Antwort auf: Eure Gedanken zum Tod geschätzter Musiker und Musikerinnen

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jan-lustiger

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Wie der eine oder andere vielleicht mitbekommen hat, übersetze ich Simon Reynolds‘ Glam-Buch für die deutsche Ausgabe. Heute habe ich mich auf die Zielgerade begeben: die letzten zehn Seiten. Die letzten zehn Seiten musste Reynolds quasi noch anfügen, als er so gut wie fertig war, denn die Nachricht von David Bowies Tod erreichte ihn, als er kurz davor war, sein Buch zu vollenden.

Und Reynolds weiß genau, was für einen Impact diese Nachricht in den Leben vieler hatte. „Where were you when David Bowie died?“, fragt er und tatsächlich hab ich den Tag noch so genau im Gedächtnis wie wenige des vergangenen Jahres. „How did you feel when you heard David Bowie was dead?“

Es war Montagfrüh. Der einzige Tag der Woche, an dem ich früh in die Uni musste. Ich kam gerade aus dem Bad heraus, da wendet sich meine Freundin an mich: „Ich habe eine schlechte Nachricht aus der Pop-Welt.“ Ich schaue erstaunt. „David Bowie ist tot.“ Meine Reaktion kommt ohne Zögern: „Du verarschst mich doch!“ David Bowie. Tot. Das passt nicht zusammen. Zu groß erscheint der Mann, dessen Werk den modernen Pop geformt hat wie das von nur wenigen anderen, zu allgegenwärtig ist er in der gesamten Populärkultur. Kaum eine Ecke gibt es, in der man ihn nicht erkennen kann, überall ist er da. Bowie. Tot. Wie absurd! Ich zücke das Smartphone, es ist die erste Nachricht im Facebook-Feed. David Bowie ist tot. Ihr verarscht mich doch!

Wie ein Zombie trotte ich zur Uni. Den Kurs besuche ich trotz der frühen Veranstaltungszeit, weil mich das Thema gereizt hat: politische Inhalte in amerikanischen Songs. Ich schätze den Dozenten und beteilige mich zwar nicht oft (ich habe eine gewisse Tendenz zur Introvertiertheit), aber gerne an den Diskussionen. An diesem Tag sage ich nichts. Welches Thema besprochen wurde, ist eines der wenigen Details dieses Tages, an die ich mich nicht mehr erinnere. Alles wirkte noch so surreal. Bowies Tod wird nicht angesprochen, vielleicht verarschen sie mich ja doch? Aber nein, langsam dämmert es mir. Wahrscheinlich kennen einige meiner Kommilitonen Bowie nur dem Namen nach, doch bald werden sie ihm nicht mehr entkommen, Wochen lang ist er in den Medien überpräsent. Und langsam dämmert es mir. David Bowie ist tot.

Ich hätte noch einen zweiten Kurs gehabt, aber ich gehe nicht hin. Konzentrieren kann ich mich eh nicht und überhaupt: Warum sollte ich? David Bowie ist tot!  Zu diesem Zeitpunkt habe ich Blackstar noch nicht gehört, ich wollte es mir im Laufe der Woche besorgen. Das wird nun vorgezogen. Ich gehe direkt zum nächsten Saturn, kaufe mir das Album in der viel zu kleinen Bowie-Sektion zusammen mit der Compilation Nothing Has Changed, deren Titel plötzlich klingt, als wolle mir der Mann aus dem Jenseits Trost zusprechen. Sie kostet 6€. Als ich eine Woche später wieder vor Ort bin, hat sich alles verdreifacht: Die Bowie-Sektion. Der Preis der Compilation. Denn David Bowie ist tot.

Zu Hause höre ich die beiden Neuerwerbungen im Wechsel, meine innere Unruhe geht nicht weg. Es ist eine seltsame Mischung aus Trauer und Verstörung, letzteres wohl weil es immer noch so wenig Sinn macht. Ich beschließe, eine kleine Würdigung zu schreiben und sie auf Blog und Facebook zu posten. Nachdem ich das getan habe, setzt sich die Unruhe etwas, aber die Trauer bleibt. Mit meinem Nachruf habe ich es mir selbst eingestanden: David Bowie ist tot. Und ich frage mich, wie viele meiner Leser beim Lesen meiner Zeilen auch noch versuchen, dieses Gefühl abzuschütteln: Der verarscht mich doch.

Als ich die erste Zeile der letzten 10 Reynolds-Seiten lese, kehrt das Gefühl ganz kurz zurück. Aber nein, Simon Reynolds verarscht mich nicht. Da steht es also, in einem Buch, das Popgeschichtsforschung betreibt, gute Chancen hat, das Standardwerk zum Thema Glam zu werden. Schwarz auf weiß in einem (Pop-)Geschichtsbuch: David Bowie died. Damit ist es offiziell: Bowie ist tot und sein Tod genauso sehr Teil der Popgeschichte wie alles, was er vorher tat. Mit Blackstar hat er seinen eigenen Beitrag dazu geleistet, aber genau betrachtet auch schon mit The Next Day. „We will never get rid of these stars but I hope they live forever“, singt er in „The Stars (Are Out Tonight)“. Mit einer Träne im Auge nicke ich anerkennend: Er wusste einmal mehr Jahre vorher, wie wir uns einmal fühlen werden. „Look up here, I’m in heaven“, singt er in „Lazarus“, „Everybody knows me now.“

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