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Lisa Germano ∙ Happiness
4AD (1993)
„Du denkst, ich bin Scheiße“, sagt Andy und zieht Joy das Aschenbecherreplikat aus der Hand, das er nach der ersten Begegnung mit ihr, eigens für sie gekauft hatte, „aber ich bin Champagner. Du bist Scheiße.“ Die Szene aus Todd Solondz Film „Happiness“ ist lustig, dann auch wieder nicht. Im Kontext dessen, dass Joy versucht hat anzudeuten, dass sie sich eine ernsthafte Beziehung mit Andy nicht vorstellen kann, bleibt einem das Lachen wie ein Kloß im Hals stecken. Glück, Zufriedenheit, Heiterkeit und Fröhlichkeit? Die Charaktere dieses Films sind genau das Gegenteil dessen, was der Filmtitel suggeriert.
„You wish you were happy but you’re not hahaha“ singt Lisa Germano in “Bad Attitude”. Damit ist ihr die perfekte Charaktarisierung von Todd Solondz Protagonisten gelungen. Und für die dreizehn Songs ihres Albums.
„Pain and Sadness are real to me“ heißt im Titelstück „Happiness“ und das ist Programm. „Ain’t life fun?“
„Happiness“ ist düster, dann auch wieder nicht. Sieht man das Album in seiner vollständigen Tiefe und im Licht seiner vielen Details, erscheinen Momente, in denen man Zartheit empfindet, z.B. bei der zerbrechlichen Stimme Germanos, die der Musik menschliche Wärme zu verleihen mag. Hier ist nicht alles Unbehagen, aber hier ist auch nichts linear. „Change back to when you laughed“ heißt dann auch die überraschende Lösung am Ende von“ Bad Attitude“. Musikalisch umspannt Germanos Songreigen hübsche Pianountermalung („Destroy the Flowers“), Akustisches („Energy“), Pedal Steel („Cowboy“), Percussions und Djembe („Around the World“), Instrumentales („Miamo-Tutti“) und natürlich gelegentlich Geige, die Germano selbst spielt und auch früher schon u.a. bei John Mellencamp spielte. Höhepunkt neben dem wundervollen und ungeheuerlichen „Everyone’s Victim“ ist das bezaubernde „Sycophant“; überraschend das folkig-poppige „The Dresses Song“.
Auch in „The Darkest Night of all“ muss man nur die Lichter der Nacht richtig zu deuten wissen. Hier herbstleuchtet die Musik und in meinen Augen leuchtet es.
Am Ende von Todd Solondz Film singt Michael Stipe “Happiness where are you?”. Lisa Germano weiß die Antwort. Ich auch.
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