Antwort auf: Die wunderbare Welt der Oper

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Madama Butterfly
Tragedia giapponese in zwei Akten von Giacomo Puccini (1858-1924)
Libretto von Giuseppe Giacosa und Luigi Illica nach Pierre Loti, John Luther Long und David Belasco

Musikalische Leitung Daniele Rustioni
Inszenierung Ted Huffman
Bühne Michael Levine
Kostüme Annemarie Woods
Lichtgestaltung Franck Evin
Choreographische Mitarbeit Sonoko Kamimura-Ostern
Choreinstudierung Ernst Raffelsberger
Dramaturgie Fabio Dietsche

Cio-Cio-San Svetlana Aksenova
Suzuki Judith Schmid
Benjamin Franklin Pinkerton Saimir Pirgu
Sharpless Brian Mulligan
Goro Martin Zysset
Fürst Yamadori / Der Standesbeamte Huw Montague Rendall
Onkel Bonze Ildo Song
Der kaiserliche Kommissar Stanislav Vorobyov
Kate Pinkerton Natalia Tanasii

Philharmonia Zürich
Chor der Oper Zürich
Statistenverein am Opernhaus Zürich

Was für ein grossartiger Abend gestern in der Oper! Eine phantastische Inszenierung mit einer überzeugenden Butterfly und zwei ebenbürtigen Partnern. Sharpless kommt in dieser Inszenierung, in der die Geschichte – über Bühnenbild und Choreographie – aus der Sicht von Cio-Cio-San erzählt wird, eine zentrale Rolle zu als Warner und Zweifler, als Gewissen, das allerdings machtlos bleibt. Der Bühnenraum bleibt gross und gänzlich weiss und leer, im ersten Akt wird die Rückwand auf- und zugeschoben – das spiegelt japanische Räume, in denen es kein Vorn und Hinten, kein Oben und Unten gibt, dafür ein Spiel der Schatten und des Lichtes (so gesehen war der seitliche Platz, den ich mit letzter Not ergattern konnte, gar kein Nachteil, auch wenn die andere Seite besser gewesen wäre, aber das weiss man im Voraus ja leider nicht).

In diesen Raum trat dann der Chor in strenger Choreographie (merkt Ihr was?) – überhaupt betont Huffman in seiner Inszenierung den formulistischen Charakter der Oper, des Theaters stark, und lässt die Figuren gerade daraus Kraft gewinnen. Der Blick kommt hier quasi aus dem Exotischen, er verkehrt sich und die amerikanischen Eindringlinge werden zum Exotischen. Die Möbel von Pinkerton, die in den leeren Raum gestellt werden, wirken allerdings wie machtlose Chiffren, Signifikante ohne Signifikat (eine passende Textstelle von Roland Barthes gibt es im Programmheft).

Im zweiten Akt ist der Raum leerer, Cio-Cio-San hat ihn wieder übernommen, allerdings bezeichnet sie sich später selbst als amerikanische Frau – darin liegt ja gerade die Tragik, im Nicht-Erkennen-Können … dem dann allerdings im Moment der Erkenntnis wiederum, aus ihrer Sicht völlig stringent, umso klarer die einzige Konsequenz folgt. Der Suizid ist in dieser Sichtweise denn auch japanisch konnotiert zu verstehen, also stolze Entscheidung, die Ehre wiederherzustellen, sich handelnd reinzuwaschen – nicht als Kapitulation und Ausweg oder gar als Sünde, als den ihn die westliche Tradition betrachtet. In dieser Sichtweise reiht sich die Butterfly dann nur bedingt in die Reihe der „femmes fragiles“ ein, die wir von anderen Puccini-Opern kennen.

Das lange orchestrale Zwischenspiel im zweiten Akt wurde vor offenem Vorhang gegeben, Svetlana Aksenovas Cio-Cio-San und Judith Schmids Suzuki wussten damit bestens umzugehen. Sehr schön anzusehen waren dann auch die Blumen, die für den Empfang des zurückkehrenden Pinkerton auf der leeren Bühne verteilt wurden – allerdings erschöpfte sich nichts in der blossen Schönheit, diese lag in der Reduktion aus dieser wiederum entwickelte die Aufführung ihre enorme Kraft. Peter Hagmann, der sich selbstredend viel besser auskennt, sieht die Inszenierung denn auch in der Nachfolge Robert Wilsons.

Nicht nur war Aksenova beeindruckend und verkörperte die Stärke ihrer Figur hervorragend, auch waren Mulligan als Sharpless und ganz besonders Pirgu als Pinkerton sehr toll. Die Figur des Pinkerton wirkt – da bin ich mit Hagmann uneins und sehe Huffmans Absicht erreicht – weniger unsympathisch, eher sehr jung, etwas hilflos, vor allem ziemlich ahnungslos und daraus – eine Entschuldigung ist das nicht, aber vielleicht eine Eklärung – wächst seine komplette Ignoranz. Im zweiten Akt ist Pinkerton ja in erster Linie abwesend und im Schlussauftritt fand ich Pirgu dann nicht mehr vollends überzeugend. Das war aber auch schwer, denn Aksenova beherrschte die Bühne mit einer stillen und glühenden Ruhe, die es tatsächlich in sich hatte und die Verzweiflung – aber eben auch die Kraft – der Figur kenntlich machte.

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