Antwort auf: Die wunderbare Welt der Oper

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gypsy-tail-wind
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gypsy-tail-windHeute beginnen meine kleinen, zweiwöchigen Opernfestspiele …

Dazu auch noch ein paar Worte, zwei der vier Vorstellungen liegen bereits hinter mir:

La Fille du régiment
Opéra comique in zwei Akten von Gaetano Donizetti (1797-1848)
nach einem Libretto von Jules-Henri Vernoy de Saint-Georges und Jean-François Alfred Bayard

Konzertante Aufführung

Musikalische Leitung Speranza Scappucci
Choreinstudierung Janko Kastelic

Marie Sabine Devieilhe
Tonio René Barbera
Sulpice Pietro Spagnoli
La Marquise de Berkenfield Liliana Nikiteanu
La Duchesse de Crakentorp Birgit Steinegger
Hortensius Henri Bernard
Ein Offizier / Ein Notar Huw Montague Rendall
Ein Bauer Utku Kuzuluk

Philharmonia Zürich
Chor der Oper Zürich

Eine grossartige Sache, in ganzer Länge! Konzertant hiess – man hat ja schliesslich das Theater-Know How im Haus – nicht, dass völlig auf szenische Elemente verzichtet wurde, das Orchester sass grosszügig über die Bühne verteilt, dahinter der Chor, der einige Male auf- und wieder abging. Vor, neben, hinter und um die Dirigentin Speranza Scappucci herum gruppierten und bewegten sich dann die Sängerinnen und Sänger. Sabine Devieilhe in der Titelrolle war der Grund, weshalb ich die Aufführung um keinen Preis verpassen wollte – die Oper hatte ich noch nie davor gehört. Sehr beeindruckend, was Devieilhe bot, die Figur der Marie trägt das Stück ja fast alleine und da sass wirklich alles, jede Koloratur war überzeugend, keine verwackelten Momente, nichts. Noch grösser kam der Einspringer Barbera heraus, für ihn gab es sogar einen Vorhang mit da capo, was ich noch nie erlebt hatte (Vorhang gab es nicht wirklich, hätte wohl die Dirigentin erschlagen, aber Handschlag und später Küsschen von dieser, eine kurze Absprache und der Schluss der einen Arie wurde wiederholt). Was da an tenoralem Wohlklang aus diesem Mann hervorquoll, war in der Tat schier nicht zu fassen. Mit Birgit Steinegger in der Rolle der ollen Crakentorp gab es dann noch eine veritable Stand-Up-Einlage mit viel Lokalkolorit – auch das sehr gut gemacht. Aber es war Devieilhe, die den Abend zum Ereignis machte. Am Ende gab es auf den Rängen eine stehende Ovation, während das versammelte Geriatriepublikum im Parkett nicht mehr auf die Beine mochte …

Eine passende Einspielung wird es wohl nur dann geben, wenn Devieilhe die Rolle aufnehmen kann … bis dahin greife ich dann mal zu Sutherland (und Pavarotti, an den ich bei Barbera auch tatsächlich denken musste) mit hubby Bonynge – die schient ja für deren Verhältnisse sehr akzeptabel zu sein (Löbl/Werba schreiben sogar was davon, dass die S. eine grosse „komische Begabung“ gehabt hätte).

La fanciulla del West
Oper in drei Akten von Giacomo Puccini (1858-1924)
Libretto von Guelfo Civinini und Carlo Zangarini nach David Belascos gleichnamigem Bühnenstück

Musikalische Leitung Marco Armiliato
Inszenierung Barrie Kosky
Bühnenbild Rufus Didwiszus
Kostüme Klaus Bruns
Lichtgestaltung Franck Evin
Choreinstudierung Ernst Raffelsberger
Dramaturgie Claus Spahn

Minnie Catherine Naglestad
Dick Johnson Brandon Jovanovich
Jack Rance Scott Hendricks
Nick Jamez McCorkle
Ashby Pavel Daniluk
Sonora Cheyne Davidson
Trin Jonathan Abernethy
Sid Valeriy Murga
Bello Tomasz Kumiega
Harry Thobela Ntshanyana
Joe Bogusław Bidziński
Happy Dmytro Kalmuchyn
Larkens Cody Quattlebaum
Billy Jackrabbit Donald Thomson
Wowkle Karina Demurova
Jack Wallace Yuriy Tsiple
José Castro Alexander Kiechle
Un Postiglione Omer Kobiljak

Philharmonia Zürich
Chor der Oper Zürich
Statistenverein am Opernhaus Zürich

Gestern dann schon wieder in der Oper, neben mir ein Herr aus Barcelona, der gerade seine vierte Opernreise unternimmt, eine Woche jeden Abend in anderen Städten in die Oper, Zürich war die dritte Station und wie ich hatte er Puccinis „Girl“ noch nie gesehen (im Gegensatz zu mir auch nicht im Voraus schon einmal angehört, bzw. um genauer zu sein habe ich mir im Fernsehen eine andere Aufführung angeschaut, die wenigen mir vorliegenden Aufnahmen kenne ich noch nicht und die von Mehta, die wohl beste, fehlt mir obendrein sowieso noch).

Aber gut, zum Auftakt gab es eine Ansage, dass Naglestad krank und auf Antibiotika sei … diese Art unnötiger Absicherung hörte ich vor einem Jahr bei Olga Peretyatko schon, und wie damals hörte man auch gestern nicht viel. Ich könnte mir höchstens vorstellen, dass sie sonst am Anfang etwas schneller zur beängstigenden Intensität gefunden hätte, die sie später fast ohne Unterbruch an den Tag legte. Musikalisch ist das Ding ja in der Tat fast ein Film, in der Orchestrierung gibt es immer wieder tolle Überraschungen, es gibt eine Schroffheit, die den Einfluss von Richard Strauss verrät, aber im intimen mittleren Akt auch eine Art Parlando, das Puccini wohl von Debussy her hat … jedenfalls ein verdammt tolles Stück und ein Jammer, dass es immer noch selten gespielt wird. Die acht Pferde, über die Puccini sich bei der Uraufführung an der Met (unter Toscanini und mit Caruso!) so gefreut hatte, waren natürlich nicht dabei, überhaupt war die Inszenierung brutal und reduziert, was zum Stück sehr gut passte. Das Orchester unter Armiliato reizte die Partitur aus, die Zürcher Oper kam manchmal wieder an die Grenze, aber ich mag das sehr, weil es die Intensität solcher Aufführungen noch steigert (letzte Saison war das bei Verdis „Don Carlo“ der Fall, als mit Anja Harteros ebenfalls eine grossartige Sängerin im Zentrum stand – ihre Tosca habe ich diese Saison leider verpasst, weil die wenigen Aufführungen stattfanden, als ich in Indien herumtingelte). Naglestad allein reicht natürlich nicht, um die „Fanciulla“ zu stemmen – mit Jovanovich und Hendricks hatte sie zwei überzeugende Partner auf der Bühne und das ganze Ensemble hielt ebenfalls sehr gut stand … es gilt ja neben dem Lead-Trio viele vergleichsweise wichtige kleine Rollen zu besetzen bei dieser Oper, das ist vielleicht mit ein Grund, warum sie nicht zu oft gespielt wird.

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