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skraggy

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Savatage – Handful Of Rain (1994)

„Handful Of Rain“ kommt sicherlich eine Sonderstellung in der Diskographie von Savatage zu, ist es doch das erste Album der Band, das nach dem tragischen Unfalltod des genialen Criss Oliva eingespielt wird. Sein Tod verursacht eine große musikalische Lücke und verändert den Sound der Band gravierend. Statt filigran ausgearbeiteter Riffs und Soli prägen nun breite Rhythmusgitarren und eine starke Hinwendung zum Bombast das Klangbild. Aber auch aufgrund der beteiligten Musiker fällt „Handful Of Rain“ aus dem Rahmen. Zum Zeitpunkt der Aufnahmen haben Savatage hinter den Kulissen mehr Projekt- als Bandcharakter. Mastermind Jon Oliva spielt sämtliche Rhythmusgitarren, Keyboards und Drums sowie einen Großteil der Baßspuren im Alleingang ein. Es spricht Bände, dass er sich im Booklet mit Credits für „Additional Keyboards“ begnügt. Egoprobleme hat der Mann defintiv keine. Drummer Steve Wachholz hat die Band bereits nach den Aufnahmen zum Vorgänger „Edge Of Thorns“ verlassen. Um den Bandcharakter zu wahren, wird er im Booklet dennoch als Bandmitglied aufgeführt. Die Verwirrung wird dadurch perfekt, dass auf der Rückseite der europäischen Version des Albums bereits Drummer Jeff Plate zu sehen ist, der sein Debüt jedoch erst auf der Live-Scheibe „Japan Live ´94“ geben wird. Die Leadgitarre übernimmt der ehemalige Testament-Gitarrist Alex Skolnick, der sich hier angenehmerweise nicht in den Vordergrund spielt, mit seinen bluesigen Soli aber dennoch Akzente setzt. Unter diesen denkbar ungünstigen Voraussetzungen wird ein dunkles, tieftrauriges Album eingespielt, das ohne weiteres zu den Highlights von Savatage gezählt werden kann. Mit „Taunting Cobras“ wird gleich zu Beginn das Gaspedal kräftig durchgetreten. Für Savatage-Verhältnisse ist der Songs fast schon thrashig. Das hier nicht mehr Criss Oliva in die Saiten greift ist sofort zu hören, klingen die Gitarren doch wesentlich simpler und direkter. Selbiges gilt für „Nothing’s Going On“, das in der zweiten Hälfte des Albums für Auflockerung sorgt. Beide Songs fügen sich gut in den Kontext des Albums ein, die wahren Perlen sind jedoch die ruhigen und die getragenen Songs. Der düstere Titelsong beispielsweise, der sich nach seinem bluesigen Beginn in einen schwerfälligen, mitreißenden Breitwandstampfer verwandelt und in dem Sänger Zak Stevens das geilste „Alright“ ablässt, dass mir bisher in einem Song untergekommen ist. Oder die beiden vor Emotionen bebenden Balladen „Stare Into The Sun“ und „Watching In Silence“, bei denen es mir immer wieder vor Ergriffenheit wohlige Schauer über den Rücken jagt. Ganz zu schweigen von „Chance“ und „Alone You Breathe“, den beiden Höhepunkten von „Handful Of Rain“. Mit „Chance“ vollenden Savatage die auf „Gutter Ballet“ begonnene Abkehr vom lupenreinen Power-Metal und definieren für sich den Sound, der ihre folgenden Alben bestimmen wird: bombastischer-orchestraler Power-Rock. Außerdem arbeiten die Musiker bei „Chance“ zum ersten Mal mit Kontrapunkt-Gesängen, die seitdem zum absoluten Markenzeichen der Band geworden sind. „Alone You Breathe“ ist schließlich ein lyrischer und musikalischer Salut an Criss Oliva. Tieftraurig und unterschwellig euphorisch – der Song ist ein Wechselbad der Gefühle. Schön ist auch, wie in der zweiten Hälfte Elemente von Criss Olivas’ Lieblingssong „Believe“ (Streets, 1991) eingeflochten werden.
Auch wenn „Handful Of Rain“ oft als Beginn eines neuen Kapitels in der Laufbahn von Savatage gesehen wird, betrachte ich das Album eher als Abschluss. Dies ist die letzte Scheibe, die den Geist der „alten“ Savatage atmet. Auf den folgenden Alben ist dieser leider mehr und mehr verloren gegangen.

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