Re: Wiederhören im Forum…

#1023505  | PERMALINK

kritikersliebling

Registriert seit: 08.07.2002

Beiträge: 18,340


David Bowie – Tonight
EMI 1984
Der beste Freund hatte natürlich “Let’s Dance”. Ich kaufte mir ein Jahr später mein erstes David Bowie Album. Die Pressung war sehr eng und mein alter Plattenspieler ließ schon mal die eine oder andere Rille aus.
Nach über zwanzig Jahren höre ich just dieses Album nun digitally remastered. So weit ich mich erinnere, hatte die LP schon einen satten Sound mit leider zu scharfen Höhen. Daran hat sich nichts geändert. „Loving The Alien“ ist in seiner sehnsuchtsvollen Theatralik besser am Schluss aufgehoben, doch als Kollage für die folgenden Songs überhört man es am Anfang am besten. „Don’t Look Down“ kommt schon mit Reggea-Anleihen und klingt fast perfekt. Die Bowie-Gefühlsausbrüche beim Gesang wirken erst neu, dann übertrieben. Der beste Song folgt noch. „God Only Knows“ als Cover-Version der Beach Boys passt zu Bowie in den 80ern wie ein zweiter Anzug. Vielleicht ist es zu dick aufgetragen, aber wenn ich Bowies Ambitionen folgen möchte, dann ist es eben Theater. Der Titelsong „Tonight“ ist ein Duett mit der damals erfolgreichen und selten erreichten Tina Turner. Hier hält sie sich im Hintergrund auf und es scheint so, als ob sie allein die Platte pushen soll. Für mich der stärkste Song, bei dem auch die Instrumente nah an Bowie sind und er sich offensichtlich sehr wohl fühlt. „Neighbourhood Threat“ hat diese verhallten Power-Drums, die man schon vom Vorgängeralbum kennt. Unaufregend und doch Balsam für die ermüdeten Ohren. Im Uptempo-Bereich angesiedelt ist der Song nur Mittelmaß. Die Single „Blue Jean“ versprach damals mehr, als das Album halten kann. Ein Gassenhauer im Bowie-Standard. Der zunächst undefinierbare „Tumble And Twirl“ Rhythmus mündet in irgendwelchen Melodien, die so fließend sind, dass man das Buschtrommel-Inferno verwünschen möchte. Doch die Gegensätze wirken magisch. Danach geht es mit „I Keep Forgettin’“, einer kurzen Rock’n Roll-Cover-Version, wieder ins biedere Fahrwasser um mit „Dancing With The Big Boys“ einen Disco-Füller hinterher zu senden. Keine Sekunde zu lang, keine Minute zu kurz.
Alles in allem fehlt auf diesem Album die einheitliche Stillinie und es kommt einem vor wie ein Sammelsurium von unausgegorenen Ideen, doch es ist sicherlich hörenswert. Iggy Pop hat fleißig mitgeschrieben. Wäre „Let’s Dance“ ein Doppelalbum geworden, hätte „Tonight“ die zweite Platte sein müssen. Einiges klingt hier nach Outtakes des vorangegangenen Albums. Bis auf den ersten Song, der unglücklicherweise das Album eröffnet, gibt es hier alles, was David Bowie ausmacht. Hits, Theater, Selbstverliebtheit und Oberflächlichkeit. Kein Album für alle Tage, aber da will man ja auch etwas anderes hören.

--

Das fiel mir ein als ich ausstieg.