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1951-1952 – Milt Jackson auf Dee Gee, Blue Note und Hi-Lo
+ Sonny Stitt/Milt Jackson 1948, Annie Ross 1952
1951-08-24 – New York
Dee Gee (später Savoy)
Milt Jackson (vib), John Lewis (p), Ray Brown (b), Kenny Clarke (d)
Für Dizzy Gillespies Label Dee Gee ging das künftige MJQ ein erstes Mal ins Studio und spielte vier Stücke ein, noch mit Ray Brown und Kenny Clarke – eben: die Rhythmusgruppe der Band von Dizzy Gillespie. „Milt Meets Sid“ ist eine etwas nervöse Nummer, der man den Bebop-Background der Combo noch sehr gut anhört. Mit „D and E“ folgt ein erdiger Blues, in dem Jackson solistisch glänzt, aber auch Ray Brown ein paar Takte kriegt und mit seinem grossen – aber für die Combo längerfristig wohl etwas zuwenig agilen – Ton ebenfalls mehr denn überzeugt. Es folgt eine etwas verschlafene aber durchaus schöne Version von „Yesterday“ – Lewis und Brown scheinen ihre Parts einstudiert und einander angepasst zu haben, die Melodie gehört ganz Jackson. Den Ausklang macht dann „Between the Devil and the Deep Blue Sea“, das mit einem recht lahmen Piano-Intro beginnt … bei dem Stück erwarte ich einfach den funky Touch von Nat „King“ Cole. Auch mit dem vorantreibenden Beat klappt es dann nicht so ganz – Kenny Clarke ist wie so oft nur an den Besen zu hören. Darin war ja einer der grossen Meister, keine Frage, aber hier würde etwas mehr Kick nicht schaden.
1951-09-18 – New York
Dee Gee (später Savoy)
Milt Jackson (vib), John Lewis (p), Percy Heath (b), Al Jones (d)
Bei der zweiten Session ein paar Wochen später war der reguläre Bassist der Gruppe an Bord: Percy Heath. Sein Spiel wirkt sofort eine Spur agiler – das würde sich in den kommenden Jahren noch verstärken. Kenny Clarke wird für einmal durch Al Jones ersetzt, der sich nicht die Zurückhaltung auferlegt und nach dem etwas verschlafenen Start mit Jacksons „Autumn Breeze“ in dessen „Movin‘ Nicely“ etwas mehr zulangt, als Clarke das auf der ersten Session tat – und trotz dem Extra-Kick gibt es gerade in dem Stück in Jacksons Solo einen Moment, der fast zu schön sind, um spontan ausgedacht zu sein, es aber wohl ist. Weiter geht es mit Monks „‚Round Midnight“ – natürlich kannten die Musiker Monk, denn auch er war bei Dizzy Gillespies Big Band dabei (zu hören ist das auf den Spotlite-Aufnahmen von 1964, die Uptown als Doppel-CD neu aufgelegt hat: „Showtime at the Spotlite, 52nd Street, New York City, June 1946“ – es gibt aber nur zwei oder drei Monk-Soli, Lewis wurde ja zu seinem Nachfolger, weil Gillespie von seiner Unpünktlichkeit zu genervt war). Das Stück wird in recht zügigem Tempo als Walking Ballade dargeboten, Jackson glänzt solistisch wieder sehr, er hatte ja Monks Musik auch wirklich erfasst und begriffen, ist auf den vielleicht ausgereiftesten frühen Monk-Sessions bei Blue Note mit an Bord. Den Abschluss macht dann „Bluesology“, eine catchy Riff-Nummer, erneut aus Jacksons Feder (auch die beiden Originals aus der ersten Session stammten von ihm – das Gleichgewicht sollte sich bald in Richtung Lewis zu verlagern beginnen). Beide Sessions erschienen zusammen mit den vier für Hi-Lo eingespielten Stücken (1952-04) später bei Savoy, daher die beiden obigen Cover (beide LPs enthielten dieselben Stücke).
1952-04-01 – New York
Dee Gee (später Savoy)
Annie Ross (voc), Milt Jackson (vib), Blossom Dearie (p), Percy Heath (b), Kenny Clarke (d)
Am 1. April standen drei Viertel des MJQ im Studio mit der englischen Sängerin Annie Ross – vermutlich ihre ersten US-Aufnahmen und überhaupt unter ihren frühsten Aufnahmen. Los geht es mit „The Way You Look Tonight“, etwas zu langsam aber ganz hübsch. Dass Dearie einen ganz anderen Touch hat als John Lewis wird schon im Intro klar, obwohl man das Klavier auf meiner CD (das Reissue von „Loguerhythms“ bei él/Cherry Red von 2014) nur schlecht hören kann. Weiter geht es mit „I’m Beginning to Think You Care for Me“, einer schwer zu erträglichen Schmonzette mit Chorgesang (von der Band wohl, es gibt dazu keine Angaben). Dann folgt – schon wieder und erneut etwas zu träge – „Between the Devil and the Deep Blue Sea“, das für Ross‘ Stimme aber eine sehr gute Wahl ist. Die Session endet dann wieder ziemlich müde, mit „Everytime“. Aber auch hier – wie in allen vier Stücken – glänzt Jackson als guter Begleiter, unaufdringlich und doch sehr präsent.
Die Tracks von Ross für Dee Gee erschienen später auf einer Sammel-LP bei Regent mit grauenvollem Cover, das auch mal auf CD wieder herauskam:
https://www.discogs.com/de/Annie-Ross-Dorothy-Dunn-Shelby-Davis-Singin-N-Swingin/release/10767780
1952-04-07 – WOR Studios, New York
Blue Note
Lou Donaldson (as), Milt Jackson (vib), John Lewis (p), Percy Heath (b), Kenny Clarke (d)
Das vollständige Modern Jazz Quartet ging im April erneut ins Studio, dieses Mal mit dem Altsaxophonisten Lou Donaldson, doch Milt Jackson war der Leader – das einzige Mal auf Blue Note (als Sideman nahm er 1957 noch einmal für das Label auf: das Meisterwerk „Hank Mobley and His All-Stars“). Hier wird endgültig klar, dass die Achse zwischen Jackson und Heath sehr toll funktioniert – und dass auch Lewis und Clarke sich bestens einfügen. Donaldson wirkt im Opener „Tahiti“ neben dem so agilen Jackson etwas behäbig, neben dem so kontrollierten Lewis etwas beliebig – vielleicht war das hier der nötige Anstoss, um künftig (fast immer) ohne Bläser weiterzumachen? In der Ballade „Lillie“ setzt Donaldson dann aus, Jackson und Lewis finden hier aufs Schönste zusammen, während Heath einen tollen Boden legt – es existiert ein späterer Alternate Take (zumal auf der obigen Blue Note/RVG-CD von 2001), der nicht ganz so schön swingt. Weiter geht es mit „Bags‘ Groove“ (nicht Bag’s Groove – Bags war der Übername von Jackson, weil er schon in jungem Alter so schöne Augensäcke hatte … vielleicht braucht man die ja, um eine Band über fünf Jahrzehnte am Leben zu erhalten, vgl. Duke Ellington?), das Tempo sitzt perfekt und Clarke dropt seine Bombs, Jackson und Donaldson spielen feine Blues-Chorusse und Lewis folgt mit einem ebenbürtigen Solo, karg und perfekt phrasiert. Wie er das Tempo mal ganz leicht verschleppt, dann wieder anzieht, die Phrasierung seinen Linien anpasst – das ist schon ganz grosse Kunst. Dann gibt es eine arrangierte Passage, die zurück zum Riff-Thema führt. Es handelt sich übrigens um die erste Einspielung dieses Stückes, das neben „Now’s the Time“ und „Walkin'“ zu den meistgespielten Blues-Themen der Ära zählen dürfte. Weiter geht es mit „What’s New“, wieder ohne Saxophon und mit feinem Interplay von Jackson und Lewis im Thema: das Klavier umgarnt und ergänzt das Thema, das Jackson am Vibraphon spielt. Es ist dies das erste Stück, das nicht von Leader Jackson stammt, und es ist ebenfalls in zwei Takes zu hören. Das Stück gibt für Jackson (und Begleiter Lewis) viel hier und Jackson liefert zwei tolle Versionen. Weiter geht es mit Ellingtons „Don’t Get Around Much Anymore“ – der zwar auf einer Single herauskam, aber auf den 10″- und 12″-LPs fehlte, die Blue Note später zusammenstellte. Das ist nun Donaldsons Feature und er spielte mit feinem Ton und ziemlich guter Umsetzung – auch davon gibt es zwei Takes. Jackson ist nach dem Saxophonisten ebenfalls in guten Soli zu hören, Lewis begleitet auf eine Weise, die er oft anwenden sollte: hingepflanzte Akkorde, die eine Art abgehackten Anti-Flow erzeugen, der dann plötzlich wieder dahinzufliessen beginnt. Den Ausklang der Session mit sechs Stücken macht dann ein Original von Donaldson über Rhythm-Changes, „On the Scene“. Donaldson wirkt wieder etwas abgedroschen und wird von Jackson in den Schatten gestellt (doch Alfred Lion war von Donaldson beeindruckt und holte ihn schon im Mai wieder zurück für die letzte Session mit Thelonious Monk, bevor er ihm im Juni seine erste eigene Session gewährte – Donaldson nahm über die ganzen Fünfziger und weit in Sechziger hinein für das Label auf).
1952-04 – New York
Hi-Lo (später Savoy)
Milt Jackson (vib), John Lewis (p), Percy Heath (b), Kenny Clarke (d)
Für Hi-Lo fand ebenfalls im April die erste Session mit der für die kommenden dreieinhalb Jahre stabilen MJQ-Besetzung statt. Wieder wurden vier Stücke eingespielt – ich höre sie übrigens wie die acht Dee Gee-Tracks auf der Compilation Early MJQ von Saga Jazz, die man für wenige Euronen kriegen kann (sie enthält auch die Master Takes der Blue Note-Session und die erste Prestige-Session von Ende 1952). Los geht es mit dem bezaubernden „Softly, as in a Morning Sunrise“, natürlich von Jackson präsentiert, während Lewis eine tolle Begleitung spielt und de Heath/Clarke den Two-Beat-Groove auskosten, der für die tollen Soli von Jackson und Lewis dann in einen 4/4 wechselt. Es folgt Gillespies feine Ballade „Love Me Pretty Baby“, von der Stimmung her recht ähnlich, aber mit einem grossartig aufgelegten Jackson. Die sparsame Begleitung dahinter lässt schon erahnen, was das MJQ bzw. Lewis später noch so machen würde. Es folgt Hoagy Carmichaels „Heart and Soul“, im mittelschnellen Tempo, und dann macht das einzige Jackson-Original der Session den Abschluss, „True Blues“, in dem der Leader seine grossartigen Qualitäten als Blueser demonstriert.
1952-11-01 – Birdland, New York
Charlie Parker (as), Milt Jackson (vib), John Lewis (p), Percy Heath (b), Kenny Clarke (d)
Ich habe bei Charlie Parkers Live-Aufnahmen keinen Überblick, obwohl sich über die Jahre einiges angesammelt hat. Da mal eine ordentliche Diskographie zu erstellen wäre wohl eine Lebensaufgabe. Auf der abgebildeten Doppel-CD von Ember findet sich jedenfalls (u.a.) der Live-Mitschnitt vom November 1952 mit Parker und dem MJQ aus dem Birdland in New York. Eingeführt wird die Session mit „we’re gonna continue with Milt Jackson“, das war also immer noch sein Gig. Charlie Parker stösst im Birdland als Gast zum MJQ (die Abkürzung passt ja auch für Milt Jackson Quartet/Quintet, ganz nach Bedarf – das machte sich Prestige bei einem späteren Plattencover auch zu nutze). Parker legt gleich los in „How High the Moon“, stellt auch mal den Beat auf den Kopf, wird von Lewis mit Akkorden gefüttert und von Klook sehr effektiv begleitet. Jackson und Lewis folgen mit kurzen aber guten Soli – und es wird rasch klar, dass es nicht nur bei Miles Davis sondern auch beim (zumal frühen) MJQ Unsinn ist, eine Trennung zwischen Bop und Cool etablieren zu wollen. Parker spielt dann noch etwas im Wechsel mit Clarke und gegen Ende ergeben sich ein paar schöne Passagen, in denen auch Jackson wieder dazustösst. Weiter geht es mit der Ballade „Embraceable You“, von John Lewis am Piano mit einem tollen Intro eröffnet. Jackson umschmückt auch hier das Thema, das Parker präsentiert, kriegt später auch ein kurzes Solo, aber hier ist Parker der Star. Leider endet der Mitschnitt danach auch schon, mit einem kurzen „“52nd Street Theme“.
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PS: Milt Jackson & Sonny Stitt – In the Beginning
Fantasy (ursprünglich: Sensation, rec. 1947/48)
Irgendwann Ende 1947 oder in den ersten Monaten von 1948 ging Milt Jackson mit Sonny Stitt ins Studio, um für das Label Sensation acht Stücke einzuspielen – das spielt hier nur am Rand eine Rolle, denn auf der ersten Session ist Jackson das einzige Mitglied des künftigen MJQ, auf der zweiten kommt noch Ray Brown dazu. Die ersten vier Stücke entstanden mit: Willie Wells (t), Sonny Stitt (als Lord Nelson) (as), Milt Jackson (vib), Will Davis (p), Jimmy Glover (b), Dave Heard (d); die zweiten vier mit: Russell Jacquet (t), Sonny Stitt (als Lord Nelson) (as), Milt Jackson (vib), Sir Charles Thompson (p), Ray Brown (b), Max Roach (d). Es gibt Bebop, Blues und Balladen – und gerade im direkten Vergleich mit dem etwas flauschigen Donaldson punktet Stitt mit seinem Biss und seinen klarer definierten, schärfer phrasierten Linien. Die beiden Sessions, so die Angaben denn stimmen, sind auf der abgebildeten CD in der Abfolge gemischt.
Die CD enthält aber auch noch vier Tracks – ebenfalls für Sensation eingespielt – bei denen Milt Jackson als Leader fungierte. Auf der Session sind zu hören: Milt Jackson (vib), John Lewis (p), Alvin Jackson (b), Kenny Clarke (d), Chano Pozo (cga, bgo) – und damit ist abgesehen von Brown, an dessen Stelle Milts Bruder Al zu hören ist, die Gillespie-Rhythmusgruppe komplett versammelt. Die Aufnahme könnte vom April 1948 stammen (siehe nächster Abschnitt, die Katalog-Nummer ist auch höher als jene der einzigen [?] Sensation-Single von den Stitt/Jackson-Sessions, die überliefert ist). Die Session öffnet mit „Slits“, ein Jackson-Original wie alle vier zu hörenden Stücke. Lewis kriegt zwischendurch ein paar Takte, sonst gehört es ganz Jackson. Leider nervt mich der Percussion-Groove mal wieder ziemlich, auch wenn Pozo und Clarke ja an sich lange zusammen gespielt haben. Im zweiten Stück, „Baggy Eyes“, klappt das besser, aber dafür ist hier der Bass ziemlich übersteuert. Jackson ist allerdings toll. Es folgt „In a Beautiful Mood“ (aka „Autumn Breeze“, unter dem Titel auch auf der zweiten Dee Gee-Session zu hören), eine mittelschnelle Walking-Ballade, in der Jackson gleich wieder auf der vollen Länge glänzt. Den Abschluss macht dann wieder eine schnelle Nummer, „Baggy’s Blues“ (aka „Bobbin‘ With Robin“), in dem Pozo wieder etwas nervt (Clarke hört man kaum, weil das Gleichgewicht im Studio nicht stimmt), Lewis kriegt auch hier wieder ein paar Takte, aber die ganze Session ist eindeutig Jacksons Show, und er nutzt das auch aus.
Mehr zu den ungefähren Daten findet man in Zan Stewarts Liner Notes zur Sonny Stitts Roost-Aufnahmen gewidmeten Mosaic-Box: „Stitt was arrested in Detroit for illegal sale of narcotics, convicted, sentenced to two years in prison and subsequently incarcerated at the prison unit at U.S. Public Health Service facility at Lexington, Kentucky, from March 10, 1948 until September 9, 1949. It was during this period that Miles Davis sought Stitt to no avail for what became the first of the Birth of the Cool recordings.“
Darüber, ob die Sessions in New York oder Detroit stattfanden, gibt es wohl keine weiteren Hinweise – woher überhaupt der Hinweis auf New York kommt (Stewart erwähnt Diskographien, die NY angeben), weiss ich nicht, der Eintrag hier ist bis auf die offensichtlich falschen Daten („Juni 1948“) wohl das Beste, was man herauskriegen kann:
https://www.jazzdisco.org/milt-jackson/discography/
Von wann die Session ohne Stitt aber mit John Lewis ist, weiss ich nicht, da könnte April ja hinkommen …
Die CD enthält dann übrigens noch eine Session mit Russell Jacquet und Stitt, vier Stücke plus von einem ein Alternate Take. Es handelt sich eigentlich um die Illinois Jacquet-Band mit Stitt als Einspringer für den Leader: Russell Jacquet (t), J.J. Johnson (tb), Sonny Stitt (as), Leo Parker (bari), Sir Charles Thompson (p), Al Lucas (b), Shadow Wilson (d). Vielleicht ist das am Ende die schönste Session, einfach weil Thompson et al. für einen ausgeglichenen Sound sorgen, sie sind ja bestens aufeinander abgestimmt – und obendrein stimmt die Balance im Studio diesmal auch.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 - 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba