Re: Wiederhören im Forum…

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kritikersliebling

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Lenny Kravitz – Let Love Rule
Virgin – 1989

Ein Freund kam eines Tages an und spielte mir unter theatralischen Begeisterungsposen “The Real Thing” von Faith No More vor. Und in der Tat, mir als durchaus-aber-nicht-nur-Metaller gefiel die CD. So stand ich im Mai 1990 an einer Theke in Bielefelds PC 69 und wartete auf Faith No More, Vorgruppe Prong. Plötzlich tut es ein mir vertrautes Geräusch. Eine Akustikgitarre erklingt. Ich schau zur Bühne – nichts. ‚Vom Band’ denke ich mir und merke, wie es bereits ganz vertraut kribbelt. Auf dem Weg zum Mixer treffe ich meinen Freund wieder, der mir diesmal erklärt, dass es sich um Lenny Kravitz handelt. Theatralik, nach dem Titel erkundigt, glücklich, Album gekauft.
Natürlich weiß ich, dass ein Zauberer die Kaninchen vorher in den Zylinder steckt, um sie anschließend heraus zu zaubern. Ich weiß auch, dass Illusionisten mit doppelten Boden arbeiten. Ich weiß es, aber ich finde es nicht schlimm auf diese Art auf den Arm genommen zu werden. So ist es bei diesem Album auch. Ein Tribut an die großen Songwriter der 60er und 70er Jahre, nur eben mit eigenen Songs. Lenny Kravitz versucht sich als Plagiator und es gelingt, denn schon sehr schnell erkennt man seine Wurzeln: Beatles, Led Zeppelin, Hendrix. Da ich keinen Zugang zu Hendrix finde, höre ich mir die Songs von Lenny Kravitz an, die gefallen mir. Genug der Warnungen, hinein ins Hörvergnügen.
Der Opener schleicht sich so intensiv ins Ohr, dass er mich einnimmt, ohne zu bedrängen. Der Singer/Songwriter-Eindruck wird bereits beim Titelstück zerstört, als die Band (also Lenny Kravitz plus Henry Hirsch und Karl Denson) einsetzt. Mit jedem Stück dringt Kravitz auf diesem Album tiefer in die Musikgeschichte vor. Für mich ist der beste Song „My Precious Love“. Nicht weil er besonders langsam ist und die Worte findet, die mir bisweilen fehlten, sondern wegen des Piano-Solos, das mir fast die Tränen in die Augen treibt. Selten habe ich es so knistern gehört, und das auf CD!!! Dieses Stück scheint Dreh- und Angelpunkt zu sein, denn es steht isoliert auf dem Album. Nichts bezieht sich darauf, nichts nimmt den Faden nochmals auf. Da sind die anderen Songs schon eher miteinander verwoben. Der Zauberer zersägt anschließend diverse Damen, also Songs, ohne dass sie wirklich zweigeteilt sind. Genau das steht der Eigenständigkeit dermaßen im Weg, dass sich Kravitz noch Jahre später Plagiatsvorwürfe anhören muss und das Album eben nicht zum Alltime-Klassiker werden lässt. „Mr. Cab Driver“, „Flower Child“, „I Built This Garden For Us“ sind erratische Kunstwerke, wobei der letztgenannte durchaus die Chance hätte, bei der Sesamstraße aufzutauchen. Überhaupt schaltet dieses Album bei mir das Assoziationsprogramm ein. Gute Songs, guter Sänger und gute Wurzeln. Letztere verhindern durch ihre Offenheit ein Meisterwerk.

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Das fiel mir ein als ich ausstieg.