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Spliff – Herzlichen Glückwunsch (1983)
Zurück zu den Anfängen. Wenn andere über ihr erstes selbstgekauftes Album erzählen, kann ich nur neidisch zuhören, denn bei mir war das alles andere als glorreich. ‚White feathers‘ von Kajagoogoo sollte es im Frühjahr 1983 sein, ein längst und auch zu Recht vergessenes und billig prodzuiertes Popalbum, das zumindest den Hit ‚Too shy‘ abwarf und Sänger Limahl wohl als erster den Begriff der Ananasfrisur prägte. Alles anderes als erinnerungswürdig, oder vielleicht doch? Wenn ich in meiner musikalischen Sozialisation noch ein paar Monate zurückgehe, dann steht ganz am Anfag das Stück ‚Das Blech‘ von Spliff. Als ich anfing, Hitparaden und Wunschsendungen im Radio zu hören, war dies der erste Song, der mich restlos begeisterte, auch wenn ich als 10-jähriger den Text nicht so richtig kapiert habe. Aber schon das immer wiederkehrende ‚Da fliegt mir doch das Blech weg‘ fand ich sehr lässig und dazu war das Stück derart ohrwurmlastig, daß man es kaum aus dem Kopf wieder herausbekam. Natürlich ist das Lied nur echt mit dem endlos langen Percussion Solo, das man bei der Single leider herausgeschnitten hatte. Und weil mich dieses Stück so derart begeisterte, war Spliff auch die erste Band, von der ich ein ganzes Album haben wollte. Ein Cousin nahm es mir schließlich auf Kassette auf und fortan an lief es in meinem Mono-Radiorecorder bis ich die Texte beinahe komplett auswendig konnte. Und auch aus heutiger Sicht muß ich festhalten, daß es sich bei ‚Herzlichen Glückwunsch‘ um ein spätes Meisterwerk der Neuen Deutschen Welle handelt, auch wenn sich Spliff selbst nicht so gerne damit in Verbindung brachten. Die lag nämlich 1983 schon längst im Sterben, nachdem sie vom kommerziellen Ausverkauf verschlungen wurde. Danach nervte Nena noch mit Luftballons und Peter Schilling entführte Bowie’s ‚Major Tom‘, alles längst vergessen, nur Spliff eben nicht. Die ehemalige Nina Hagen Band lief hier ein letztes Mal zur Höchstform auf und kreierte ein Pop-/Rockjuwel von internationaler Klasse, bei dem selbst die vielen elektronischen Spielereien nicht antiquiert wirken. Zugegeben, die Simmons Drums mögen aus heutiger Sicht etwas gewöhnungsbedürftig klingen, aber hier stören sie mich nicht im Geringsten. Am Anfang steht das Titelstück mit einem sagenhaften Riff und Mitteregger’s zynischem Gesang. Herzlichen Glückwunsch? Ja zu was den eigentlich? Der Held im Song scheint eher ein Loser zu sein, und auch sonst geht es in den Texten oft um Verdruß, um den ganz normalen Alltagsfrust oder um Abstumpfung und Gleichgültigkeit (‚Augen zu‘). Dazwischen gelingen aber auch wunderschöne Liebeslieder voller Sehnsucht wie ‚Tag für Tag‘. Doch Spliff Texte sind immer auch mit einem Augenzwinkern versehen. So wirken Zeilen wie ‚Unsere Frauen sind so schön, die liegen fett im Bett‘ aus ‚Die Mauerer‘ zunächst einmal etwas derbe, verdeutlichen aber letztendlich nur die Thematik des Songs, die Traurigkeit und Monotonie des Alltags. Und am Ende geht es dann in den eisigen ‚Glaspalast‘, ein Stück, das eine gewisse Endzeitstimmung verbreitet.
Und somit läßt sich das Dilemma mit dem ersten Album doch noch ein bißchen kaschieren, auch wenn ich mir die Originalausgabe gut 20 Jahre später erst gekauft habe. Und rückblickend muß ich festhalten: Spliff waren es, die meine Leidenschaft für Musik geweckt haben. In diesem Sinne: Herzlichen Glückwunsch!
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Wann kommt Horst Lichter mit dem Händlerkärtchen und knallt mich ab?