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Stephen Duffy · Music In Colours
Parlophone (1993)
In dem Film „La Dentellière“ spielt Isabelle Huppert eine junge unscheinbare Friseurin, die sich das erste Mal und dann gleich unglücklich verliebt. Im Nachspann des Filmes heißt es: „Er ist an ihr vorbeigegangen, ohne sie wahrzunehmen. Denn sie war eine von denen, die sich nicht bemerkbar machen, die erforscht werden wollen, bei denen man genau hinschauen muss.“
Stephen Duffys Alben, ob mit Lilac Time oder auch solo, sind oft autobiographischer Natur und thematisieren Beziehungen. Gern solche, deren Ende bereits am Anfang abzusehen scheinen: tragische also. „Music In Colours“ ist das untypischste und poppigste in seinem Gesamtwerk. Seine neun Songs sind ein musikalisches Ausrufezeichen und auf den Punkt konzipierte Popsongs, die sich auf das wesentliche konzentrieren: das Zeitlose. Denn Duffy weiß genau, dass Pop kurzlebig ist.
Mit vor Hybris strotzenden Streichern startet das Album mit crescendo in „It Sparkles!“. Ein kraftvoller Song mit eingängiger Melodie, wunderbaren Backingvocals von Cara Tivey, herrlich augenzwinkerndem Text („and I don’t know if she sparkles when she speaks, if I could love her anymore“) und einem Basslauf, der in einem von sieben „Transitoires“ mündet. Diese musikalischen Zäsuren, in denen Nigel Kennedy (ver)geigt, ziehen die Songs stoisch auseinander und bilden dennoch für das Album als Gesamtwerk ein geschlossenes System. Manchmal wird in weichen Übergängen das eine Stück vom anderen überlagert. Manchmal aber verfehlt Kennedy den Anfang und das Ende. „Natalie“ ist einer der Höhepunkte des Albums, die Duffys introvertierte Expressivität verdeutlicht. „And you like a teenage Isabelle Huppert, swapping foot noted thoughts, on what we share, on lying there“. Man wird nicht umhin kommen, hier die gute alte Melancholie ins Spiel zu bringen. Eine Natalie habe ich sehr wohl zu Beginn meines Studiums wahrgenommen, aber letztlich bin ich an ihr vorbeigegangen. Und so hinterlässt das Lied latente Traurigkeit bei jedem Wiederhören. Am Ende des Liedes fragt man sich, was für ein Narr man gewesen sein muss, sich nicht wirklich verliebt zu haben. „She Wants To Share Her Magic“ ist ein mit Gitarren und Streichern unterfütterter Poptune, der textlich ebenfalls in melancholischen Flächen schwebt: „Didn’t know I needed her so much“. Mit der gleichen aufgeriebenen Melancholie setzt Duffy seine Beobachtungen und Befindlichkeiten auch im phantastischen (synästhetischen) Titelstück fort. Das passt. Das ist gut. Gedimmter kommt „Galaxy“ daher. Verwoben mit Streichern und stimmigen akustischen Gitarreakkorden, entsteht eine intime bittersüße Melodie. Die Erkenntnis, das Liebe sehr fragil ist, endet in einer wundervollen Liebeserkärung: „So stay with me till this body dies“. Das ausufernde Gitarrensolo am Ende von „Holte End Hotel“ verdeutlicht wie konträr „Music In Colors“ sich zu den (folkigeren ruhigeren) anderen Alben Duffys (insbesondere mit Lilac Time) verhält. Hier schreckt jemand nicht vor zuviel Emotionalität und Extrovertiertheit zurück. Dass Nigel Kennedys Violinenvirtuosität auch in Popsongs Sinn ergeben kann, zeigt „Charlotte’s Conversation“ eindrucksvoll. Textlich bietet es Schattierungen eines Liebeslieds mit fortdauernder Schwermut: „You don’t need a song to sing, you don’t need a book to read, you don’t need me“. Mit der anschmiegsamen Wärme und der traurigen Melodie von „A Fall From The Sky“ klingt das Album aus. Die Kunst des Songwriters auf „Music In Colours“ besteht darin, die Balance zu halten, traurig, mit einer Mischung aus schwebend und körperlich, zu klingen, aber nie mitleiderregend. Hymnen zu kreieren, aber niemals in stadiontaugliche Popsongs zu verfallen. Sich seinen Themen musikalisch fröhlich und gleichsam melancholisch anzunähern und sie textlich durch hoffnungsvolle Verzweiflung und nicht durch Pathos auszudrücken. Ein Album, dass sich im Gegensatz zu anderen von Duffy durchaus bemerkbar macht, aber dennoch erforscht werden sollte und genaueres hinhören definitiv verdient hat.
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