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kritikersliebling

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Bee Gees – Horizontal
PolyGram 1968

So unwahrscheinlich wie zwei Kinder in einem Jahr von der gleichen Mutter geboren werden, wird dieses Album noch vor Ablauf eines Jahres als Nachfolger von Bee Gees 1st veröffentlicht. Warum nicht mal etwas über die Musik aus dem eigenen Geburtsjahr schreiben. Die hier vorliegenden Songs klingen allesamt trauriger und vermischen sich noch mit der Leichtig- und Heiterkeit des Debüts. Aber wie ist das eigentlich als LP gewesen? Die erste Seite wird von dem Top-Hit „World“ eröffnet, die zweite Seite vom Nr. 1-Hit „Massachusetts“. Diese beiden Songs kennt man ja, also gilt es das Beiwerk zu entdecken – was sich durchaus lohnt. Wenn bei den Bee Gees der kitschige, aber nicht negativ gemeinte Bombast dominiert, klingt es immer nach Weihnachten, Trauer oder Sehnsucht. Und so setzt sich „And The Sun Will Shine“ vom intelligenten „World“ durch sein Arrangement ab und es regieren die getragenen Melodien, wie man sie teilweise von Ennio Morricone im Ohr hat. Gleich danach reduzieren die Bee Gees in „Lemons Never Forget“ (ziemlich irrer Text) die Instrumentierung um ihr Orchester und schon wird es bluesig und nimmt im Text schon das noch folgende „The Change Is Made“ auf, das ein psychedelischer Blues ist. „Really And Sincerley“ ist unendlich traurig und wird durch Glockenspiel und Geigen zum Klagelied. Love is so easy to lose. No no. Thematisch geht es in “Birdie Told Me” so weiter, aber hier kommt der Song aufgelockert durch überraschende Wendungen und es wird nicht ganz so deprimierend. Danach wird es dann noch mal reduziert und nur eine Hammond-Orgel begleitet zunächst den Wehgesang zu „With The Sun In My Eyes“. Doch das klingt alles andere als gewollt. Das klingt echt und logisch, soweit man in Musik von Logik sprechen kann. Damit wird die erste Seite beendet. Ich habe das Album zwar auf CD und die LP-Tracklist nachgelesen, aber für die Dramaturgie ist das Wissen darum schon hilfreich, denn früher meinte man Alben, wenn man von Alben sprach.
Die zweite Seite kommt insgesamt rockiger daher. Da sind Adaptionen anderer bekannter Bands aus der Zeit durchaus hörbar, aber wie es so ist. Hier gefällt es mir am besten. „Harry Braff“ ist wieder ein Namedropping, wie man es schon auf dem Debüt erleben konnte. Have you seen my wife Mr. Jones? “Day Time Girl“ ist noch zurückhaltend, aber „The Earnest Of Being George“ ist so nah an den Beatles, dass es sich lohnen könnte, die Motivation für diesen Song zu hinterfragen. Da ist man als Hörer durchaus irritiert, kommt aber schnell auf den Boden der Tatsachen zurück, wenn „The Change Is Made“ beginnt. Kaum vorstellbar wie diese kristallklaren Stimmen einen Blues singen können, aber genau das können sie. Lauter, immer lauter muss die Anlage gedreht werden, bis man alkoholgeschwängert mitsingt und leidet, ohne zu wissen warum. Einer der besten Songs der Bee Gees und auf diesem Album nur versteckt. Es endet mit dem Titelsong, der auch eher psychedelisch angehaucht ist, aber nicht so schwer drückt. Dafür aber mit dem Patentsound der Streicher, die man schon vom Debüt kennt.
Dieses Album ist offensichtlich nicht der Hitlieferant, aber unwahrscheinlich gut und unwahrscheinlich anders als das Debüt.

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Das fiel mir ein als ich ausstieg.