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nachdem ich gestern an TAUHID und IZIPHO ZAM hängen geblieben bin und diesen thread hier gelesen habe, interessiert mich gerade wieder die frühphase von farrell sanders. was ich gerade erst gelesen habe: dass er coltrane schon ende der 1950er in kalifornien kennen gelernt hat (kurze phase zwischen schulzeit in little rock und prekärer anfängerexistenz in new york ab 1961).
die ersten aufnahmen und musikalischen verbindungen – mit don cherry (der ihm seinen ersten job besorgt – später gibt es eine reunion in cherrys finaler blue-note-phase), mit sun ra (der ihn „pharoah“ tauft und als gilmore-ersatz kurzzeitig in seine band holt) und paul bley. irgendwie gelingt es ihm, aus dem handgelnk noch ein erstes leaderalbum für bernard stollman einzuspielen. dann steigt er bei coltrane ein.
3.1.1963
esp-session mit don cherry (tp), joe scianni (p), david izenzon (b), j.c. moses (dm).
„cocktail piece“ (2 takes), „cherry’s dilemma“, „remembrance“, ein monk-medley.
eine schöne session mit interessantem material und dichtem playing. das cocktail piece besteht aus wiederholten melodiefragmenten, zu denen izenzon und moses eigene grooves erfinden. sanders spielt etwas schlampig mit, gleichvoll recht inspiriert, der tolle ton ist natürlich von beginn an da, es gibt aber probleme mit dem rohrblatt oder dem horn an sich. im 2. take kommt eine lupenreine sanders-spiritual-phrase hinzu, die nach coltrane und den späteren eigenen sachen klingt. vielleicht hat er das der cherry-komposition spontan beigesteuert. „cherry’s dilemma“ ist eine wilde kollektivimprovisation, „remembrance“ ein tänzerisches cherry-trademark-stück, komplett tonal vom ansatz her, mit tollen kommentaren von sanders und scianni, dessen messerscharfe, modernistische klavierakzente sowieso ziemlich toll sind (eigentlich produzierte er damals klassik für columbia, glenn gould z.b., spielte aber nebenher immer auch jazz, bis hin zu späten aufnahmen mit ivo perelman). das monk-medley ist eigentlich nur ein bisschen spontanes geklimper, aus der erinnerung gespielt, nicht wirklich für eine aufnahme gedacht. wohin das hier alles überhaupt führen sollte, ist nicht ganz klar. cherry war ja damals vor allem mit rollins unterwegs. es scheint nicht so, dass er mit dieser besetzung an seinem ersten leader-album arbeiten wollte.
25.5.1964
paul bley session mit carla-bley-material, mit david izenzon (b) und paul motian (dm).
„generous“ (2 takes), „walking woman“ (2 takes), „ictus“.
paul bley kompensiert seine minderwertigkeitskomplexe, nachdem ornette das klavier aus seinen bands geworfen hat. „the piano was at risk“. bley sucht nach nicht-tonspezifischen klaviersounds, mit denen saxofonisten, die keine changes spielen wollen, etwas anfangen können. hier allerdings ist das thematische gerüst sehr dicht und kompliziert, und es ist sehr interessant, wie gut sanders damit klar kommt. mehr als ein jahr nach der cherry-session ist aber auch jede schlampigkeit und unsicherheit wie weggeblasen. seine soli sind emanzipiert, rhythmisch flexibel und vor allem dazu gedacht, intensität aufzubauen. bley setzt bei „generous“ währenddessen aus. und jemand wie izenzon findet für beide komplett unterschiedliche begleitansätze. die frage ist ein bisschen, ob es ein saxofon in dieser musik überhaupt braucht. sanders mach das beste daraus und gibt die rampensau, auch im halsbrechend schnell gespielten „ictus“. in den interviews beschreibt sich sanders als stillen beobachter, der versucht, über die runden zu kommen, und mit allen und jedem spielt, ohne zu wissen, wohin er sich eigentlich entwickeln will.
10.9.1964
sanders‘ erste leader-session, mit jane getz (p), stan foster (tp), william bennett (b), marvin pattillo (dm).
dass ich dieses album über alle maßen liebe, ist wohl bekannt. 2 eingängige themen, ein entspannter, trotzdem sehr wacher swing, und lange, inspirierte soli, denen man in aller ruhe bei ihrer entstehung zuhören kann. über stan foster (angeblich sehr jung gestorben), william bennett und marvin patillo (noch aufnahmen mit sonny simmons und barbara donald, ist wahrscheinlich an die westküste gezogen) weiß ich quasi nichts, jane getz macht einen super job, die ausbrechenden ideen von sanders zu unterfüttern und dabei die ganze zeit den flexiblen swing der rhythm section aufrecht zu erhalten. sanders hat hier seinen weg schon gefunden, allerdings auf der selbst gewählten grundlage von soliden hardbop-themen und mit interesse an der balance zwischen in- und outplay. in „bethera“ kommt er auch schon in seinem hymnischen modalen spiel an, hier natürlich noch (oder schon, wenn man an die 1980er denkt) ohne weltmusik-kontext.
30./31.12.1964
die judson-hall-konzerte vom sun ra arkestra, mit sanders als ersatz für john gilmore. weitere bandmitglieder: black harold (als zweiter gast an flöte und percussion), art jenkins („space voice“), alan silva und ronnie boykins (b), al evans und chris capers (tp), teddy nance und bernard pettaway (tb), robert northern (french horn), marshall allen und danny davis an flöten und altsaxofonen, robert cummings (bcl), pat patrick (bs) und clifford jarvis (dm).
sanders wird hier nicht prominent herausgestellt, er verschmilzt mit seinem leicht identifizierbaren ton im kollektiv improvisierenden bläserensemble und nutzt den geringfügigen solo space für exaltierte ausbrüche, die insofern interessant sind, weil sie sich über einen dichten perkussionteppich setzen, was sanders ja in seinen impulse-alben fortführen wird.
mehr zu den konzerten habe ich hier geschrieben.
17.6.1965
ornette colemans CHAPPAQUA-SUITE-session, im trio mit izenzon und charles moffett und von einem von joseph tekula geleiteten orchester begleitet.
vier albumseitenalange bewegungen durch colemans hybrides material, zu dem vor allem moffett immer wieder etwas neues einfällt, wobei die orchestereinlagen (von ornette komponiert) ein ziemlich konfuses störelement bilden, über das coleman hinwegspielt wie gewohnt. im letzten stück kommt der nuschelnde, recht vorsichtige gastauftritt vom „besten tenorsaxofonisten der welt“, wie coleman sanders bekanntlich genannt hat, fügt der musik aber auch nichts neues hinzu. den film, für dessen soundtrack das ganze eingespielt wurde, hätte man mit einem solchen allerdings gerne mal gesehen (es gibt ja einen vergleichbar schönen beitrag von coleman später zu NAKED LUNCH z.b.).
keine zwei wochen später, am 28.6., steht sanders dann im line-up von john coltranes ASCENSION. und das ist dann ein anderes kapitel, mit den eckpfeilern LIVE IN SEATTLE, MEDITATION, OM, KULU SE MAMA, LIVE AT THE VILLAGE VANGUARD AGAIN, den neuerdings verfügbaren temple-university-aufnahmen, den japan-konzerten, sowie EXPRESSION, OLATUNJI CONCERT und COSMIC MUSIC. das kann man alles bei @gypsy-tail-wind nachlesen.
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