Re: Wiederhören im Forum…

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kritikersliebling

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Friedrich Schütter – Ein Mensch
WEA 1996

Dieses Album wurde 1976 unter dem Titel „Desiderata“ veröffentlicht, was soviel wie „Das Gewünschte“ bedeutet. Friedrich Schütter war Synchronsprecher für Lorne Greene, der den Ben Cartwright bei Bonanza spielte. Auf der Neuveröffentlichung ist ein zusätzlicher Titel. „Ein Mensch“, der das Album eröffnet und erst nach dem Tod von Friedrich Schütter 1995 „entdeckt“ wurde.
Als ich Anfang der 80er Jahre „Desiderata“ das erste Mal hörte, war ich ergriffen von den Texten und der Stimmung, die genauso klingt wie das Cover aussieht, das einen seriösen, zufriedenen Mann auf einem Tisch sitzend zeigt, geradeso als wolle er sich ausruhen. Die Sonne scheint sommerlich durch die Blätter und Zweige eines Baumes im Hintergrund. Ruhe in unruhigen Zeiten, Hoffnung in hoffnungslosen Situationen. Friedrich Schütter indes singt nicht. Er spricht zur Musik, als wäre es ein Hörbuch und ja – es ist ein Hörbuch, denn es werden Geschichten erzählt, die man manchmal wegen ihrer Endgültigkeit nicht ertragen kann. Die Stimme ist tief, rau und erbarmungslos. Es gibt eine sehr ergreifende Version von „Sag mir, wo die Blumen sind“, eine textlich schonungslose deutsche Version von „Eve Of Destruction“ mit dem Titel „Ein morscher Baum trägt keine guten Früchte“ und eine morbide Version von „Tom Dooley“. Friedrich Schütter leiht den Liedern seine Stimme, geschrieben hat er selbst keins. Kernstück ist der Titelsong „Desiderata“. Der Text stammt aus dem Jahr 1927. Die Zeiten scheinen sich nicht geändert zu haben.
Wer nun die ganze Zeit an klassische Songwriter denkt irrt sich, denn die Musik ist im neutralen Sinne hippiesk. Ein Frauenchor bildet in vielen Liedern einen akustischen Kontrapunkt zu der ruhigen Vortragsweise Friedrich Schütters. Es wird nicht gerockt, obwohl es eine Rockbandbesetzung ist, die musiziert. Vielleicht ist es gerade das Zeitgenössische, das dieses Album zu etwas besonderem macht. Der Produzent Christian Bruhn hat hier Arrangements geschaffen, die auch eine Prise Pathos in sich tragen, was aber ausgeblendet werden kann. Wenn Texte und Musik Lebenshilfe sein wollen, dieses Album stünde in der ersten Reihe. Als ich es zum ersten Mal hörte war ich selbst noch ein Kind und stand genau auf der anderen Seite meiner heutigen Situation. Da ist dieses Album sehr hilfreich und heilsam, auch wenn es „nur“ Unterhaltung ist. Es regt zum Nachdenken an und das ist das Ziel.

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Das fiel mir ein als ich ausstieg.