Antwort auf: 2018: Jazzgigs, -konzerte & -festivals

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Julian Lage Trio – Moods, Zürich – 11. Januar 2018

Julian Lage (g), Jorge Roeder (b), Eric Doob (d)

Ein phänomenaler Auftakt ins Jazz-Konzertjahr gestern (nach zwei Opern, heute Abend folgt das erste klassische Konzert) … schon im ersten Stücke dachte ich, Julian Lage könne rein technisch gesehen wohl schlicht alles. Das grossartige ist aber, dass er seine Virtuosität stets im Dienst der Melodie einsetzt, dass es nie zu unmusikalischen Spielereien kommt, auch nicht wenn er seine Finger so schnell über das Griffbrett und die Saiten rasen lässt, dass man sie kaum noch sehen kann. Die Musik des phantastisch abgestimmten Trios wandert hin und her zwischen Jazz, Blues, Folk, Country, es gibt poppige Grooves und Changes, aber während diese sich auf dem Album („Arclight“, Mack Avenue, 2016) manchmal etwas rasch erschöpfen, auch weil dort alles kurz und präzis bleibt (was den poppigen Charakter stärkt, mit dem Vibraphon, das Kenny Wollesen via Overdubs da und dort ergänzt hat, geht das auch mal ein wenig in Richtung Lounge – aber stets mit grösstem Charme), schliessen im Konzert an die Themenpräsentationen weite solistische Bögen an. Auch wird mit dem Material oft etwas gespielt, es gibt mehrere Durchgänge, in denen etwas aufgebaut wird, das sich dann in den Soli entlädt. Lages Spielfreude ist zugleich total gelassen und von beeindruckendem Ideenreichtum – manchmal dachte ich in der Tat kurz an Sonny Rollins, auch wenn Lage in mancher Hinsicht viel geschmeidiger und wendiger ist, wobei Rollins in seiner Kantigkeit ja grösste Eleganz an den Tag legt (das gehört ja gerade zum Faszinosum). Jedenfalls nahmen die Soli manchmal schier unfassbare Formen an – und Roeder/Doob waren durchaus in der Lage, mitzugehen und einige Male anzusetzen und den Faden auf ihre Weise fortzuspinnen. Das erste Set dauerte wohl eine knappe Dreiviertelstunde, dann riss Lage eine Saite (das Hi-Hat war auch schon früh im ersten Set kaputt) und das letzte geplante Stück wurde auf nach der Pause verlegt. Am Ende gab es eine Standing Ovation – kann mich nicht erinnern, das im Jazzclub schon erlebt zu haben. Dieser war überdies voll, schon vor Türöffnung gab es eine lange Schlange (was auch mit dem Artikel zu tun haben mag, der vorgestern in der NZZ erschien). Auch die bleichen Nachwuchsjazzer von der Hochschule waren wieder da, mit ihren Wollmützen und Flauschefellchen im Gesicht – so ein Auftritt könnte beim einen oder anderen durchaus zu Veränderungen des Berufswunsches führen, ist also nicht ungefährlich …

Was mir im Kopf herum ging: woher kommt Lage eigentich? Klar, Jim Hall – aber mit dem anderen Sound, seine Telecaster war wohl nicht direkt in den Verstärker eingesteckt, aber ausser ein paar wenige Male den mittleren Drehknopf betätigte er überhaupt nichts, spielte einfach mit dem altmodischen, leicht angerockten Sound, den das Ding hergab – und auch damit holte er eine ordentliche klangliche Vielfalt heraus. Besonders schön fand ich, wie das ganze Trio mit Dynamik umgehen kann: da kann aus einer sehr lauten, druckvollen, fast schon kathartischen Passage in einem Moment schon das feinste Pianissimo kommen – ohne dass die Spannung abfallen würde. Aber gut, ich dachte sonst vor allem an die ganzen Westküsten-Leute, vielleicht manchmal an Tal Farlow (und am Rand: Barney Kessel), am Rand auch mal an Texas (Herb Ellis), aber vor allem an Leute wie John Pisano, Billy Bean … und vielleicht auch Gabor Szabo und Larry Coryell – quasi die Chico Hamilton-Schule der Jazzgitarre … aber im Gegensatz zu deren hollow body Gitarren spielt Lage eben die Telecaster, wie man sie wohl am ehesten von Bruce Springsteen kennt. Im verlinkten Artikel steht die Geschichte, wie sein Vater dem vierjährigen eine Attrappe nach einem lebensgrossen Poster des Boss hergestellt habe, mit fünf spielte er dann schon, mit acht trat er mit Carlos Santana auf und schon als Teenager gab er Kurse in Stanford – schon ziemlich krass, aber umso schöner, dass er wohl seit spätestens drei, vier Jahren die Kurve gekriegt hat und etwas ziemlich Eigenes schafft. An Bill Frisell mag man auch denken, vor allem wegen des Americana-Stilmixes – aber die Textur von Lages Sound wie auch sein sehr lineares und klares Spiel (das sind dann eben Jim Hall und diese ganze LA-Clique) sind doch wieder völlig anders.

Auf jeden Fall ein Start nach Mass! Danke nochmal @redbeansandrice, ohne dessen kurze Meldung ich das Konzert gestern wohl wegen überfülltem Terminkalender sausen lassen hätte.

Die nächsten Jazztermine, allesamt ebenfalls im Moods, sind: Fly (Turner-Grenadier-Ballard), Depart (inzwischen mit Fredy Studer – Om, Koch-Schütz-Studer – am Schlagzeug) mit J-P Bourelly, im Februar dann David Murray (mit Saul Williams), Malcolm Braff und vielleicht Tim Berne (Big Satan, also mit Marc Ducret und Tom Rainey).

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