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Wolf Maahn – Irgendwo in Deutschland
EMI 1984
Viel hilft viel. Das dritte Album von Wolf Maahn und den Deserteuren strotzt vor Produktvielfalt. Große Band, viele Instrumente, viel Technik. Ein gut aufgelegter Sänger und Texter trifft seinen kongenialen Gitarristen. Dass die Texte voller Phrasen stecken und oft nur Aufzählungen ohne Gliederung sind ist egal, denn dadurch werden die Texte nicht unwahr. Die Musik ist so nah on the road, dass es live ein Vergnügen werden muss. „Irgendwo in Deutschland“ funktioniert als deutsches 'Born In The USA', ob man Maahn mag oder nicht. Durch den dicken Rock’n Roll glänzen immer mal wieder ein Schuss Soul, etwas Stones und die Kumpels der damaligen EMI-Liga“ (BAP, K. Lage, H. Grönemeyer). Anspielungen und Plattheiten sind ständig präsent und werfen einen halbtransparenten Schatten auf die erstklassige Produktion. Bei allen Veröffentlichungen ist dieses Album wahrhaft die Rose im Asphalt. Aufbruch, unterwegs und hungrig wie ein Wolf (aha!). Was das alte Fieber sein soll, erfährt der Hörer nicht direkt, dafür weiß man hinterher, was es nicht ist. „Wo ist die Grenze der Besonnenheit, wenn du einkaufst und John Lennon durch den Supermarkt hallt?“ Eine rhetorische Frage, die nach keiner Antwort verlangt, sondern provoziert. Warum dann nur besonnen“ und nicht „besoffen“? Das ist ein Kritikpunkt, denn häufig kommt Wolf Maahn hier etwas zu unverbindlich auf den Punkt.
1984 lerne ich die Texte auswendig und passe sie als Soundtrack in mein Lebensmosaik ein. Bin ich gesund, verlange ich nach Fieber, wenn es mir schlecht geht bin ich der Clown mit dem Blues. Spätestens bei „Uhh Mädchen“ (unter uns, ein ziemlich dämlicher Songtitel) wird es anheimelnd und pubertär ranschmeißerisch. Der Sänger ist dreißig und macht Musik für Leute, die vielleicht gerade ihren Führerschein machen. Statt Sex gibt es schlaue Sinnsprüche. So wird dieses Album kein Alterswerk. Ich mag das Album trotzdem oder deshalb, weil es frisch ist, weil es nicht so abgeklärt erwachsen daher kommt. Ich drück ein Auge zu und sag: „Ist egal!“ Irgendwo in Deutschland befasst sich Maahn mit Befindlichkeiten und spiegelt die Orientierungslosigkeit wider, an der die 80er Jahre immer krankten. Eigentlich geht es einem gut und eigentlich ist viel zu tun. Heutzutage ist immer noch viel zu tun, nur geht es uns besser als vor 19 Jahren. Mehr Ahnung, mehr Einkommen, mehr Ohnmacht. Was will man mehr? Es fehlt die Unbekümmertheit, einfache Dinge einfach darzustellen und dazu zu stehen. „Uhh Mädchen“ meinetwegen.
Die zweite Hälfte des Albums schwitzt noch weniger. Songs, so kühl distanziert wie ein Getränk aus dem Kühlschrank und verlässlich vorhersehbar, wie das Licht beim Öffnen der Kühlschranktür. Witzig ist die Textkonstruktion bei „Direkt ins Blut“. In Nebensätzen, die zur Hauptsache umfunktioniert sind, werden die Probleme und Errungenschaften der Zeit beleuchtet und gipfeln in der „ Das-machen-wir-live-dann-auch-so“-Bandvorstellungs-Strophe. Grausige Beispiele: „Hier kommt die Strat, sie bringt mich in Fahrt und hör mal der Synth, er heult wie der Wind…“ usw. Doch auch diese Stilistik gefällt mir in ihrer Naivität. Na klar fühle ich mich verarscht, aber nicht damals. Nur heute, wo ich schon alles gesehen, gehört und erlebt habe. Dieses Album ist wirklich zeitgenössisch, zeigt alles und verheimlicht nichts und das auf ehrliche Art. Irgendwo in Deutschland hört irgendwer „irgendwo in Deutschland“ und blättert in Fotoalben mit verblassten Bildern.
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Das fiel mir ein als ich ausstieg.