Re: Wiederhören im Forum…

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kritikersliebling

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Udo Lindenberg – Udopia
Teldec – 1981

„Wir waren völlig fertig und konntens einfach nicht glauben und man sah, große Ereignisse werfen ihre Schatten unter die Augen…“ Große Dinge werfen ihre Schatten voraus!
Der Zeitpunkt, als Udo Lindenberg begann, Zenit zu buchstabieren, war ungefähr der Zeitpunkt, an dem dieses Album erschien. Es war auch der Zeitpunkt, als ich Udo Lindenberg das erste Mal im Radio hörte. Seine Stimme hat, wie nur wenige Stimmen, einen außerordentlichen Wiedererkennungswert.
Das Album wartet nicht, bis man auf Temperatur kommt, es geht gleich mit „Straßenfieber“ los. Eine Hommage an die Gefühle und gleichzeitig die Absage an Konstruktionen, sei es in Beziehungen, Politik, Städtebau oder Musik. Und jawoll: So laut es ging hörte ich Lindenberg, um zu rufen: Hallo hier bin ich!
Wunderbar lindenbergisch wird es dann im folgenden Song, einer Liebeserklärung an Caroline von Monaco. Ich hätte es ihm geglaubt, dass er tatsächlich mit seiner Schlägermütze und einem alten MB 200 D an der Grenze steht und auf ganz korrekte Art seinen Shit verzollt. Warum auch nicht, denn er war ja der Udo. Der Udo aus Hamburg oder Berlin oder…. Gronau. „Gegen die Strömung“ war dann die erste Single-Auskopplung und erschien zusammen mit „Monotonie“ von Ideal. Generationswechsel in der Musiklandschaft. Plötzlich wurde Lindenberg alt. So jung wie seine Texte klangen, gegen Jüngere wirkte er fast peinlich. Denn er konnte sich doch alles und jeden leisten. Sein Lieblingswort war und ist „Party“ und – durch die Wachablösung wurde er gleichzeitig zu einer Institution. In „Affenstern“ kehrt er dahin zurück, wo er sich am besten auskennt. Mit Freude genießt er seinen Ruf als Enfant terrible, um daraufhin seine Provokationen gegenüber seinen „Feindbildern noch weiter zu treiben. Man musste damals nicht besonders bewandert sein, um die Message zu kapieren.
In „Sandmännchen“ zeigt uns Lindenberg den putzigen oder liebenswerten Songwriter. Ein Liebeslied der besonderen Art. Vier Strophen, die heutzutage zu einem Film im Privatfernsehen genügen würden.
Was dann folgt ist mit „Grande Finale“ schon gut beschrieben. Immer lustig und vergnügt, bis der Arsch im Sarge liegt. Schwingt bei jedem Song auf diesem Album ohnehin der Protest mit, wird er hier deutlich und laut. Ein Rundumschlag gegen alles, was schief läuft zu der Zeit – und es läuft viel schief. Das ist Lindenbergs Udopia. In „Ali“ beschreibt er die Gefühle eines Türken, Anfang der 80er in Deutschland. „Heimat ist einfach da, wo du Freunde hast egal, wo du herkommst, wo eins nur wichtig ist, dass du’n guter Kumpel bist.“
Die letzten drei Songs zeigen Lindenberg noch mal als Komödiant, Entertainer und Liebhaber. Kein schlechter Spagat nach dem Vorspiel. Los geht’s mit „Jonny Gigolo“. Zu der Zeit war doch jeder irgendwie Jonny Gigolo oder Hansdampf. Freie Straßen für freie Bürger und für freie Liebe. Da kommt auch schon das Stichwort. „Kann denn Liebe Sünde sein“ singt er wie eine Hommage an die altersweisen Grand-Damen des alten Berlins und gleichzeitiger Verurteilung von Spießertum. Natürlich dreht hier das Panikorchester durch und Udo lässt sich davon anstecken. Ein Charmeur in seinem Element, um einen Song später den unschuldig und einseitig verliebten Jungen zu geben. „Kugel im Colt“ ist eine wunderschöne Story über die Zerrissenheit, der Qual des Wartens, über die Macht der Frauen und Soundtrack meines Jahres 1981 bis 1982. Ich kannte ja noch nichts richtig.
Es gibt nur wenige Alben, die so mit der deutschen Sprache umgehen, wie Lindenberg hier. Dieses hemdsärmelige Gereime oder die ambitionierte Schreibe in den Polit-Songs. Den Prolo nimmt man ihm ohnehin ab. So viele Wortneuschöpfungen hätten beinahe eines Wörterbuchs bedurft. Und damals, vor 22 Jahren konnte er mit den Texten auch noch schocken: „Er hat Bumsen und Onanie gesungen..!“ Ja hat er. Er war auch der einzige, der das zu der Zeit ungestraft tun durfte. Die Persönlichkeit von ihm zeigt auch die Liste der Musiker. Es liest sich wie das Who Is Who der besten Studio-Musiker. Doch das absolute Highlight ist natürlich der allegorische Spitzenrock. Danke, ich habe keine Fragen mehr.

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Das fiel mir ein als ich ausstieg.