Antwort auf: Brasilien

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friedrich

Registriert seit: 28.06.2008

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David Byrne hat in der Reihe Brazil Classics noch weitere Compilations zusammengestellt. Vol. 2 – O Samba hatte ich mal, konnte ihr aber nichts abgewinnen, Vol. 3 widmet sich dem Forro. Kenne ich aber nicht. In sofern konnte mich diese Reihe bis dahin nicht für brasilianische Musik begeistern.

Es gehört zu den schönen Erlebnissen eines Musiknerds, an einem Sonntagnachmittag über einen Flohmarkt in Berlin-Neukölln zu schlendern, ohne große Erwartungen in Plattenkisten zu stöbern und dort überraschend Brazil Classics Vol. 4, eine Best of Tom Zé zu finden. Da ich davon ausging, dass die Platte unerschwinglich ist, fragte ich zunächst gar nicht erst nach dem Preis, stellte sie zurück und wollte schon gehen. Aber fragen kostet nichts, dachte ich und versuchte dann doch mein Glück. Der Händler rief mir entgegen “5 Euro!” Ich verzichtete aufs Feilschen und trug die Platte freudig nach hause.

Tom Zé – The Best Of Tom Zé (Compilation, 1990)

Tom Zé ist der Bastard von Tom Jobim, Frank Zappa, Brian Wilson (SMiLE-Phase) und Kurt Schwitters. Oder so. Einerseits offenbar tief in traditioneller brasilianischer Musik verwurzelt, dreht er diese andererseits lustvoll auf links und vermischt sie mit allerlei anderen Einflüssen. Cultural cannibalism nennt David Byrne das in den liner notes. Da gibt es ein rhythmisch eigenartig zerhacktes, collagiertes Instrumentalstück (Toc), einen Schmachtfetzen mit (ins Englische übersetzten) Zeilen wie “Whoever looses his roof / Receives the stars in return” (So / Solidao) , einen jubilierenden Chor (Dói), ein völlig zerspieltes A Felicidade und so manch andere Eigenartigkeit. Der Soundtrack von “people watching soap operas on televison in the jungle who a year before didn’t even have electricity. Modern highways running alongside shantytowns. Musical hybrids that combine Afro-Brazilians rhythms with electric guitars. A european lyric and melodic sensibility in combination with the rhythm of the sambas from the Rio favelas.” (liner notes)

Tom Zé mischte Ende der 60er bei den Tropicalistas mit, machte einige Alben, hatte aber nur wenig kommerziellen Erfolg und verschwand dann jahrzehntelang von der Bildfläche. Erst diese Compilation zog ihn wieder in die Öffentlichkeit und läutete ein Comeback ein.

Ob The Best Of Tom Zé wirklich eine repräsentative Compilation ist obwohl sie 15 Stücke von nur drei der insgesamt sieben von 1968 bis 1984 erschienen Alben enthält, muss ich dahingestellt lassen, zumal ich mich mit Tom Zé nur rudimentär auskenne. In jedem Fall macht die Platte neugierig – und erfüllt den Anspruch, den David Byrne in den liner notes von Brazil Classics Vol. 1 – Beleza Tropical formuliert hatte: Eine schöne wilde bittere und süße Panscherei aus Zutaten unterschiedlichster Herkunft.

Btw.: Dank @vorgarten kannte ich das Album schon bevor meinem Besuch auf dem Flohmarkt. Aber es ist einfach was anderes, die Platte als gutes altes Vinyl in der Hand zu halten.

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„Für mich ist Rock’n’Roll nach wie vor das beste Mittel, um Freundschaften zu schließen.“ (Greil Marcus)