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sparch
MaggotBrain

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Skunk Anansie – Paranoid and sunburnt (1995)

Im Frühjahr 1995 konnte man auf MTV, bevorzugt in der Sendung 120 Minutes, ein Video einer Band bestaunen, in dem eine schwarze, kahlköpfige Frau wie vom Teufel gejagt durch die Gegend läuft und etwas von „They selling Jesus again…“ singt. Sehr hektisch aber duchaus beeindruckend war das Ganze, allein das Album dazu fehlte zu diesem Zeitpunkt. Das kam erst ein halbes Jahr später und wurde im ME/Sounds prompt zum Album des Monats gekürt. So radikal das Video war, so radikal war auch das Auftreten der Band und vor allem ihrer Frontfrau Skin. Ich erinnere mich noch an ein Foto, auf dem sie breitbeinig und schreiend vor einer Toilettenschüssel steht, in der gerade ein Hakenkreuz versenkt wird. Aber auch in Songs wie Little baby Swastikkka fand sie deutliche Worte gegen Rassismus und Faschismus, die sie teils in gespenstischem Flüstern vortrug, die Musik dazu tat ihr Übriges. Laut, aggressiv, energetisch und sehr kraftvoll von Anfang bis zum Ende, so klang dieses Album, das einen regelrecht nach Luft schnappen ließ. Dabei waren die Mittel, die dafür verwendet wurden, sehr einfach gehalten. Im Prinzip war die zumeist wilde Musik eine Mischung aus Punk und Metal, jedoch gespielt von einer jungen und hungrigen Band, die scheinbar nichts dem Zufall überlassen wollte. Aber auch ein melodisches Stück wie I can dream, das sich regelrecht zu überschlagen droht, sprang einem sofort ins Gesicht und wurde von Skin gerne mit den Worten garniert, dass das Stück „wie Sex in einer dunklen Straßenecke ist wo gerade jemand hingepisst hat“. Deutliche Worte, die den Ruf des Rrrriot Girrrls noch verstärkten. Dabei hatte sie so ziemlich alle Arten und Unarten des Gesanges parat, konnte keifen und schreien und ein paar Sekunden später klang sie wie das nette Mädchen von nebenan wie in 100 ways to be a good girl in dem sie ihre unschöne Vergangenheit verarbeitet. All in the name of pity und And here I stand lassen Black Sabbaths zeitgleich veröffentlichtes Epos Forbidden ziemlich alt aussehen und zeigen, wie die alternde Band anno 1995 hätte klingen können, es aber bei weitem nicht tat. Jahre später sang Skin übrigens das Stück Meat auf Iommis Solodebüt.
Das 2. Album Stoosh setzte den auf dem Debüt eingeschlagenen Weg nur bedingt fort, vielmehr versuchte die Band ein größeres Publikum anzusprechen, was mit dem Hit Hedonism, mit dem man Skunk Anansie heute wohl hauptsächlich in Verbindung bringt, durchaus gelang. Die Energie blieb dabei aber leider des öfteren auf der Strecke. Auch das letzte Album Post orgasmic chill konnte dem Debüt leider nichts mehr entgegensetzen, ganz zu schweigen von Skins darauffolgender Solokarriere, die ich aufgrund schwacher Singles nicht weiter verfolgte. Eigentlich schade, denn Paranoid and sunburnt schuf große Erwartungen, dass das Pulver dann so schnell verschossen war, konnte kaum einer ahnen.

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Wann kommt Horst Lichter mit dem Händlerkärtchen und knallt mich ab?