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Mit so einer Fülle an Berlinale-Erlebnissen kann ich bei weitem nicht aufwarten. 40 h-Woche, jahreszeitlich bedingt wackelige Gesundheit und ein sowieso manchmal etwas überfordertes Aufnahmevermögen.
Aber ich habe drei Filme gesehen, die – soweit ich erkennen kann – hier noch nicht erwähnt wurden.
TINTA BRUTA (Marcio Reolon & Filipe Matzembacher)
Nach Feierabend direkt ins Kino. War vorher noch schmerzhaft mit dem Fuß umgeknickt und müde. Nachdem alle möglichen Begleiter abgesagt hatten, verkaufte ich das zweite Ticket mit Rabatt an unsere peruanische Sekretärin B. Tinta Bruta ist bedrückend, die Figuren wollen eigentlich alle bloß weg aus Porto Alegre im Süden Brasiliens („Fröhlicher Hafen“), das nicht so schön ist wie sein Name. Man klebt den Figuren in ihren winzigen Hochhauswohnungen fast auf der Haut, was schon mal unangenehm sein kann. Aber dort ist es für den Protagonisten wenigstens sicher, denn als Schwuler lebt man in Porto Alegre gefährlich. Und dann entläd sich dieser Druck eben auch manchmal in Gewaltausbrüchen. Ich ging schon vor dem Q+A erschöpft nach Hause. Am nächsten Tag fragte ich B., wie sie den Film fand. Sie war ganz begeistert, wie fast schon intim der Film war, wie natürlich er wirkte und wie zärtlich die Menschen auch unter diesem Druck miteinander umgehen. Völlig andere Perspektive! Vielen Dank, B.!
OBSCURO BARROCO (Evangelia Kranioti)
Und hoppla, versehentlich schon wieder ins Queer Cinema geraten! 60 Minuten im Karneval in Rio. Schwüle, Körper, Masken, Phantasien, Grenzüberschreitungen und Verwandlungen. Die*der Erzähler*in Luana Muniz führt wie die Priesterin eines geheimen Kultes durch die Subkultur der Transvestiten wie durch eine brodelnde Hexenküche. Berauschend! Beschreiben sinnlos, ansehen!
LA TERRA DELL’ABBASTANZA (Damiano & Fabio D’Innocenzo)
Als ich neulich in Berlin-Lichtenberg / Landsberger Allee war, dachte ich „Wo sind eigentlich die Filme, die die Geschichten erzählen, die sich in dieser Tristesse abspielen?“ Spätestens an der S-Bahn Landsberger Allee beginnt nämlich die „sobborgo“ (oder wie sagt man „banlieue“ auf italienisch?). Aber vielleicht geben die sobborghi von Rom etwas mehr her, wo wir mit den Einheimischen in der schäbigen Küche der 2-Raumwohnung hocken. Zwei ragazzi, deren berufliche Perspektive Pizzafahrer ist, nutzen eine zufällige Verkettung von Ereignissen, um voran zu kommen, indem sie gewissen signori gewisse Dienste erweisen. Mit den Folgen für sich selbst und ihre Familien können sie aber nicht umgehen und am Ende geht das natürlich gründlich schief – aber das ist in diesem Milieu nicht viel mehr als ein Betriebsunfall.
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„Für mich ist Rock’n’Roll nach wie vor das beste Mittel, um Freundschaften zu schließen.“ (Greil Marcus)