Antwort auf: Franz Schubert

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gypsy-tail-wind
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’s ist nicht für Mädchenbusen,
So schön sieht es nicht aus:
Schwarz, schwarz ist seine Farbe,
Es paßt in keinen Strauß.

~ Wilhelm Müller, aus „Blümlein Vergißmein“, aus dem Zyklus „Die schöne Müllerin“
 
Christian Gerhaher/Gerold Huber – Schubert: Die schöne Müllerin (Sony Classical, 2017)
 
Das ist nichts weniger als phänomenal! Ich musste ja auch schmunzeln, als ich neulich irgendwo vom oberlehrerhaften Gebahren beim Singen las, das Gerhaher bei einem Auftritt an den Tag legte … hat ja was, mit seiner Suche nach einer gewissen Objektivität – aber wenn so etwas dabei herausschaut, soll es mir noch so recht sein. In Brahms‘ Requiem war er vor einiger Zeit mit Haitink in der Tonhalle auch perfekt, gerade wie hier. So schwarz und düster, so zweiflerisch und grüblerisch klang die Müllerin wohl noch nie, dafür besorgt ist auch Gerold Huber, der langjährige Partner von Gerhahers Lied-Erkundungen. Vor, zwischen und nach den Schubert-Liedern rezitiert Gerhaher dieses Mal zusätzlich die fünf Gedichte aus Wilhelm Müllers Zyklus, die Schubert nicht vertont hat. Das gibt Atem- und Denkpausen und gefällt mir sehr gut.

Das tolle daran ist, wie Gerhaher aus der Tiefe der Musik zu singen scheint, sich quasi in ihr versenkt, sich den Stoff aneignet –
das geht so weit, dass er dem unsicheren, selbstzweifelnden Ich des Müller-Lehrlings eine fahlere Stimme mit Vibrato gibt als dem gelangweilten Müller. Beim Hören fühlt man wohl so stark mit dem Protagonisten fühlt wie noch nie – Gerhaher lädt jede Zeile, jede Phrase, mit Bedeutung auf. Das gelingt ihm aber völlig ohne die Prätentionen des grossen DFD. Diesen will ich damit nicht abwatschen, ohne ihn gäbe es Gerhaher ja vermutlich überhaupt gar nicht. Aber ich mag DFDs Gesang halt nicht so sehr und diese Überfrachtung mit Bedeutung glaube ich bei ihm tatsächlich fast permanent zu hören, als würde er das alles quasi auf die Musik drauf laden statt – wie Gerhaher es tut – es (und sich) in der Musik versenken und dann in der Umsetzung, im Singen, in der Performance quasi erst wiederauftauchen zu lassen.

Gut, ich bin tief beeindruckt. Aber das sagte ich wohl schon.

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