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Iggy Pop – American Caesar (1993)
Ist Iggy Pop ein Hellseher? Kurz bevor er uns mit den „Girls of N.Y.‘ in die Nacht entäßt, rezitiert er im Quasititelstück ‚Caesar‘ Zeilen, die mich an Donald Rumsfeld erinnern, wie er sich über das alte Europa lustig macht: ‚Who are these Christians? Turn the other cheek. Ha ha ha…“. Den alten Gassenhauer ‚Louie Louie‘ textete er kurzerhand um, und fragt sich, was nach dem Fall der Berliner Mauer wohl verlorengegangen ist. Und im Stück ‚Wild America‘ gießt er unvehohlen Hohn und Spot über den übertriebenen, amerikanischen Patriotismus. Purer Zynismus? Oder doch nur aufmerksamer Beobachter? Wie auch immer, mit diesem Album legte Iggy sein spätes Meisterwerk ab und hätte er danach aufgehört, Musik zu machen, hätten wir in heute als Legende in guter Erinnerung behalten. Sicher, der Legendenstatus ist ihm so oder so gewiß, aber in der Folge beschmutze er sein eigenes Denkmal mit einigen schwachen Alben in schöner Regelmäßigkeit. Auf ‚American Caesar‘ jedoch war er Meister aller Klassen, vereinte alle seine Fähigkeiten zu einem einzigartigen Album, daß trotz seiner Länge von 75 Minuten nie langweilig wirkt. Auf der einen Seite gibt es harte Rock’n Roll Stücke, wie er sie zu Stooges Zeiten nicht besser gemacht hätte, auf der anderen Seite gibt es den Songwriter, der sich, auch mal nur zu akustischen Gitarre begleitet, u.a. über die Spaßgesellschaft auskotzt (‚Social life‘) und auch die Blaublüter sind im beängstigend beunruhigenden ‚Jealousy‘ nicht vor ihm sicher. Dabei wirken seine Texte nie weinerlich oder deprimierend sondern eher wut- und hasserfüllt, ein Song heißt dann auch ‚Hate‘. Doch dazwischen gelingen ihm auch wunderbare Liebeslieder wie ‚It’s our love‘ bei dem selbst die Keyboards nicht stören. Das Schlagzeug scheppert hier, als wäre es im Nachbarzimmer und Iggy gibt uns den Verliebten, der er damals wohl auch war: ‚There ain’t nobody gonna break it, our love‘. Das schöne ‚Beside you‘ geht später in eine ähnliche Richtung. Dazwischen gibt er im ‚Highway song‘ den Rastlosen und ‚Mixin‘ the colors‘ ist sein Beitrag zur Völkerverständigung, zur ‚Melting pot‘ Theorie. Die Produktion ist krachend und scheppernd und rundet dieses Meisterwerk ab, das bis heute sein letztes bleiben sollte. Es ist beinahe schon tragisch, wie er 3 Jahre später mit dem Nachfolger ‚Naughty little doggie‘ derart entgleisen konnte und sich heute, ähnlich wie Santana, beim Jungvolk anbiedert, indem er mit Möchtegernpunks und New-Metallern kooperiert. Würdevoll altern ist etwas anderes und vielleicht sollte sich Herr Osterberg einfach mal wieder ‚American Caesar‘ anhören, kann doch nicht alles verlorengegangen sein.
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Wann kommt Horst Lichter mit dem Händlerkärtchen und knallt mich ab?