozart, einfach – doch nein, einfach ist das wohl nicht –
als Vorbild des verständlichen Singens taucht immer wieder auf, ohne dass da etwas zitiert würde, es geht da auch um Handwerkliches … anderswo werden Silben verschluckt oder werden durch ihre Umkehr sowieso unverständlich, werden pulverisiert, zu einzelnen Lauten.

Ich habe mir schon nach der Einführungsmatinée im Februar die zweibändige Insel-Ausgabe geholt, die auf der grossen Lenau-Werkausgabe beruht. Beide haben schon einige Jahrzehnte auf dem Buckel, bei Reclam gibt es den „Faust“ und eine Gedicht-Auswahl. Mir ist weiterhin unklar, wo die doppelten/intimen Briefe zu finden sind (bzw. ob sie im zweiten Band meiner Ausgabe, die Briefe enthält, drin sind – ich befürchte nicht) und wo diese Zettel, die Lenau in den letzten Jahren vor dem „Riss“ (den er, so scheint es, selbst antizipert/befürchtet hat) voll schrieb. Es gibt im Apparat der zweibändigen Ausgabe einige Materialien, aber wo diese unglaublichen Sätze stehen, die ich oben zitiert habe, wurde mir noch nicht klar … auch hier: ich weiss nicht, ob sie in meiner Ausgabe überhaupt drin sind).

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