Antwort auf: Ich höre gerade … klassische Musik!

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@clasjaz Nach dem jüngsten Gespräch mit Alexander Hawkins, der in Maurizio Pollini eins seiner grossen Vorbilder sieht, und nach dem Schumann/Chopin-Konzert von Pollini vor ein paar Wochen, holte ich mir neulich die kleine Box mit den vier CDs, die seine DG-Schumann-Einspielungen enthalten … viel angehört habe ich noch nicht, aber allmählich komme ich Pollini wohl tatsächlich auf die Spur und das passt auch. Schmutz allerdings ist da in der Tat wenig (und heute, also im Konzert, ist er ungewollt, wenn er denn auftaucht: falsche Töne … Hawkins schilderte, wie das für einen Pianisten ungefähr sein muss, dem früher technisch einfach alles gelang – bei Chopin hämmerte er im Zürcher Konzert neulich ja gewisse Töne und damit Phrasen gleich mehrfach hintereinander falsch, das hatte etwas so Insistierendes, dass es fast schon verstörend wirkte).

Gestern spät und heute Nachmittag gleich noch einmal lief Chopin mit Nikita Magaloff – die Études, von denen Pollini im Konzert eine der wohl anspruchsvollsten, die a-Moll Op. 25 Nr. 11 („Winter Wind“), als eine der drei Zugaben (Scherzo Nr. 4 und die Berceuse waren die anderen, die Étude zwischen den beiden, glaube ich) mit überragender Souveränität spielte (was diesen einen wiederholten Fehler in der 3. Sonate irgendwie noch unbegreiflicher machte):

Auch da, also bei den mir bisher nicht besonders nahen Études von Chopin, scheint sich etwas zu tun … bzw. ich hörte wohl einfach genauer hin als bei früheren Hörgängen (mit Rubinstein und François wohl, Arrau auch).

Gerade torkelte ich aus dem Opernhaus, endlich „Lunea“, die neue Oper von Heinz Holliger gesehen – der Ausruf ist gerade bei Holligers Leibthemen bzw. -firguren etwas abgedroschen, aber: Wahnsinn! Musikalisch fand ich das enorm faszinierend, nicht nur durch Christian Gerhaher in der Titelrolle (als Lenau also), Juliane Banse, die überragend agierenden Basler Madrigalisten … sondern einfach vom Material her, der Instrumentierung, den Einfällen, dem (ziemlich gut versteckten, zumal für den ungeübten Hörer, als den ich mich nun allmählich nicht mehr sehen will) (musikalischen) Humor (Anspielungen auf Bach, eine offensichtliche auf Händels Arie „Lascia ch’io pianga“, eine Prise Mozart dort, ein Donizetti-Zitat gibt es anscheinend auch noch …). Dazu war das aber auch als Musiktheater (inszeniert hat der Intendant der Zürcher Oper, Andreas Homoki) grossartig, Bühne, Kostüme, Licht … sehr stimmig.

Gestern Abend, nach einem sehr langen Tag, ging es überdies direkt von einem Apéro in die Tonhalle, wo Krystian Zimerman zu Gast war und der ehemalige Chef- und heutige Ehrendirigent David Zinman wieder mit „seinem“ Orchester zusammentraf. Zuerst gab es Brahms‘ zweite Sinfonie, auswendig dirigiert und sehr schön gestaltet – allerdings mag ich dem Rezensenten der NZZ recht geben, wenn es um die Präzision und das Zusammenspiel geht (er war allerdings am ersten von drei Abenden, ich gestern am zweiten). Dann gab es die zweite Sinfonie von Leonard Bernstein, „The Age of Anxiety“, mit einem Solo-Part für Klavier, den Zimerman mit vollendeter Eleganz und dem nötigen Biss gab, in dem aber das Orchester tatsächlich nicht immer restlos überzeugte.

Die Rezension (deren Überschrift mir mehr als ein Tacken zu sensationsgeil geraten ist):
https://www.nzz.ch/feuilleton/verlorene-liebesmueh-ld.1368615

Und jetzt, um den Kopf zu spülen nach einer recht struben Woche – und überhaupt nicht, um die enorm starken Holliger-Eindrücke zu verwischen, Bach – gerade angekommen, auf 2017 datiert aber anscheinend erst vor ein paar Wochen erschienen … eine Fortsetzung der vielleicht besten Kantaten-Reihe überhaupt: Ricercar Cosort/Philippe Pierlot:

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