Startseite › Foren › Kulturgut › Für Cineasten: die Filme-Diskussion › Der letzte Film, den ich gesehen habe (Vol. II) › Antwort auf: Der letzte Film, den ich gesehen habe (Vol. II)
Anonym
Registriert seit: 01.01.1970
Beiträge: 0
Izbavitelj – Der Rattengott
(Regie: Krsto Papić – Jugoslawien, 1976)
Die Weltwirtschaftskrise hat Jugoslawien fest im Griff. Auch dem Philosophiestudenten Ivan geht es nicht gut, als er von seiner Vermieterin auf die Straße gesetzt wird. Als er im Stadtpark auf einer Bank übernachten will, zeigt ihm der Parkwächter, ein alter Bekannter, ein leerstehendes Gebäude. Dort kommt er hinter eine Verschwörung der Rattenmenschen, die finstere Absichten hegen. Von nun an schwebt Ivan in Lebensgefahr, doch findet er Unterstützung bei Professor Boscovic und seiner hübschen Tochter Sonja. Wird es ihnen gelingen, die drohende Machtübernahme durch die Rattenmenschen zu verhindern?
In letzter Zeit kann man vermehrt beobachten, wie alle Warnungen vor keimendem Faschismus leichtsinnig in den Wind geschlagen werden. Zwar wurde er im Schulunterricht seziert, in Romanen breitgetreten, in jeder erdenklichen Form auf die Bühne gebracht, man rockte sogar gegen Rechts, aber selbst die wirklich guten Kinofilme zum Thema scheinen das Publikum nicht zu erreichen – und wenn, dann nur jenen Teil, der aus eigenem Antrieb eine Sensibilität für den Hang der Volksmassen zu gleichgeschalteter Hetze und der Lust am Lynchen entwickelt.
Der 2013 verstorbene Regisseur Krsto Papić trägt mit seiner Politparabel „Der Rattenkönig“ (nach einer Erzählung des russischen Schrifstellers Alexander Grin) also Eulen nach Athen und scheint eher auf die Probleme im sozialistischen Jugoslawien der 1970er hinweisen zu wollen. Eine durchaus am Film belegbare Lesart, welche die allgemeinere Deutung mit Rückbezug zum (deutschen) Faschismus jedoch kaum überschattet, weil sich gerade auf der Bildebene eindeutige Hinweise finden lassen: Die Schergen des Rattenheilands („The Rat Saviour“ lautet der englische Titel) tragen martialische schwarze Uniformen im Stil der SS, die Tische des großen Rattenbanketts bilden aus der Vogelperspektive gesehen ein noch zu vervollständigendes Hakenkreuz – diese Gesellschaft befindet sich schon auf halbem Wege in die Niederungen des Faschismus. Irritierend wirkt dabei nur der Rückgriff auf den Schädlingsbegriff der Nazis, wenn die Menschenfeinde in Rattenform ihre Feste in einer verlassenen Zentralbank (!) feiern. Vielleicht dreht Papić den Spieß hier einfach um, vielleicht nutzt er auch nur den schlechten Ruf der Ratte, den diese seit jeher in Europa ins Fell gebrannt trägt.
Gleich zu Beginn besteht die Hauptfigur mit Augenmerk auf ihr eigenes Buch darauf, „Izbavitelj“ (Originaltitel) sei keine Gruselmär über Rattenmenschen, sondern eine Metapher. Das Buch in der Handlung zeichnet ein Bild der Bürokratie, Papićs Film eine Aufnahme der infizierten Gesellschaft im Moment der irreversiblen Wiederkehr zu faschistischen Strukturen. Alle Apparate des öffentlichen Lebens sind schon infiziert und infiltriert, das Interesse an Wissenschaft und Kunst erlahmt, die Bevölkerung verhält sich aggressiv gegenüber Intellektuellen und Wissenschaftlern, deren Arbeit weder bezahlt noch gewürdigt wird – dabei erkennen sie als einzige die aufziehende Gefahr.
Zum Glück lässt Papić es nicht dabei bewenden und verhilft schemenhaften Bruchstücken aus dem Werk Franz Kafkas zu kurzen Auftritten, die wie böse Omen in der dunklen Welt des Rattengottes wabern. Kompakte Schlieren des Schreckens, die im Verbund mit der stimmungsvollen, düsteren Fotografie den Horrorton des Filmes etablieren.
Schlicht bemerkenswert ist die Ökonomie der Einstellungen und Spezialeffekte, die im Gegensatz zum sich damals anbahnenden Trend nicht im hysterischen Pomp des Blutvergießens versinkt, sondern um die Wirkung ausgesuchter Bilder weiß, die nicht ausgewalzt werden, ja, kaum länger als nötig ihren Platz einnehmen. So verwundert die Freigabe der FSK schon, die „Izbavitelj“ als einen Film für Erwachsene sieht und ein „Ab 18“ erteilte. Vielleicht gefiel der pessimistische Ton nicht oder man stieß sich an den Sexszenen, wahrscheinlich reagierte man einfach nur empfindlich auf ein Thema, das auch die Büttel der Zensur (ob nun staatlich oder kommerziell-„freiwillig“) betrifft.
Ebenso effizient unterstützt die Musik von Brane Živković das abgebildete Halbdunkel und bemüht sich nur wichtige Akzente zu setzen, ohne die Tonspur mit Melodien und Geräusch zu überladen. Besonders im deutschen Vorspann gelingt dies, der für die Ausstrahlung durch das ZDF in den frühen 1980er Jahren erstellt wurde und schaurige Zeichnungen aufweist, die in der etwas längeren kroatischen Fassung (1977 Jugoslawiens Beitrag zu den Oscars) des Filmes fehlen. Es sollte bis zur Jahrtausendwende dauern, ehe „Der Rattenkönig“ erneut gesendet wurde und dann nochmal einige Zeit, bevor der Film seine DVD-Veröffentlichung erlebte.
Den Reichtum der Kinoproduktionen der sozialistischen Länder konnte man im Westen jahrelang nur erahnen, glücklicherweise wurden im Laufe des Siegeszugs der DVD etliche Perlen in hervorragender Qualität wiederveröffentlicht, die dem Klischeebild von unterentwickelten Arbeiter-und-Bauern-Staaten widersprechen, deren Künstler sich ausschließlich mit dem Stumpfsinn der Zensur und fehlenden Produktionsmitteln herumschlagen mussten.
Das Kino hinter dem Eisernen Vorhang besitzt oft magisch wirkende Qualitäten, die Intellekt und Emotion vereinen, ohne das Eine gegen das Andere auszuspielen. Krsto Papićs „Der Rattengott“ mag kein Meisterwerk sein, besitzt aber genügend dieser Vorzüge, um die Missachtung, mit der er weithin gestraft wird, unverständlich erscheinen zu lassen.
Gerade heute wieder ein wichtiger Film, aber was nützt die Mühe, wenn die Freunde der Realität, die den „Systemmedien“ nur soweit trauen, wie sie sie schmeißen können und im Facebookpulk ihre Regression zur Menschenratte behende vorantreiben, einfach nicht zuhören? Der Ruf nach nationaler Identität und Volksgemeinschaft endet zwangsläufig in einem Rattenkönig.
--